Nicht standesgemäß

Annette Lorey beschreibt das Leben Nelly Manns

Von Irmela von der LüheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmela von der Lühe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kennt sie fast ausschließlich aus den Beschreibungen anderer: aus Äußerungen Katia, Klaus, Golo und Thomas Manns, aus autobiographischen Erinnerungen Hermann Kestens, Lion Feuchtwangers oder Wilhelm Herzogs. Durchgehend sind diese Beschreibungen ebenso misogyn wie missgünstig und voller Vorurteile gegenüber einer Frau aus sogenannten kleinen Verhältnissen. Als Bardame verschlug es Nelly Kröger ins Berlin der roaring twenties; dort traf sie auf den berühmten Schriftsteller Heinrich Mann, der eine gescheiterte Ehe hinter sich und eine Liebschaft mit der bekannten Schauspielerin Trude Hesterberg noch nicht beendet hatte. Seit 1930 sind sie ein Paar; 1933 folgte Nelly Kröger Heinrich Mann ins Exil zunächst nach Frankreich, sodann 1940 in die USA; dort nahm sie sich 1944 das Leben. Der Untertitel dieser Lebensbeschreibung einer Frau, die – von Briefen und Postkarten abgesehen – keine eigenen Zeugnisse hinterlassen hat, ist wahrlich treffend: „Heinrich Manns Gefährtin im Exil“.

Wie Nelly Kröger, die eigentlich Emmy hieß, am 15. Februar 1898 in Ahrensbök unehelich geboren wurde, in Niendorf an der Ostsee aufwuchs und lediglich eine zweiklassige Volksschule absolvierte, sich in Berlin durchgeschlagen hatte, darüber weiß man wenig, am wenigstens von ihr selbst. Umso einprägsamer erscheint sie als literarische Figur, zu der sie Heinrich Mann in seinem 1932 erschienenen Roman Ein ernstes Leben machte. Es ist eine der für Heinrich Manns Werk charakteristischen literarischen Milieustudien, in diesem Falle zentriert um die Welt der „kleinen Leute“, die unter den Bedingungen der ökonomisch und politisch immer instabiler werdenden Verhältnisse in den zwanziger Jahren ums materielle Überleben kämpfen. Zu den vielen Vorzügen der vorliegenden Lebenserzählung gehört, dass sich die Verfasserin auf die realgeschichtliche Auswertung einer solchen literarischen Quelle gar nicht erst einlässt. Hermann Kestens folgenreiche Behauptung, Nelly Kröger habe ihre Geschichte angeblich zunächst selbst aufgeschrieben, aber Heinrich Mann habe das Manuskript vernichtet und den Roman selbst verfasst, quittiert sie mit dem lakonischen Hinweis, dass es für diese Behauptung keinerlei Beweise gebe. Hingegen liefere die Geschichte den Beweis für den früh einsetzenden und sich hartnäckig fortschreibenden Versuch, Nelly Krögers empörende Naivität, ihre notorische Selbstüberschätzung zu konstatieren. Gegen solche Zuschreibungen setzt die Verfasserin ihr eigenes Anliegen: Sie will Leserinnen und Leser an der Entdeckung eines „unkonventionellen Frauenlebens in politisch stürmischen Zeiten“ und zugleich an der „Geschichte einer großen Liebe“ teilhaben lassen. Dass dies auf weiter Strecke sehr gut gelingt, hat nicht zuletzt mit der souverän-kenntnisreichen Darstellungsperspektive der Biographie zu tun, die ebenso anschaulich-narrativ wie präzise historisch-kontextualisierend verfährt. Für Anlage und Argumentationsgang des Buches wäre es dennoch hilfreich gewesen, hätte die Verfasserin diejenigen „unveröffentlichten Dokumente“ genannt, auf die sie erstmals Zugriff hatte und die bisherigen biographischen Arbeiten über Nelly Kröger noch nicht zur Verfügung standen.

Wiewohl scheinbar beiläufig, so doch atmosphärisch durchaus plausibel werden einleitend Landschaften, jahreszeitliche Gepflogenheiten und wirtschaftlich-soziale Gegebenheiten beschrieben, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Arensbök und Niendorf herrschten; in knappen, bildstarken Abschnitten wird das Berlin der Weimarer Republik und damit das Milieu skizziert, in dem die spätere Nelly Mann als Animierdame arbeitete und eines Tages dem erfolgreichen und politisch exponierten Schriftsteller Heinrich Mann begegnete. In unmittelbar aufeinander folgenden Abschnitten liest man über „Nelly Kröger– Lola-Lola und der blaue Engel“ und über die „Krise der Republik“. Die „Liebe im Verborgenen“, die sich zwischen Nelly Kröger und Heinrich Mann seit Ende der zwanziger Jahre entwickelte, erscheint eingebettet in SA-Aufmärsche im von Krisen geschüttelten Berlin, in dem Nelly Kröger zur „Haushälterin, Sekretärin, Geliebten“ wird. Gerade weil wirkliche „Ego-Dokumente“ aus der Feder Nelly Manns fehlen, wird mit einem solch kontrastierenden Erzählverfahren ein biographisches Zeit-und Persönlichkeitsbild gezeichnet, das sich mit Nachdruck gegen die Dominanz negativer Fremdbilder, die sich von Nelly Mann tradiert haben, zu behaupten versucht.

Und doch muss sich ein solches Darstellungs-und Erzählverfahren mit Verkürzungen und Lücken arrangieren. Wo handfeste Quellen und definitive Zeugnisse fehlen, da ist der Versuchung zur wohlmeinenden, psychologisierenden Spekulation nicht leicht zu widerstehen. Immer wieder greift die Verfasserin daher zu rhetorischen Fragen, die den Leserinnen und Lesern verdeutlichen sollen, was man nach der Schilderung von Tatsachen und historischen Ereignissen aus der Perspektive Nelly Krögers wohl gern wüsste. So etwa, wenn die zweifellos prekäre Situation, da am 27.März 1931 Heinrich Manns 60.Geburtstag in der Preußischen Akademie der Künste mit großem Empfang und Festbankett begangen wurde. Die „neue Lebensgefährtin“ des Jubilars blieb zwar unsichtbar, war womöglich für die Vorbereitung von „Kognak und Brötchen“ in der Wohnung Heinrich Manns zuständig. Darüber ist nicht nur nichts bekannt oder in Zeugnissen Dritter erwähnt, an solchen Stellen erlaubt sich die Verfasserin, wozu sie sich auch in anderen Fällen veranlasst sieht: Sie stellt Fragen wie: „Wer hat die Bewirtung in Heinrich Manns Wohnung besorgt, war es Nelly“; oder: „Nimmt sie in irgendeiner Form teil an seinem Leben als Schriftsteller und Person des öffentlichen Lebens, wird sie ferngehalten oder legt sie keinen Wert darauf?“ Aus moderner Sicht mögen solche und ähnliche Fragen dem Anliegen, ein Bild von Nelly Kröger zu zeichnen, dienlich sein; dass sie eher einem romanhaften Erzählverfahren geschuldet sind, das die Besonderheit dieses Frauenlebens einer Gegenwart vermitteln möchte, in der alle wichtigen und unwichtigen Gefühlsbelange des Subjekts dauerhaft in digitaler Vervielfältigung zur Verfügung stehen, scheint offenkundig und hätte man sich gelegentlich doch gern kritisch reflektiert gewünscht.

Unnötig zu betonen, dass es sich um die Liebesgeschichte eines in jedweder Hinsicht höchst unterschiedlichen Paares handelt. Nelly Kröger war 27 Jahre jünger als Heinrich Mann, hatte weder Schul-noch Berufsausbildung, es hingegen im Amüsierbetrieb rund um den Berliner Kurfürstendamm als Bardame zu etwas gebracht. Für den zwar stets korrekt gekleideten, in Lebenswandel, politischer Ansicht und künstlerischer Position indes durchaus nonkonformistischen Schriftsteller Heinrich Mann wurde sie offenbar zur großen Liebe. Sie suchte und fand die materielle und emotionale Geborgenheit, der ihre lebenslange Sehnsucht galt, er fühlte sich exil-und geschlechtertypisch insbesondere in ihrem Körper geborgen. Einhellig war und blieb das Urteil im Freundes-und Familienkreis: Sie galt insbesondere im Exil in Frankreich als gute Gastgeberin und großartige Köchin, freilich mit einer Neigung zu ordinären Reden, exzessivem Alkoholgenuss; auch das Casino in Monte Carlo hat sie offenbar gern frequentiert. Dem Werk ihres Mannes begegnete sie mit großem Respekt, seine politischen Positionen teilte sie ganz entschieden; schon in Berlin hatte sie Freunde in kommunistischen Kreisen, von denen vor allem einer, Rudolf Carius, der im Auftrag der KPD in Frankreich und sodann im Spanischen Bürgerkrieg Kurierdienste leistete, eine wichtige Rolle spielte. Während des sieben Jahre andauernden Exils in Südfrankreich, da Heinrich Mann als Vorsitzender des Volksfront-Ausschusses und als regelmäßiger Beiträger für die Dépêche de Toulouse, schließlich mit dem Henri Quartre die Stimme des „anderen Deutschland“ repräsentierte, war sie es, die den Alltag organisierte, ihm „den Rücken freihielt“. Es gehört zu den großen Vorzügen dieser Biographie, dass sie mit einer solchen wiederum gleichermaßen geschlechter- wie exiltypischen Rollenteilung nachgerade selbstverständlich umgeht. Die Verfasserin konstatiert und beschreibt, zitiert ausführlich aus der Korrespondenz des Paares, beklagt aber niemals ein weibliches Schicksal.

Stattdessen gilt die (wahrlich berechtigte, nein überfällige) Kritik einem schon zu Lebzeiten und auch noch post mortem verbreiteten „Zerrbild“ von Nelly Kröger. Mit einer Fülle von Belegen aus der Feder von Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten, Thomas Mann, Ludwig Marcuse – wird der Nachweis erbracht, dass es dem gelebten Leben dieser Frau nicht nur nicht gerecht wird, sondern sich um schiere „Männerphantasien“ handelt; an denen freilich auch Frauen wie Alma Mahler-Werfel und Salka Viertel ihren Anteil hatten. Umso wichtiger sind die erhaltenen und ausführlich zitierten „positiven“ Urteile über Nelly Kröger: von Blandine Ebinger, Eva Lips u.a.. In ihnen erscheint sie als einfühlsame Frau, die am Schicksal anderer, so desjenigen der Freundin Salomea Rottenberg und ihrer Familie, intensiv Anteil nimmt; die sich um das Schicksal ihres kommunistischen Freundes, Rudolf Carius, sorgt; die sich nach Freundschaft und Anerkennung sehnt und dabei stets um den im amerikanischen Exil materiell und schriftstellerisch kaum mehr erfolgreichen Heinrich Mann bemüht ist. Im französischen Exil war Heinrich Mann als Autor des Untertan und des Henri Quatre als Repräsentant eines geistigen Deutschland verehrt worden, das nur noch außerhalb der deutschen Grenzen existierte. Seit 1940 sollte sich dies radikal ändern, in Amerika konnte Heinrich Mann nicht wirklich Fuß fassen; die Rolle des Repräsentanten deutscher Kultur im Exil war an seinen Bruder Thomas Mann übergegangen. Nelly Kröger erlebte – so zeigen ihre Briefe – vor allem das Exil in Kalifornien als eine dauerhafte Bedrohung, denn zur materiellen Not kam eine offen bekundete aggressive Antipathie gegen sie aus der Familie Thomas Manns und anderer Angehöriger der Emigranten-Enklave in Hollywood. Auch wenn Nelly Kröger die heftigen Ausfälle gegen sie, die sich in Thomas Manns Tagebüchern oder in Katia Manns Briefen finden, nicht kennen konnte; die offen gezeigte Abneigung konnte ihr nicht verborgen bleiben: ob ihre Alkoholkrankheit als Ursache oder als Antwort auf diese sozial-und milieutypische Ausgrenzungserfahrung zu verstehen ist, lässt sich naturgemäß nicht entscheiden. Wie denn überhaupt die Ursachen und Umstände, die Nelly Kröger schon in Nizza für mehrere Wochen ins Krankenhaus zwangen und in USA im Jahre 1943 zu einer Art Zwangseinweisung führten, Stoff für dramatische Erzählungen liefern, die mit charakteristischen Abweichungen und Übertreibungen schon die Zeitgenossen kolportiert haben. Den entsprechenden Passagen folgt man angesichts der dürftigen Quellenlage durchaus mit Spannung; das Romanhafte dieses Lebens wird hier behutsam und doch nachdrücklich aus den Andeutungen in der Korrespondenz zwischen Heinrich Mann und seiner Frau (das Paar hatte am 10. September 1939 in Nizza geheiratet) destilliert. Gegen ihre Hospitalisierung hat Nelly Kröger auch später in Los Angeles rebelliert. Immer wieder hat Heinrich Mann ihr Zuversicht zu vermitteln versucht; sie selbst bekundet auf ebenso rührende wie authentische Weise den Wunsch, gesund zu werden und ihrem Mann in Haushalt und Beruf zur Seite zu stehen.

Das amerikanische Exil führte für das Paar in mehrfacher Hinsicht ins Desaster. Die Hoffnungen Heinrich Manns auf Fortführung seiner schriftstellerischen Arbeit u.a. als Drehbuchautor für Hollywood erfüllten sich nicht; Schulden häuften sich und Nelly Krögers Versuche als Schneiderin oder Krankenschwester Geld zu verdienen scheiterten. Auch hier wieder lässt sich schwer entscheiden, ob die Alkoholkrankheit Ursache oder Folge der materiellen und seelischen Not war. Ein von ihr verschuldeter Autounfall rief die Gerichte auf den Plan, Angstzustände und die Einweisung in ein Krankenhaus waren die Folge. Thomas Mann half finanziell, die Sorge um den Bruder war indes so groß, dass man offenbar ernsthaft erwog, das Paar auseinander zu bringen. Die letzten Lebensmonate Nelly Krögers, die am 16.Dezember 1944 an den Folgen eines Selbstmordversuchs starb, waren – begleitet von entsprechenden Presseberichten – dramatisch; und an dramatischen Berichten und Reminiszenzen ist auch die Nachgeschichte Nelly Krögers auf peinlich-ärgerliche Weise reich.

Auch hier bewährt sich die Entscheidung der Verfasserin, die vorhandenen Quellen selbst sprechen zu lassen und damit die Genese und zugleich die Kontinuität eines „Zerrbildes“ zu rekonstruieren, das Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten und Ludwig Marcuse zu zeichnen begonnen hatten; gegen das Alfred Kantorowicz ergebnislos anzugehen versuchte; das der Schriftsteller Joachim Seypel in einen zweifelhaften Roman (Abschied von Europa, 1975) überführte, das von Golo Mann in heftiger Kritik an den 1973 veröffentlichten Arbeitsjournalen Bertolt Brechts bestätigt wurde und das bis in die Romane von Michael Lenz (Pazifik Exil, 2007 ) und Klaus Modick (Sunset, 2011) und bis in die Heinrich Mann-Biographien von Manfred Flügge (2006) und Willi Jasper (1994, 2007) reicht, um schließlich in dem Film-Epos von Heinrich Breloer seine cineastische Verewigung zu feiern. Nelly Kröger ist stets die Mesalliance mit schlechten Manieren, Neigung zu hysterischen Ausfällen und krankhaften Wahnvorstellungen, die vor allem im amerikanischen Exil den ohnehin schwer gebeutelten Dichter in Armut und Elend treibt. Dass sie zwischen Ängsten und Verzweiflungsanfällen, Krankheit und wachsenden Alkoholproblemen immer erneut den Versuch machte, Arbeit zu finden und das gemeinsame Leben aufrecht zu erhalten, dass sie Heinrich Manns Manuskripte abschrieb und ihn in jedweder Hinsicht zu unterstützen versuchte, vor allem aber, dass der sechs Jahre vor seinem eigenen Tode zum Witwer gewordene 73jährige Schriftsteller niemals anders denn in Trauer und Verzweiflung über diesen Verlust seiner „Gefährtin im Exil“ sprach, all dies scheint die bis in die Gegenwart reichende negativ-misogyne Perspektive auf Nelly Kröger nicht beeinträchtigt zu haben. Mit allen erreichbaren Dokumenten und Quellen, freilich auch mit nicht selten ermüdenden, weil nicht wirklich beantwortbaren rhetorisch-empathischen Fragen arbeitet die vorliegende Biographie dieser virilen Deutungshoheit entgegen und öffnet damit den Blick auf ein „ernstes Leben“ in politisch und existenziell schweren Zeiten.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Annette Lorey: Nelly Mann. Heinrich Manns Gefährtin im Exil.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2021.
404 Seiten, 26 EUR.
ISBN-13: 9783826073106

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch