Nazis und der Nahe Osten – Matthias Küntzel hat untersucht, wie der islamische Antisemitismus entstand
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Berlin zwischen 1937 und 1945 keinen Aufwand scheute, um den Antisemitismus im Nahen Osten zu schüren, ist laut Matthias Küntzel kaum bekannt. Dabei hätten die nationalsozialistische Propagandaapparate in jenen Jahren sogar eine neue Form von Judenhass entwickelt und in der arabischen Welt massenhaft verbreitet: den islamischen Antisemitismus. Dieser kombiniere antijüdische Aussagen aus dem Koran mit dem verschwörungsbezogenen Antisemitismus der Moderne und somit negativste Judenbilder aus Christentum und Islam.
In Deutschland, so betont der Autor, habe eine Diskussion über diese radikale Variante von Judenhass kaum begonnen. Der Islam habe mit Antisemitismus nichts zu tun, heiße es oft beschwichtigend. Küntzel belegt, dass gerade Nazi-Deutschland schon in den Dreißigerjahren das judenfeindliche Potential des Koran entdeckt und für die eigenen Propaganda in der arabischen Welt instrumentalisiert hatte: Von Zeesen, einem südlich von Berlin stationierten Kurzwellensender, wurde der islamische Antisemitismus gezielt unter Muslimen verbreitet. Die Radiosendungen wurden zwischen April 1939 bis April 1945 alltäglich auf Arabisch, aber auch auf Persisch und Türkisch ausgestrahlt. So wie die Nazis in Europa den christlichen Antijudaismus radikalisierten, so nahmen sie im Nahen Osten den muslimischen Antijudaismus zur Grundlage, um ihn mit der europäischen antisemitischen Verschwörungstheorie zu verknüpfen.
Matthias Küntzels Studie Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand beleuchtet dieses bislang ignorierte Kapitel deutscher Vergangenheit und zeigt auf der Basis neuer Archivfunde, wie sich das Judenbild im Islam zwischen 1937 und 1948 unter dem Einfluss einer ausgefeilten arabischsprachigen Radiopropaganda und sonstiger Nazi-Aktivitäten veränderte.
Die Begegnung des Nahen Ostens mit der Nazi-Ideologie sei zwar nur kurz gewesen, doch sie wirke bis heute weiter nach. Denn während der Nazi-Antisemitismus überall sonst in der Welt diskreditiert war, so Küntzel, konnte er sich in Teilen der arabischen Welt als Weltanschauung erhalten. Die Botschaft dieses Buches lautet: Erst wenn wir begreifen, wie stark die moderne Nahostgeschichte von diesen Nachwirkungen des Nationalsozialismus geprägt ist, werden wir den Judenhass in dieser Region und dessen Echo unter Muslimen in Europa richtig deuten.
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