Mit den Wörtern um die Welt
Ein ganz anderer „Duden“ über Sprachbegegnungen im Zeitalter der Entdeckungen, mit Texten von Rita Mielke und Illustrationen von Hanna Zeckau
Von Ulrich Klappstein
Die Marke „Duden“ ist vor allem für Wörterbücher bekannt, doch auch Sachbücher und Ratgeber, Lernhilfen und sogar Unterhaltsames gehören zum umfangreichen Verlagsprogramm. Neu erschienen ist nun ein aufwändig gestalteter Band, der in über 40 kuriosen Sprachanekdoten aus völlig verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen über „ausgewanderte“ Wörter seit dem Zeitalter der Entdeckungen informiert. Die Geschichte vom kulturellen Aufeinandertreffen von fremden Sprachen und Kulturen wird von der promovierten Literaturwissenschaftlerin Rita Mielke kenntnisreich dargeboten und wendet sich nicht nur an jugendliche Leserinnen und Leser, vielmehr dürften alle an Kulturgeschichte und Sprachwissenschaften interessierte Leserinnen und Leser, also auch „Fortgeschrittene“, von dieser Duden-Publikation profitieren.
Die Texte sind fesselnd geschrieben, sie berichten von außergewöhnlichen Protagonistinnen und Protagonisten, worauf schon der Titel Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen hindeutet. In den kurzen Texten geht es, kurz gesagt, darum, wie es zu diesen Begegnungen kam, wie man sich verständigte und versuchte, die Lebenswelt des jeweils Anderen zu verstehen, welche Wörter ausgetauscht wurden, wie sie schriftlich festgehalten wurden, so dass sie uns noch bis heute begleiten. Das reicht von „A“ wie „Anchovis“ – abgeleitet von baskisch anchovy über portugiesisch anchova für „kleiner getrockneter Fisch“, so wie es die baskischen Walfänger seit dem 16. Jahrhundert auf ihren Unternehmungen in den Nordmeeren gebrauchten – bis „Y“ wie „Yak“ – das im Tibetanischen eine spezielle Rinderart bezeichnet und von der in Paris lehrenden Alexandra David-Neel (1868–1969) von ihren Asienexpeditionen zurück nach Europa gebracht wurde.
Die fünf Hauptkapitel des Buches („Dolmetscher und Diplomaten“, „Händler und Missionare“, „Herzensboten und Liebende“, „Auswanderer und Heimatsuchende“, „Sprachforscher und Völkerkundler“) widmen sich jeweils einem Oberthema, das Wissenswertes über die behandelte Region, nach Ländern und Kontinenten gegliedert, in den kleinen Unterabschnitten weiter auffächert. Der lexikographischen Tradition des Duden-Verlags folgend, schließt jeder Abschnitt mit einem Info-Kasten über die vorgestellte(n) Sprache(n), ihre Verbreitung, ihren Status in Alltag und Verwaltung, die heutige Anzahl der MuttersprachlerInnen sowie markante Besonderheiten (Alphabet, Schrift, gesprochene Alternativen etc.).
Das Vorwort führt in die Thematik ein und macht deutlich, dass die Geschichte der Sprachbegegnungen ein wesentlicher Teil der Menschheitsgeschichte ist:
Stets waren es Menschen, die in den unterschiedlichsten Kontexten und unter schwierigen, häufig dramatischen, manchmal kuriosen Umständen nach Wegen der Sprachgrenzüberschreitungen suchen mussten.
Der Literaturanhang informiert über alle Quellen, auf denen Mielkes Darstellungen basieren. Er bietet Bekanntes, aber auch durchaus Entlegenes, wissenschaftliche Werke sowie persönliche Reiseberichte oder Tagebücher. Auf ihre Quellen verweist Mielke allerdings nur durch die Nennung der Autorinnen oder Autoren im Text, auf Fußnoten verzichtet sie zugunsten des Leseflusses ganz.
Unterbrochen und ergänzt werden die Großkapitel von den blau hinterlegten Sonderkapiteln, die weitere Hintergrundinformationen „aus dem Linguarium“ liefern: Sprachbrücken, Missverständnisse, Sprachgeburten und Sprachdetektive. Als Beispiel für eine solcher „Sprachgeburten“ wird das sog. „Pidgin“ näher erläutert. Pidgin ist „immer eine Zweitsprache, die neben der eigenen Muttersprache benutzt wird“ und – einmal „geboren“ – von Generation über Generation weitergegeben wird. Viele der so auf portugiesischer, englischer, französischer oder niederländischer Grundlage entstandenen Kreolsprachen sind letztlich ein Produkt der kolonialen Expansionen.
Zu den „Sprachdetektiven“ zählt Mielke beispielsweise den französischen Sprachforscher Jean-François Champollion (1790–1832), der „mit detektivischem Spürsinn“ Geheimnissen der ägyptischen Hieroglyphen auf die Spur gekommen ist, die zuvor ganze Forschergenerationen beschäftigt hatten. Für Mielke bekommt dieser Wegbereiter der modernen Sprachforschung – neben den vielen anderen in ihrem Buch behandelten – auch deshalb eine Bedeutung für unsere Gegenwart, weil von den geschätzt über 12000 Sprachen der Menschheitsgeschichte bereits mehr als 5000 verschwunden sind. „Umso wichtiger“ sei es heute, „(noch) lebende, aber gefährdete Sprachen zu dokumentieren“ und bereits „verlorenen“ nachzuspüren.
In der Mitte des Buches, leider nicht ausklappbar, befindet sich eine Weltkarte, auf der alle angesprochenen Reiserouten und Sprachorte grafisch nachgezeichnet werden. Diese Karte wie auch die anderen Illustrationen wurden von Hanna Zeckau entworfen, die gemeinsam mit Rita Mielke schon den Atlas der verlorenen Sprachen (gleichfalls im Duden Verlag erschienen) herausgegeben hat.
Von Zeckau stammt auch der schön gestaltete Buchumschlag, der die Leser auf eine Entdeckungsreise mit einem Dreimaster schickt, kartographisch symbolisiert durch die Routen von London nach Honolulu und von Plymouth nach Spitzbergen. Weitere Illustrationen, teilweise Nachgestaltungen historischer Abbildungen, und kolorierte Zeichnungen erhöhen den Leseanreiz dieses insgesamt ansprechend gestalteten Bandes, der gleichzeitig eine Einführung in die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache und Sprachentwicklung bietet und nicht zuletzt ein Plädoyer für das Kulturgut Sprache darstellt. Das Buch verführt zum Blättern und bietet individuelle Einstiegsmöglichkeiten, kritisch mag man allenfalls anführen, dass dem Band ein Personen- und Ortsregister und vielleicht ein Lesebändchen gut angestanden hätte.
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