Von Medienbauern und den Zeitläuften

Matthias Ulmer schreibt die Geschichte des von ihm in fünfter Generation geführten Fachverlags Eugen Ulmer

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das vorliegende Buch ist so umfangreich, vielperspektivisch, detailliert, vollgepackt mit Informationen und mehreren Hundert Abbildungen, dass man als Rezensent von vornherein zu kapitulieren geneigt ist. So möge der Autor, Matthias Ulmer, der den Eugen Ulmer Verlag in fünfter Generation führt, nachsehen, dass hier nur wenige Aspekte des fast 800-seitigen, deutlich über zwei Kilogramm schweren, großformatigen Buchs, in dem über drei Jahre Arbeit neben der verlegerischen Tätigkeit stecken, vorgestellt werden können.

Zwei Hauptteile, die jeweils fast die Hälfte einnehmen und auf verschiedenen Papieren gedruckt sind, und ein kurzer Schluss mit „Ausblick auf die Zukunft“ sowie Verzeichnisse der verlegten Zeitschriften, der verwendeten Literatur sowie der Bildquellen strukturieren das Werk.

Der historische Teil, „Die Wirtschaftsgeschichte und der Verlag Eugen Ulmer“, der chronologisch angelegt ist, erzählt die Geschichte des Fachverlags, eingebettet in die Geschichte des Verlagsbuchhandels und untergliedert in „Die Kaiserzeit“ (1868–1918), „Von Weimar bis zur Studentenrevolution“ (1918–1968) sowie „Von der Reform zur Digitalisierung“ (1968–2018). Etliche Exkurse, unter anderen über die Frauen im Buchhandel vor dem Ersten Weltkrieg, über die „Bücherkrise“ in der Weimarer Republik, über Fraktur, Antiqua und Normalschrift im „Dritten Reich“ sowie über Rechnungswesen und Controlling im Verlag und über den Ratgeber im Buchhandel nach 1968, reichen weit über eine übliche Verlagsgeschichte hinaus. Sie geben einen lebendigen Einblick in das politische, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld, innerhalb dessen der Verlag in seiner 150-jährigen Geschichte agierte.

Doch, man muss es so konstatieren, die Geschichte des Verlags, seines Programms, seiner Bücher, seiner Autoren kommt dabei an vielen Stellen zu kurz. Das gilt vor allem für die Zeit nach 1945. Hier liest sich die Verlagsgeschichte wie eine Darstellung der politischen und der Branchengeschichte.

Beispielhaft für diese Akzentsetzung ist die Darstellung des Verlags in der nationalsozialistischen Zeit. Von der mehr als 50 Seiten langen Passage handeln letztlich nur vier Seiten vom verlegerischen Wirken im „Dritten Reich“. Matthias Ulmer zitiert zunächst die „Familienmythologie“, wonach der damalige Verleger Richard Ulmer eine „liberale schwäbische Gesinnung“ gehabt habe, „weshalb er dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstand“, und fragt dann nach den „Spuren, die die nationalsozialistische Ideologie im Programm […] hinterlassen hat“. Zur Beantwortung der Frage geht er von den 236 Titeln aus, die zwischen 1933 und 1945 publiziert wurden, und stellt fest, dass es „acht Werke [sind], die vom Titel her ins Auge fallen“. Vier davon seien „kaum zu kritisieren“. Die verbleibenden vier werden ausführlicher vorgestellt, wobei Ulmer allerdings eher auf die Verfasser und auf die Frage, wie die Titel in den Verlag kamen, eingeht als auf die Inhalte.  Das führt zu eigenartigen Formulierungen: „Insbesondere das dritte der verdächtigen Werke, die Deutsche Bauerngeschichte von Jakob Miller, bleibt rätselhaft. […] Wie kam das Werk in den Verlag, wer war der Autor?“ Dazu zitiert Ulmer ausführlich einen Brief seines Urgroßvaters Richard Ulmer, in dem dieser die Geschichte des Millerschen Werks im „Dritten Reich“ darstellt. Nachdem das 1942 erschienene Buch vergriffen war, habe er von der Parteiamtlichen Kommission, die zuvor dessen Rezeption behindert habe, die Anregung erhalten, „das Buch neu aufzulegen, wofür sie mir geeignete Mitarbeiter zur Verfügung stellen würden“. Richard Ulmer fährt fort: „Ich verzichtete selbstverständlich auf dieses Anerbieten, da ich nicht gesonnen war, dass aus dem Buch etwas ganz anderes geworden wäre als die von Anfang an geplante schlichte Darstellung einer Bauerngeschichte. Es wäre vielmehr ein ausgesprochenes Naziwerk daraus entstanden.“ Der Urenkel kommentiert: „Man kann sich nicht vorstellen, wie aus diesem Buch ein noch größeres Naziwerk hätte entstehen können.“ Er bestätigt damit seine eine Seite zuvor geäußerte klare Einschätzung, es sei „– offen und unkaschiert – ein von Ideologie, Rassenwahn und Antisemitismus strotzendes Werk. Alle Klischees der Ideologie des Dritten Reichs sind versammelt“. Das Augenmerk ist darauf zu lenken, dass der zitierte Brief im August 1946 geschrieben wurde, zu einem Zeitpunkt also, zu dem durchaus Rechtfertigungsbedarf für das Verhalten während der Nazizeit vorhanden war. Zumal in dieser Zeit die Entnazifizierungsverfahren in vollem Gang waren. Bei aller ausführlichen Zeitgeschichte wird davon und von einem Verfahren um die Person Richard Ulmer nichts erwähnt.

Beeindruckend an dieser Verlagsgeschichte ist, dass hier nicht nur Erfolgsgeschichten erzählt werden. So beschreibt der Exkurs über die Gründung des Verlags Les Éditions Eugen Ulmer in Paris detailliert die Vorgeschichte seit 1987, die Vorgehensweise und vor allem die Schwierigkeiten und Probleme, mit denen sich der 1993 gegründete Verlag in den Anfangsjahren auf sprichwörtlich fremdem Terrain konfrontiert sah. Aber auch die eigenen Fehler werden nicht verschwiegen. Nicht der Export deutscher Titel, sondern erst die Anpassung an den französischen Markt in Titelauswahl und Gestaltung brachte nach vielen Jahren den Erfolg.

Jede historische Darstellung, die einen langen Zeitraum abdeckt, muss sich der Frage nach der Epochengliederung stellen. Matthias Ulmer hat sich analog zur 150-jährigen Geschichte des Verlags zu einer je 50 Jahre umfassenden Dreiteilung entschlossen, die oben zitiert worden ist. Das trifft für die Kaiserzeit sicher zu, ob aber der Epocheneinschnitt 1968 sinnvoll gewählt wurde, muss doch bezweifelt werden, zumal damit die Systembrüche 1945 und 1989/1990 überspielt werden.

Der zweite Teil, „Wirtschafts- und Kulturgeschichte im Spiegel der Verlagsprodukte“, setzt das Ineinandergreifen von verlagsgeschichtlicher Darstellung und Exkursen in fünf Themenkreisen fort: Naturschutz, Landwirtschaft, Gartenbau, Obstbau sowie „Eine Mediengeschichte von Staudengärtnern und Privatgärten“, die jeweils chronologisch abgehandelt werden. So behandelt das Kapitel über den Gartenbau nicht nur die Geschichte von den Anfängen bis heute, sondern thematisiert auch den europäischen Binnenmarkt, die „Wiedervereinigung“ des Gartenbaus, die Einführung des Euro und die Frage der Digitalisierung im Gartenbau.

Auch für diesen zweiten Hauptteil gilt leider – wie schon zum historischen ersten Teil bemerkt –, dass die Verlagsgeschichte zu kurz kommt. Sie wird von den allgemeinen Darstellungen – um im Bild zu bleiben – überwuchert.

So ergibt sich ein zwiespältiges Gesamtbild: einerseits ein ungeheuer detailliertes, durch Beiziehung vieler historischer Quellen und Arbeiten fundiertes, aber auch ausuferndes Panorama; andererseits eine Verlagsgeschichte mit Leerstellen, die sich nur zum Teil aus der Überlieferungs- und Archivsituation erklären lassen.

Es bleiben kleinere Fragen: Warum erfährt man nichts über den Autor? Warum sind die Seiten 338 bis 341 vacat? Warum der sperrige, erklärungsbedürftige Titel? * Warum nimmt die Typografie und die Gestaltung, auf deren Vielfältigkeit der Autor zu Recht stolz ist, zu wenig Rücksicht auf die Lesbarkeit (versal, auf Farbflächen teilweise zu wenig Kontrast, mancherorts zu klein)?

*Im Werbetext des Verlags für das Buch heißt es: „In der Mitte sitzt der Medienbauer, der Ideen und Werke aussät, ihre Entwicklung pflegt und hegt, sie zu Reife und Ernte bringt, um mit ihren Früchten ihre Verbreitung zu bewirken. Ganz so, wie es der Gemüsebauer, der Gartenbauer, der Obstbauer und auch der Schweinebauer tut.“

Titelbild

Matthias Ulmer: Medienbauer. Die Geschichte des Verlag Eugen Ulmer 1868–2018.
Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 2018.
791 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783818605421

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