Umrisse des Menschen X.0

Janina Loh ermöglicht in ihrer glänzenden Einführung zu Trans- und Posthumanismus einen klaren Blick auf die Fortsetzungen der Idee vom Menschen

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen Verblüffung, Erstaunen und Sorge stellt man immer wieder fest, welche höchst unterschiedlichen Entwicklungs- und Denkmodelle in der globalen Gegenwart bruchlos nebeneinander stehen: Während die einen über Möglichkeiten der Abschottung im Zusammenhang mit weltweiten Migrationsbewegungen nachdenken und zuweilen Retrotopien vergangener Zeiten entwickeln, arbeiten die anderen mit Hochdruck an der technischen Überwindung des Menschen oder dringen in Gebiete jenseits des Planeten Erde vor, um menschliches Leben etwa auf dem Mars zu ermöglichen. Wieder andere erleben gerade ihre, die ehemaligen Agrarstrukturen ablösende wachstumsbezogene Hochzeit als Fest des Kapitalismus, während Tendenzen der Reflexion über kommende Zeiten des Postkapitalismus fortwährend Zustrom erhalten. Dritte fabulieren über die religiöse Rückkehr eines Gottesstaates und versuchen sich an einer (fast archaisch anmutenden) Gesetzgebung auf Basis sakraler Schriften – während über allen das Damoklesschwert des Klimawandels und der Erderwärmung schwebt und die Erde bei gleichbleibendem Raubbau an ihren Ressourcen in einigen Jahrzehnten nicht mehr existieren wird.

Im anskizzierten Feld des Nachdenkens über die Zukunft der menschlichen Spezies haben sich sukzessive verschiedene Strömungen und (Vor-)Schulen gebildet und versammelt. In weitaus radikalerer Weise als es zum Beispiel die politische Diskussion in Deutschland anstrebt (in der das Zauberwort „Digitalisierung“ immer noch primär mit Breitbandausbau und flächendeckender iPad-Ausstattung in Schulen verknüpft ist), entwerfen diese eine neuartige Vision des Menschen. Die an der Universität Wien tätige Technik- und Medienphilosophin Janina Loh, die sich sowohl in ihrem Habilitationsprojekt als auch darüber hinaus mit derartigen Formen des Trans- und Posthumanismus, der Verantwortungsidee sowie der Roboterethik beschäftigt, liefert eine überaus klare und hellsichtige Einführung in eine ungemein zukunftsträchtige Thematik und etabliert damit eine wichtige Grundlage für weitere anknüpfende Forschungen.

Zwischen den Extrempolen einer dystopischen Technikfeindlichkeit und einem utopischen Enthusiasmus beleuchtet Loh damit ein immer wichtiger werdendes Feld, das sich – von Seiten der Philosophie, der Sozial- und Kulturwissenschaften wie sämtlicher technisch-naturwissenschaftlicher Diskurse – mit der Transformation und Optimierung des Menschen befasst. Beide vorgestellten Spielarten des Trans- beziehungsweise Posthumanismus schließen dabei zunächst (schon begrifflich) an die kritische Auseinandersetzung mit dem Humanismus an: In der Tradition Ciceros und Erasmus von Rotterdams betont dieser die auf Menschenliebe und Empathie gründende „kultivierte und geübte Philanthropie“. Im Dialog mit Kosmos und sozialer Umgebung ist der Mensch als verantwortliches, freies und vernunftorientiertes Wesen gedacht, dass – zwischen Göttlichkeit und Tierhaftigkeit – ein eigenverantwortliches und autonomes Leben anstrebt. Im Einklang von Physis und Geist wird das Moment individueller, sozialer und universeller Bildung zum zentralen Kern der humanistischen Idee.

Der Transhumanismus ist an der Selbsttranszendierung und Optimierung des Menschen interessiert, will neue Möglichkeiten innerhalb der menschlichen Natur ausschöpfen. Auf Basis der anthropologischen Grundannahme menschlichen Interesses an Perfektion wird die Technik zum Medium einer intendierten Vervollkommnung: Über einzelne kleinere (körperliche, mentale, reproduktionsorientierte) Optimierungsschritte, die Körper und Geist im Sinne der Selbstbildung erweitern (Stichwort: Human Enhancement), spielt die große Idee der Unsterblichkeit eine zentrale Rolle: Die Konservierung des Geistes über den physischen Tod hinaus wird neben der zunehmenden Verschmelzung von menschlichem Organismus und technischen Formen zum Wesenskern transhumanistischen Denkens. Lohs Kritik an dieser Form des Denkens entzündet sich vor allem am Bruch mit dem humanistischen Postulat des Menschen als Selbstzweck. Der Transhumanismus sorge im Gefolge von ökonomischen Kontrollinteressen vielmehr für die Aufhebung dieser Idee zugunsten menschlicher Fremdbestimmung im Sinne kalkulierter wirtschaftlicher Optimierung. Sie kritisiert zudem den simplifizierenden Grundzugang des Konzepts, der den Menschen basal als ausschließlich universell strebend auszeichne, um daraus eine quasi-fatalistische Idee der Unausweichlichkeit technischer Selbstoptimierung herzuleiten und einer Kontrolle des Menschen Tür und Tor zu öffnen. Auch würde der Mensch auf Basis transhumanistischer Ideen seiner Aktivität beraubt, die der Humanismus noch uneingeschränkt postulieren konnte; als rein passives Material der Umgestaltung erweise er sich gewissermaßen eingefügt in die ökonomisch zwangsläufige Optimierungslogik.

Die technologische Variante des Posthumanismus radikalisiert die transhumanistischen Ideen und lässt die Ausrichtung an technischen Entwicklungen zum Selbstzweck und nicht mehr nur zum Medium avancieren. Diese Glorifizierung des Artifiziellen führt zu einer Ablösung und Überwindung des Menschen durch eine künstliche Superintelligenz – wie programmatische Vertreter wie Ray Kurzweil proklamieren. Durch die Übertragung des menschlichen Gehirns auf ein künstliches Trägerformat (Mind Uploading) wird die einstmals menschliche Person virtuell nachgebildet und erlangt die Unsterblichkeit. Dieses bereits im Transhumanismus relevante Modell der kritisch zu betrachtenden Reduzierbarkeit menschlicher Komplexität auf Bewusstseinsinformationen changiert damit noch zwischen den Polen von (transhumanistischer) Optimierung und hier im Fokus stehender Überwindung des Menschen. Gänzlich neu dagegen ist der im technologischen Posthumanismus beabsichtigte Aufbau einer Superintelligenz, einer Singularität, die als Vollendung den Menschen als eigenständiges Gegenüber verdrängt. Sie zeichnet sich (nach Nick Bostrom) über eine radikale Geschwindigkeit, die Vereinigung kollektiver Intelligenz und permanente Qualitätssprünge aus und kann sich als eigenaktive Instanz fortwährend selbst weiterentwickeln. Ob eine solche quasi-göttliche „Universal-KI“ als moralischer Akteur relevant wird oder eine eigene Handlungsethik programmiert, bleibt fraglich und offen. Ebenso problematisch an diesem Konzept ist aus Lohs Sicht (neben der momentanen Unvorstellbarkeit) die radikale Skepsis und Entfremdung gegenüber dem als defizitär wahrgenommenen menschlichen Körper. Der Geist wird in seiner Ausschließlichkeit zum elementaren Signum der Kontrollfunktion, negiere völlig seine Abhängigkeit vom Körper, sodass das Konzept einem kritischen „Informationsmonismus“ aufgegessen sei, der sich gänzlich von den philosophisch-anthropologischen Grundannahmen abkopple und die Essenz des Menschen auf geistige Informationseinheiten reduziere.

Mit der zuletzt vorgestellten Strömung des kritischen Posthumanismus verortet sich Janina Loh gewissermaßen selbst im Diskurs und deutet an, dass sie mit ihrer Arbeit ein ähnliches Interesse wie die exemplarisch zu nennenden Hauptvertreter Katherine Hayles, Rosi Braidotti und Cary Wolfe verfolgt: Als quasi extreme Form des Poststrukturalismus versucht sich der kritische Posthumanismus in Anlehnung an Michel Foucault und Jacques Derrida an einer Überwindung des humanistischen Menschenbildes über die Infragestellung zentraler Paradigmen westlichen Denkens. Ohne einen konkreten Neuentwurf des Menschen (wie es den vorherigen Spielarten unter Verwendung des Technikdiskurses vorschwebt) wird an dieser Stelle die profunde Kritik als umfassend kritische Theoretisierung humanistischer Grundannahmen wichtig. Im Kern geht es den kritischen Posthumanisten konkret in allererster Linie um die Zurückweisung eines Anthropozentrismus, der den Menschen ins Zentrum aller Weltzugänge stellt. In Verbindung mit der problematischen Subjektkonzeption von Kohärenz, Rationalität, Freiheit und Agency führe diese Mittelpunktstellung zu einer moralischen Machtposition, die den Keim von Diskriminierung, Imperialismus und Rassismus – wie die Weltgeschichte nahelegt – bereits in sich trägt. Stattdessen sollte eine Art Pathozentrismus, der die Leidensfähigkeit von Natur, Tier- und Pflanzenwelt berücksichtigt, zu neuen Formen der Subjektivität führen und die alten Dichotomien (Mensch vs. Nicht-Mensch; Kultur vs. Natur) im Sinne eines Netzwerkdenkens (Bruno Latour) überwinden. Darüber hinaus hinterfragt der kritische Posthumanismus das Grundverständnis der Anthropologie: Der Mensch lasse sich nicht auf Basis eines Merkmals identitär festlegen, er besteht gewissermaßen ausschließlich im relationalen Sinne der vielen Identitäten, der Alteritäten. Das Denken in Verbindungen führt auch hier zum maßgeblich Neuen. Zuletzt plädieren die Vertreter für eine Neuausrichtung der Wissenskulturen: Das Objektivitätsgebaren und die disziplinären Grenzen der (akademischen) Wissenschaften müssten sich zugunsten einer Multi- und Transdisziplinarität jenseits konventioneller und vor allem fester Kategorisierungen auflösen.

Auch wenn sich Janina Loh innerhalb der Auseinandersetzungen zu Trans- und Posthumanismus positioniert, strahlt der Text primär eine kritische Offenheit und Distanz zu den thematisierten Denkrichtungen aus. Die Vorstellung sämtlicher theoretischer Spielarten in einem klar gegliederten und jeweils wiederholten Strukturkorsett geht als große Stärke des Buches einher mit der für alle Strömungen formulierten kritischen Einordung der Ideen. Diese zurückgenommene Warte der Autorin, die sich auf der anderen Seite nicht verliert in einer gänzlichen Positionslosigkeit, ermöglicht einen Zugriff auf das weitreichende Portfolio innerhalb des Themas, öffnet über die Offenlegung der wichtigsten Vertreter und Zentralbegriffe vielfältige Anknüpfungspunkte für eine weitere Beschäftigung.

Titelbild

Janina Loh: Trans- und Posthumanismus zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2018.
221 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885068082

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