Allzeit unzeitgemäß
Mit „Schattengetuschel“ überrascht Botho Strauß zu seinem 80. Geburtstag mit einem neuen Ton
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Für mich wäre es das Schlimmste, aufs Schlimmste nicht gefasst zu sein“, schreibt Botho Strauß in seinem neuen, ohne Genrebezeichnung veröffentlichten Band Schattengetuschel. Das Buch besteht aus drei mehr oder weniger zusammenhanglosen Teilen. Zu Beginn begegnen wir kunstvoll arrangierten Prosa-Miniaturen, der essayistisch geprägte Mittelteil kreist um poetische Fragen und das Selbstverständnis als Dichter, den Abschluss bilden brillant pointierte, messerscharfe Aphorismen.
Der einleitende Text mit dem komplizierten Titel „Um uns im Raum ein ruheloses Flüstern, als käm es von tuschelnden Schatten“ reißt uns gleich mit in die Straußsche Theaterwelt, in der sich alles wie ein durch kalkuliertes Bühnenspektakel anfühlt: „Der Vorhang geht auf. Man sieht Menschen beim Leben erwischt. Sie erstarren und stehen steif auf der Stelle.“ Die meisten Figuren wirken wie vom realen Leben entrückt, ein wenig skurril und dramatisch zugespitzt – so etwa eine dünne, junge, auffallend unzeitgemäß gekleidete Frau, die allein vor einem Mikrofon steht. „Man muss eine Menge Welt malen, bis eines Menschen Verlorenheit darin zum Vorschein kommt.“ Strauß seziert seine Figuren und versucht durch das Stilmittel der Übertreibung die psychischen Deformationen freizulegen.
Der Mittelteil präsentiert uns den skeptischen Kulturkritiker, der sich mit großer Vehemenz gegen die Gender-Sprache und die künstliche Intelligenz wehrt und die Verdummung durch die digitalen Medien anprangert. „Der allzeit Unzeitgemäße suchte noch einmal zur Größe seiner Vorbilder sich aufzurichten. Wie ein Blitz wollte er zwischen die Heute-Anbeter fahren, Schrecken verbreiten, die bittere Schelte über sie bringen. Wollte ihnen das Leid-Wesen wiederentdecken, sie zwingen aufzublicken statt scheel aufs Display.“
Botho Strauß hat über viele Jahre als konservativer Querdenker, als polemisch-provozierender Intellektueller auch abseits von Literatur und Theater für Furore gesorgt. Vor fünfzehn Jahren hatte er noch „verführen, amüsieren, provozieren und beleben“ als wichtigste Aufgaben des Autors bezeichnet und diese Attitüde auch noch in seinem Essayband Der Fortführer (2018) mit großem Furor gepflegt. Da war sie noch einmal deutlich vernehmbar, die mahnende Stimme des Zweiflers und Skeptikers, der einst das Internet als „Logbuch einer weltweiten Mitteilungsinkontinenz“ bezeichnet hatte.
Und doch ist der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und Zeitgeistkritiker, in Summe deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings auch versöhnliche Töne an. Es begann schon vor zehn Jahren mit dem autobiografischen Band Herkunft. Darin blickte er geradezu melancholisch auf seine Kindheit in Bad Ems zurück. Das schmale Bändchen las sich wie ein verspätetes Liebesbekenntnis zu seinen Eltern. Er versöhnte sich mit seinem autoritären Vater, der einst schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt war.
Bekannt geworden ist Botho Strauß, der vor 80 Jahren in Naumburg an der Saale geboren wurde, in jungen Jahren zunächst als Dramatiker, nachdem er nach abgebrochenem Studium zuvor drei Jahre als Journalist für die Zeitschrift Theater heute gearbeitet hatte. Seine beiden ersten Theaterstücke, Die Hypochonder (1972) und Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (1974), wurden von der Kritik geradezu hymnisch gefeiert. 1975 gab er seinen Job als Dramaturg an der Berliner Schaubühne auf und widmete sich ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit. Paare, Passanten (1981), Der junge Mann (1984), Das Partikular (2000) und Mikado (2006) sind einige der wichtigsten Prosaveröffentlichungen aus der Feder des abwechselnd in Berlin und in der Uckermark lebenden Georg-Büchner-Preisträgers von 1989.
„Man ist im Alter bereit zum geschlossenen Vollzug der Langeweile. Aber der Wahnsinn, Ausbund falscher Freiheit, ist nicht mehr interessant“, ließ Strauß eine Figur im Band Zu oft umsonst gelächelt (2019) sagen. Worte, die wie eine treffende Selbstcharakterisierung anmuten.
Nicht mehr ganz so zornig wie einst, nur noch selten rebellisch, und schon gar nicht mehr provozierend: Botho Strauß hat für sich einen neuen Ton gefunden. Er kommt daher wie ein tänzelnder Harlekin mit einer leicht pathetisch anmutenden spöttelnd-hintersinnigen Prosa.
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