Wechselseitiger Einfluss und Vielfalt der Künste
Der Begriff der Transkulturalität in den Augen von Wolfgang Welsch
Von Barbara Mariacher
Der Begriff der Transkulturalität, mit dem sich der 1946 im bayrischen Steinenhausen geborene Philosoph Wolfgang Welsch bereits seit den 1990er Jahren in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen beschäftigt und den er maβgeblich konturiert hat, steht im Mittelpunkt der 2024 im Schwabe Verlag erschienenen Studie Wir sind schon immer transkulturell gewesen. Deutlich beschreibt Welsch darin Transkulturalität in klarer Abgrenzung zu den zum Teil abgenutzten, vielfach unscharf verwendeten Begriffen der Multi- und Interkulturalität. Diese halten nach Welsch in ihrem Kern noch immer an dem sogenannten Kugelmodell fest, das auf Johann Gottfried Herder zurückgeht. Demnach werden Kulturen als „intern homogene und nach auβen klar abgegrenzte Kugeln“ beschrieben, die nebeneinander existieren und auch gelegentlich aufeinander prallen können. Im Gegensatz dazu zielt der Begriff der Transkulturalität auf die Verbindungen, die Kulturen schon seit alters her miteinander eingehen.
Transkulturalität zeichnet sich durch vielfältige Mischungen aus sowie durch vertikale und horizontale Vernetzung von Kulturen und den damit verbundenen Gesellschaften. Es handelt sich für Wolfgang Welsch dabei um einen eminent politischen Begriff, der äuβerst verantwortungsbeladen ist. Denn „die Realität von Kultur ist immer auch eine Folge unserer Konzepte von Kultur“, so Welsch. Anders als Naturbegriffe sind Kulturbegriffe nämlich keineswegs „einfachhin deskriptive, neutrale oder unschuldige Begriffe […], sondern […] haben Einfluss auf ihren Gegenstand“. Das heiβt, dass der jeweilige gesellschaftspolitische Diskurs den dominaten Kulturbegriff mitprägt und umgekehrt. Unweigerlich fällt somit ein kritisches Licht auf das gegenwärtig so aktuelle Stichwort der Identitätspolitik, in dem nach Welsch das oben erwähnte, schon lange „überholte Kugeldenken […] fröhliche Urständ [feiert].“ Welsch warnt vor der in diesem Zusammenhang vielfach vorgenommenen „Gleichsetzung von Nation mit Kultur“ und stellt fest:
Es ist ein gängiger, aber gleichwohl grundlegender Fehler, eine Deckungsgleichheit von staatlichen und kulturellen Gebilden anzunehmen. Staaten haben territoriale Grenzen, Kulturen nicht.
Dennoch sind „Transkulturalisierungsprozesse […] oft alles andere als unschuldig“, schreibt Welsch unter Bezugnahme auf die postkolonialen Studien Edward Saids, der die Verstrickung von Kulturen in direktem Zusammenhang mit Machtausübung und kolonialem Dominazverhalten sieht.
Nach der oben skizzierten theoretischen Begriffsdiskussion beleuchtet Welsch zahlreiche Facetten und Ausdrucksmöglichkeiten von Transkulturalität anhand konkreter Beispiele aus den unterschiedlichsten künstlerischen Disziplinen. Das Spektrum reicht von der Antike bis zur Gegenwart, von der Musik bis zur Architektur, von der Literatur zur Malerei, vom Tanz über das Theater und dem Film bis hin zur Koch- und Alltagskunst. Dabei treten stets neue Einsichten und Zusammenhänge des Begriffs zu Tage. Von der gelegentlichen Inspiration, über intertextuelle und intermediale Bezüge bis hin zum komplexen kulturellen Transfer: der Begriff der Transkulturalität ist vielumfassend und bringt stets neue Einsichten in seinen Gebrauch. Mit zahlreichen faszinierenden Beispielen aus den unterschiedlichsten Künsten quer durch die Jahrhunderte und quer durch alle Gattungen und sozialen Schichten der Gesellschaft zeigt Welsch überzeugend, wie die Kunst „die gesellschaftliche Transkulturalität widerspiegelt und befördert.“
Wolfgang Welsch’ Studie ist ein wichtiger Beitrag, um der Verkürzung identitätspolitisch gefärbter Begriffe entgegenzuwirken und auszubrechen aus dem geschlossenen Denken nationalistisch grundierter Kulturvorstellungen. Es ist ein inspirierendes Buch, das eintaucht in die bunte Vielfalt miteinander verbundener und vernetzter Kulturen und so eine wichtige Grundlage bildet für jede kulturelle und identitätspolitische Debatte.
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