Der Tod, das muss ein Wiener sein

Joachim Meyerhoff setzt mit „Hamster im hinteren Stromgebiet“ seine autobiographische Roman-Chronik „Alle Toten fliegen hoch“ fort

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem neuen Roman Hamster im hinteren Stromgebiet variiert Joachim Meyerhoff die Erfolgsformel seiner vier bereits vorliegenden Bücher. Die bisher in der Chronik Alle Toten fliegen hoch erschienenen Bände lockten ihre Leser mit wahnsinnig komischen, glänzend geschilderten Anekdoten und Porträts in die Meyerhoff’schen Erinnerungsräume – das amerikanische Hinterland seines Austauschjahrs, das Gelände der vom Vater geleiteten psychiatrischen Klinik, die Münchner Villa der trinkfesten Großeltern, das Theatermilieu –, wo sich zu den zahllosen Schnurren bald auch ernstere Themen gesellten, Lektionen vom Verlust, vom Sterben und der Vereinzelung. Diese behutsame Durchmischung von Komik und Tragik kehrt sich mit Hamster im hinteren Stromgebiet insofern um, als hier gleich zu Beginn der Paukenschlag von Krankheit und Todesahnung steht. Der Autor schildert, wie seinen Ich-Erzähler kurz vor einer Wiener Theaterpremiere ein Schlaganfall ereilt, auf den neun Tage Krankenhausaufenthalt, Mehrbettzimmer-Verwahrung und Therapie folgen. Meyerhoffs Alter Ego ringt um die Kontrolle über seine linke Körperhälfte, um sein Recht auf Privatsphäre, und bald auch um Bilder und Worte für seinen Zustand.

Nicht nur wegen dieses Aufhängers verwundert zunächst, dass der neueste Streich vom Verlag als Band 5 von Alle Toten fliegen hoch ausgewiesen wird. Schließlich wird damit auch der kathartische Abschluss des Vorgängerbandes, Die Zweisamkeit der Einzelgänger (2017), wieder aufgedröselt, wo sich in einem berührenden Totentanz noch einmal sämtliche vom Erzähler geschiedenen Weggefährten die Ehre gaben – die Jugendliebe, der Bruder, der Vater, die Großeltern, der innig geliebte Hund. Das Anliegen des neuen Buchs scheint denn zunächst auch weniger darin zu bestehen, liebevoll erinnerten Lebensmenschen ein Denkmal zu setzen, sie mit ihren Schrullen und Widersprüchen für die Ewigkeit festzuhalten, sondern im weit selbstbezüglicheren Nachdenken über die eigene Sterblichkeit und die Schieflage des Patienten, der „das Innen als ewige[n] Echoraum der Sorge“ erlebt und beinah daran verzweifelt, „dass Katastrophe und Berichterstattung im selben Organ untergebracht waren“.

Eine trostlose Litanei ist Hamster im hinteren Stromgebiet aber nicht geworden. Mit viel Humor schildert Meyerhoff seine Begegnungen mit anderen Patienten und dem wienerisch sprechenden Personal im Spital – nicht nur an diesen Stellen erinnert das Buch gelegentlich an Wolf Haas, besonders dessen schwarzhumorige Sanitätergroteske Komm, süßer Tod (1998). Fans der älteren Meyerhoff-Bücher dürften sich zudem gut aufgehoben fühlen, sobald der neue Roman in vertrautes Terrain vordringt und mit verlässlich gut beobachteten Vignetten aufwartet, die diesmal u.a. um den überlebenden Bruder und die Kinder des Erzählers kreisen. Auch die charismatische Großmutter kommt nochmal zu einem Gastauftritt, darf ein letztes „Moooaaahhhh!“ seufzen, und wer mit Freude an den vierten Band zurückdenkt, in dem der Erzähler beim Versuch, eine zahme Ratte zu kaufen, farcehafte Komplikationen durchleidet, der wird – möglicherweise mit etwas schlechtem Gewissen – auch über die Zoohandlungskatastrophe lachen können, in deren Mittelpunkt ein Hase namens Flecki steht.

Mit Geschichten aus der Welt des Theaters hält sich der vielfach preisgekrönte Schauspieler Meyerhoff (der inzwischen zum Ensemble der Berliner Schaubühne gehört) diesmal zurück, sabotiert aber weiterhin hingebungsvoll seinen Ruf als Vollblut-Mime. Den bereits bekannten Begebenheiten rund um desaströse Celan-Rezitationen und schusswaffengestützte Schiller-Proben fügt er nun seinen gescheiterten Versuch hinzu, sich für Besucher im Krankenhaus Hugh-Hefner-mäßig als „Lord Stroke Unit der Erste“ zu inszenieren.

Wie es sich für die Textsorte des diaristisch angehauchten Hälfte-des-Lebens-Berichts gehört, springt die Erzählung munter hin und her, Bilder eines schrecklichen Mallorca-Urlaubs gesellen sich zu geistreichen Einlassungen über körperlichen Verfall und die hundert Jahre alten Hoden von Ernst Jünger. Wenn Meyerhoff als Erzähler in Fahrt kommt, dann reicht ihm hierzulande im Segment der komischen Prosa ohnehin so schnell niemand das Wasser. Umwerfend witzig denkt er über das Eheleben von Thomas und Thea Gottschalk nach, bereut angesichts der imposanten Physis junger Männer sein „Dasein als belesener Mehlwurm im Altbau“, und wundert sich großäugig darüber, dass Linke schlurfen, „wie nur Linke schlurfen können: aktiv inaktiv“.

Meyerhoff behält auch beim Blick auf Teenager und Kleinkinder sein Gespür für Selbstironie und erzählenswerte Geschichten, gelegentlich ähnelt er aber auch jenen leicht nervigen Vätern, die einem bei jeder Gelegenheit die 75 aktuellsten Fotos ihres Nachwuchses auf dem Handy zeigen wollen und immer gerade greifbar haben, „was die Kleinste erst neulich wieder Putziges gesagt hat“. Zumeist aber hat er die Sympathien der Leser auf seiner Seite. Auch die nächste Generation der Familie Meyerhoff wird so gekonnt in den Geschichtenreigen verwickelt, dass der Autor allmählich mit den ewigen Knausgård-Vergleichen verschont werden sollte – David-Sedaris-Vergleiche stünden ihm womöglich besser zu Gesicht.

Titelbild

Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
320 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783462000245

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