Die Lösung ist, dass es keine gibt

Ein Nachruf auf den Filmregisseur und Künstler David Lynch, der das Unsagbare zur Sprache des Kinos gemacht hat und in einem Buch verriet, wie man dabei die großen Fische fängt

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir spiegeln alle die Welt, in der wir leben.

David Lynch

 

Wer über seine Filme spricht, hat schnell das Label „surrealistisch“ zur Hand. Nur wird das seinen Filmen so wenig gerecht ,wie wenn in anderen vergleichbaren Fällen etwa von kafkaesk die Rede ist. Wir lieben Schubladen und Etiketten und sparen uns damit das Denken. Denn in Wahrheit sagen wir mit diesen Zuordnungen nur, dass wir es gerne bequem haben. Und wenn ein Künstler wie David Lynch Erwartungen konsequent ignoriert, Lösungen verweigert und uns mit lauter offenen Fragen zurücklässt, dann ist das natürlich verdammt unbequem. Nur ist eben Zugänglichkeit kein Qualitätsmerkmal für Kunst. Der Rätselcharakter ist ihr förmlich als DNA eingepflanzt. Irgendwann hatte Lynch sein Publikum so gut trainiert, dass es die Erwartungen an der Eingangstür zum Kino zurückließ.

Gerade dass seine Filme nicht nacherzählbar sind, hat Dietmar Dath in seinem Nachruf für die Frankfurter Allgemeine als ihren besonderen Sinn ausgemacht. Und, ganz wichtig: Dath nennt Lynch einen großen Realisten, denn die USA seien nun mal so seltsam wie er sie in seinen Filmen zeige. Dieser Empfehlung schließe ich mich gerne an und würde allerdings die „Seltsamkeit“ globaler dimensionieren und als generelle Kulturkritik im Sinne des leider in Vergessenheit geratenen Psychiaters Ronald D. Laing verstehen. Laing spricht in seiner „Phänomenologie der Erfahrung“ von den „ungeheuren sozialen Realitäten“, die unsere Kultur hervorgebracht habe: „Das strukturelle Gewebe solcher sozial geteilten Halluzinationen nennen wir Realität, und unsere abgekartete Verrücktheit nennen wir geistige Gesundheit.“ Oder anders gesagt: Wer in verrückten Verhältnissen verrückt reagiert, reagiere doch eigentlich normal – nämlich systemkonform.

So weit so gut. Was das mit David Lynch und seinen Filmen zu tun hat, bliebe hier zu diskutieren. Sein Tod gibt jedenfalls Anlass zu einem Rückblick auf sein künstlerisches Schaffen. Einen guten Grund, sich mit ihm zu beschäftigen, gab es freilich schon immer, nur wissen wir jetzt, dass seine Mission unwiderruflich an ihr Ende kam und damit auch die von ihr ausgehenden, uns zuverlässig herausfordernden Botschaften aus Los Angeles. Lynch verstarb dort am 15. Januar nach schwerer Krankheit, die ihm buchstäblich die Luft zum Atmen nahm. Geboren wurde er am 20. Januar 1946 in Missoula im US-Bundesstaat Montana, in einer von Bergen umgebenen Kleinstadt – eine amerikanischen Provinz-Idylle wie aus dem Bilderbuch. Wohl schon dort war ihm klar, dass unter den sauber polierten Oberflächen etwas ganz Anderes lauert:

Und so wie ich aus Missoula, Montana, bin, das nicht gerade die Surrealismus-Hauptstadt der Welt ist, kannst du überall sein und Befremdliches darin sehn, wie die Welt derzeit ist, oder eine bestimmte Sicht der Dinge haben.

Lynch verwendet hier selbst den Begriff Surrealismus, weshalb dieser mit Blick auf seine bevorzugten Ästhetiken nicht wirklich ein Tabu sein kann. Genauso wenig sind übrigens Aussagen falsch wie die, Lynch sei der erste surrealistische Filmemacher in den USA gewesen. Und auch Titel wie „Meistersurrealist mit Silbertolle“, wie ihn beispielsweise die Zeitung The Guardian gebraucht, passen durchaus ins Bild. Aber in dem Begriff steckt eben auch ein anderer – Realismus. Und der spielt von Anfang eine entscheidende Rolle in Lynchs Filmen. Er findet die Geschichten wie die Kulissen in der Wirklichkeit. So extrem die Filme auch wirken, die Gewalt in ihnen ist der Realität abgeschaut. Da musste nichts hinzugefügt werden. Und Lynch ist der Detektiv, der ihr nachforscht, und eben nicht der Täter. Er glaubt sogar an das Happy End, obschon bei andauernder Gefahr.

Doch bevor sich für Lynch die Bilder zu bewegen beginnen, studiert er Malerei an der Kunstakademie in Philadelphia. Der britische Künstler Francis Bacon wird zu einem seiner Favoriten. Etwas fehlt ihm jedoch im statischen Tafelbild und eines Tages erkennt er, was da fehlt – die Bewegung. Und so kommt er Ende der 1960er Jahre dazu, Animationsfilme herzustellen. Der nächste Schritt wird dann der sein, eine Filmkamera in die Hand zu nehmen. Er wechselt das Studium und beschäftigt sich nun mit dem Film.

Mit dem Film Eraserhead stellt er sich 1977 dem großen Publikum vor. Ein düsterer, alptraumhafter Film, der viel von dem Schock mitteilt, den Lynch erlebte, als er von Missoula nach Philadelphia wechselte. Denn die Stadt am Delaware River war damals heruntergekommen, hässlich, gefährlich und brutal, umgeben von Industrieanlagen und Fabriken in lauter Grautönen. Rückblickend nannte er Philadelphia ein „Drecksloch“. Der Schwarz-Weiß-Film fängt genau das ein, wobei Lynch gesteht: Was andere hässlich finden, sei für ihn schön. Gleichwohl spricht er davon, es sei sein „spirituellster Film“. Die Ästhetik des Hässlichen hat er damit zwar keineswegs neu erfunden, doch traf Eraserhead auf den damals in der Musik immer wichtiger werdenden Punk Rock, der sich ästhetisch auf der gleichen Spur befand. Der Film wurde regelrecht zum Kultfilm der späten 1970er. Stanley Kubrick bekannte während der Dreharbeiten zu Shining seine Bewunderung für Eraserhead – mit Sicherheit eine Auszeichnung der besonderen Art.

Und damit wurde auch Hollywood auf David Lynch aufmerksam. The Elephant Man von 1980 wurde ein Kinoerfolg, die darauffolgende Science-Fiction Dune hingegen ein Flop. Die Lehre daraus war, künftig eigene Wege zu gehen. Von dem Ort Hollywood wollte Lynch allerdings nie wieder weg. Als er in Los Angeles ankam, sei er sofort begeistert von dem Licht – „es bezauberte meine Seele“, und glücklich gewesen, mit diesem zu leben, lesen wir in dem Buch „Catching the Big Fish“, das im Übrigen all jenen zur Lektüre empfohlen sei, die sich mit dem Denken des Regisseurs vertrauter machen wollen. Was wir darin nicht finden, das sind Interpretationen seiner Filme. Denn die verweigerte Lynch strikt: Es sei „absurd, wenn ein Filmemacher in Worten sagen muss, was ein Film bedeutet“. „Ein Film sollte für sich selbst sprechen.“ Trotz der Bezauberung durch das Licht Kaliforniens, wusste Lynch zugleich um Hollywoods bösen Geist, den er später in einigen Filmen beschwören wird.

Während der Arbeit an Blue Velvet (1986) lernt er den Musiker Angelo Badalamenti kennen, der dann für alle weiteren Filme die Musik komponieren wird. Dabei war für Lynch ein „offenes Arbeiten“ wichtig, wie er es nannte. Seine Filme entstanden als ein Work in Progress, er beschrieb eine Mischung aus Reden, Aktion und Reaktion aller Beteiligten unter Einbeziehung der Macht des Zufalls. „Die Sehnsucht nach einer Idee ist wie ein Köder.“ Früher oder später beiße sie an. Auch wenn man zu Beginn ganz weit von der Sache entfernt sei, so komme man ihr mit Reden und Proben immer näher, bis alle Beteiligten sagen: Ich glaube, ich hab’s kapiert. Er wollte nie, wie manch andere Regisseure, seine Macht im Studio ausleben. Angst bei der Arbeit am Set lehnte Lynch strikt ab.

Mit dem Pilotfilm Twin Peaks von 1992 und der daraus entstandenen TV-Serie war seine Maxime, es gebe weder Lösung noch Antworten wohl auch beim Publikum angekommen und wurde wie eine Art Gütesiegel akzeptiert. Die Menschen ließen sich, zumindest in großen Teilen, nicht mehr davon abschrecken. Im Gegenteil, das Credo half mit, aus den Filmen Kult werden zu lassen.

Lynchs Lebensort Los Angeles blieb auch Inspirationsort – zu erinnern ist hier an die Los-Angeles-Trilogie, die 1997 mit Lost Highway startete, dem dann 2001 Mulholland Drive folgte und die 2006 mit Inland Empire ihren Abschluss fand. Der erste Film nahm in dem Mordprozess gegen O. J. Simpson seinen Anfang – verbunden mit der Beobachtung, wie dieser Mörder mal lächeln, mal lachen konnte, was Lynch beeindruckte. „Er konnte scheinbar ohne große Probleme später zum Golfplatz gehen“, als wäre nichts geschehen. „In gewisser Hinsicht handelt Lost Highway also davon. Und auch davon, dass nichts für immer verborgen bleiben kann.“ Mulholland Drive wiederum sollte eine Serie werden, weshalb hier bewusst mit einem offenen Ende gedreht wurde.

Inland Empire entstand nicht nur offen prozesshaft, ohne vorgezeichneten Weg oder Drehbuch, sondern war vielleicht mehr als alle anderen Projekte wie ein Puzzle aus lauter Fragmenten entstanden. Am Anfang gab es nur einen 14-seitigen Monolog, andere Teile kamen später eher planlos hinzu. „Es ist interessant zu sehen, wie diese unzusammenhängenden Dinge zusammen nun lebendig werden.“ Lynch umschreibt es so: „Der Ozean ist die Einheit, und diese Dinge treiben auf ihm.“ Und weiter:

Doch erst, als ich halbwegs damit fertig war, sah ich plötzlich eine Art Form, die auch den Rest vereinigen würde mit allem, was vorher gekommen war. Und das war ein großer Tag. Das war ein guter Tag, weil ich ziemlich genau sagen konnte, dass es ein Spielfilm sein würde.

Dieser letzte Film wurde komplett mit einer Digitalkamera aufgenommen. Die Art des Filmens, die sie ermöglichte, passte schließlich ideal zu Lynchs offener Arbeitsweise, der wir geniale Filme verdanken. Und wenn uns  Lynch in dem zitierten Buch auch noch seine Vorbilder nennt, (nämlich Billy Wilder mit Sunset Boulevard und The Apartment oder Federico Fellini, den er in Rom im Krankenhaus besuchte – kurz bevor dieser in ein Koma fiel, aus dem er nicht mehr erwachte – und Alfred Hitchcock als den Meister des Suspense), dann mögen die zwar ihre eigenen Arbeitsweisen gehabt haben, doch ihr Bewunderer wurde wie sie ein unverwechselbarer Teil der Filmgeschichte.

„Kino ist eine Sprache. Es kann Dinge sagen – große, abstrakte Dinge. Und das liebe ich an ihm.“

Titelbild

David Lynch: Catching the big fish. Mediation, Kreativität, Film.
aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel.
Alexander Verlag, Berlin 2016.
167 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783895813801

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