Überfahrtsangst

In seinem Roman „Auf der anderen Seite des Flusses“ erzählt der argentinische Schriftsteller Pedro Mairal eine rasante Geschichte zwischen Krimi und Liebesroman

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zunächst sei angemerkt, dass die Übersetzung des Titels von Pedro Mairals Erfolgsroman recht misslungen ist, aber eben die gewünschte Wasser-Symbolik des mare-Verlags erfüllt. Im Original heißt der Text La Uruguaya, was deutlich besser zu dieser Geschichte passt, in der nationale wie geschlechtliche Gegensätze eine zentrale Rolle spielen. Überhaupt ist die Übertragung der kulturellen Eigenheiten, die Mairal in seinem Roman genüsslich gegeneinander ausspielt, manchmal etwas schwer nachzuvollziehen, was jedoch keinesfalls an der Übersetzung von Carola S. Fischer liegt, die über jeden Zweifel erhaben ist, sondern vielmehr an der Beschaffenheit des Textes.

Natürlich bedient sich Mairal zahlreicher, größtenteils totgetretener Klischees, um das Verhältnis zwischen Argentiniern und Uruguayern humorvoll zu skizzieren: Vom Dialekt, über den exzessiven Matekonsum der Uruguayer, die Nasenform ihrer Frauen bis hin zu dem falschen Sicherheitsgefühl, in dem sich Argentinier stets wiegen, wenn sie in das politisch und sozial deutlich organisiertere Nachbarland kommen – das ja schon immer im Volksmund, ob zu Recht oder nicht, die ‚Schweiz Südamerikas‘ genannt wurde.

Jenes Sicherheitsgefühl ist es auch, das den bankrotten Schriftsteller Lucas ins Verderben führt. Dieser lässt sich zwei Vorschüsse von ausländischen Verlagen in Dollar auf ein eigens eingerichtetes Konto in Uruguay überweisen, um Steuern und Abgaben zu sparen. Morgens bricht er in Buenos Aires auf, um den Río de la Plata (siehe deutscher Titel) in Richtung Montevideo zu überqueren. Aber das Geld ist nicht sein einziges Begehr. Auf einer Autorentagung ein paar Monate zuvor hat er die junge Magalí kennengelernt, mit der er unbedingt eine Affäre beginnen möchte, obwohl er zuhause nicht nur Frau und Kind hat, sondern seit Monaten auch noch vom Einkommen seiner Frau lebt. Nachdem er das Geld auf der Bank geholt und sich daraufhin mit der jungen Dame getroffen hat, ziehen beide durch Montevideo; Lucas dabei stets darauf aus, seine Begleiterin möglichst schnell ins Bett zu kriegen. Natürlich kommt am Ende alles anders…

Dadurch, dass der Roman an einem einzigen Tag spielt, ist er trotz der Vorhersehbarkeit seines Plots äußerst spannend zu lesen; auch, weil er sehr rasant geschrieben ist. Mairal hält sich nicht mit Details auf, sondern lässt seinen sextrunkenen Ich-Erzähler wie einen Idioten durch die fremde Stadt irren: Dieser betrinkt sich maßlos, kifft, lässt sich ein Tattoo stechen, kauft eine Ukulele, mietet ein teures Hotelzimmer, das er nicht mehr betreten wird, usw.. Nebenbei staunt er über die kleinen, aber bedeutsamen kulturellen Unterschiede zwischen Buenos Aires und Montevideo, die sein Verhalten jedoch umso idiotischer erscheinen lassen.

Auch mit literarischen Anspielungen geizt Mairal nicht: Immer wieder wird auf die Großen der argentinischen und uruguayischen Literatur verwiesen: Borges, Cortázar, Onetti, sogar das argentinische Nationalepos, der Martín Fierro, werden nicht in Ruhe gelassen. Und wem noch nicht klar wurde, dass der Name der Heldin auf die berühmte Maga aus Cortázars Rayuela verweist, dem erklärt es der Erzähler überschwänglich. Der nämlich, so erfahren wir am Ende, nutzt den missglückten Uruguay-Trip um aus seiner Schreibkrise zu kommen und eine möglicherweise – bedenkt man die vielen literarischen Anspielungen – fiktionalisierte Verarbeitung seiner Schande zu verfassen.

So unterhaltsam der Roman (vor allem in der ersten Hälfte) ist, so plakativ und simpel kommt er trotz dieser Einbettung in die Literaturgeschichte des Río de la Plata daher. Das muss nichts Schlechtes sein. Gerade im Zusammenhang der vielen dunklen und komplexen Texte, die sich mit der düsteren argentinischen Vergangenheit beschäftigen und welche die Literatur des Landes lange Zeit geprägt haben, mutet ein so leichter Roman auch mal ganz nett an. Viel mehr aber auch nicht.

Titelbild

Pedro Mairal: Auf der anderen Seite des Flusses.
Aus dem argentinischen Spanisch von Carola S. Fischer.
Mare Verlag, Hamburg 2020.
176 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783866486034

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