Fremde Bekenner

Martin Mosebach begibt sich auf die Spuren von 21 koptischen Christen, die vom IS getötet wurden

Von Paul GeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paul Geck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff des Martyriums hat in der westlichen Welt seinen Schrecken verloren, ist entkernt worden, geblieben ist ihm die Schattenexistenz einer Metapher. Ein Märtyrer kann jemand sein, der auf einsamem Posten für eine gerechte Sache kämpft und Niederlagen hinnehmen muss. Oder noch substanzloser, weil ironisiert: Eine Person, die sich falsch behandelt fühlt. Gott sei Dank, könnte man meinen, zieht der Begriff weltweit gesehen doch Blutspuren hinter sich her; kein Selbstmordattentäter, der sich nicht mit dem Leben Unschuldiger diesen Ehrentitel zu erkaufen sucht. Dabei stammt der Begriff aus der christlichen Tradition, die zweifellos auch nicht frei vom Blut Unschuldiger ist. Ein Martyrium aber kann aus christlicher Sicht nur erlitten werden. Es ist das Glaubenszeugnis (griech. martyrion), an dem auch im Angesicht des Todes festgehalten wird, der Märtyrer wird zum Opferlamm, wie Jesus von Nazareth selbst im Neuen Testament bezeichnet wird. Ein Martyrium wird zwar erlitten, ist jedoch kein rein passiver Akt: Die Möglichkeit der Apostasie, das Abschwören des Glaubens, wird ausgeschlagen, das eigene Bekenntnis aktiv bestätigt.

Im Februar 2015 wurde die Welt Zeuge eines bestialischen Verbrechens, als Terroristen des sogenannten Islamischen Staats nahe der libyschen Hafenstadt Sirte 21 junge koptische Christen hinrichteten. Die Gruppe der Kopten bestand bis auf den Ghanaer Matthew aus ägyptischen Männern, die zur Arbeitssuche nach Libyen gekommen waren. Sie wurden von ihren Peinigern in orangefarbene Anzüge gesteckt, die an Häftlinge des amerikanischen Gefangenenlagers Guantanamo erinnern sollten. In einem perfiden Video wird die Hinrichtung der 21 nicht nur dokumentiert, sondern mit erstaunlicher Professionalität inszeniert, bevor ein Kameraschwenk das vom Blut rot verfärbte Meer zeigt. Die Mörder wenden sich in einer Rede an die „Nation des Kreuzes“, die letzten Worte der am Boden knienden Christen sind „Jarap Jesoa! – Herr Jesus!“.

Martin Mosebach, erfolgreicher Romancier und bekennender Katholik, hat sich für seine Reportage Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer auf die Suche nach deren Wurzeln begeben. Es ist ein sehr persönlicher Bericht geworden, was verständlich ist, denn dem Thema kann man sich nur schwerlich neutral nähern. Für die westliche Welt ist es beinahe eine Provokation, für eigene Überzeugungen, gar für einen Glauben in den Tod zu gehen. Im Zeitalter individualisierter Wahrheiten ist das Beharren auf eine Wahrheit Fanatismus, oder zumindest ein Mangel an Selbstreflexion und ein damit einhergehendes Nichtanerkennen der Fragmentarität der eigenen Position geworden. Was für Personen steckten hinter den angesichts des Todes so ruhigen Gesichtern, wer waren diese einfachen Arbeiter, die die koptische Kirche heute als Heilige verehrt?

Wenig ist es, was Mosebach an Fakten über die Einzelnen erfährt. Für seine Gesprächspartner scheint der Glanz ihres Zeugnisses über das harte und entbehrungsreiche Leben zu strahlen, das sie führten. Ihre Heiligkeit erwies sich in der Stunde ihres Todes, nicht in Wundertaten oder moralischer Reinheit zu ihrer Lebenszeit. Dementsprechend, und dennoch überraschend, findet Mosebach die Angehörigen nicht von Trauer bedrückt vor, sondern voller Stolz im Gedenken der Toten. Die Unbefangenheit, mit der sie für Mosebach immer wieder das Hinrichtungsvideo abspielen, verkehrt dessen Intention ins Gegenteil: Nicht Angst vor den Tätern erzeugt die Inszenierung, sondern Bewunderung für die standhaften Opfer. Bei der Suche nach den Gründen dieses so fremden Umgangs mit dem gewaltsamen Tod der 21 gewinnt der aufmerksame Beobachter immer tieferen Einblick in deren Glaubenstradition. Die koptische Kirche ist eine fremde Kirche, von der westlichen Christenheit in langen Jahrhunderten vergessen worden. Schon seit dem fünften Jahrhundert steht sie nicht mehr in Gemeinschaft mit der lateinischen und den östlichen Kirchen. Bereits früh wurde sie zur „Kirche der Martyrer“, als das christlich gewordene Land zunächst von den Persern und wenige Jahre später von den Arabern erobert wurde, die den Islam brachten. Heute gehen immer wieder Schlagzeilen um die Welt, wenn koptische Kirchen angezündet werden oder deren Gläubige bei Attentaten sterben. Mosebach ist erkennbar fasziniert von dieser anderen DNA, die die Christen dieser Kirche ausmacht. Was die westliche Kirche charakterisiert – der Aufstieg zur Staatsreligion unter Kaiser Konstantin, die Reformation, die Aufklärung, die heutigen Austrittswellen – ist bei den Kopten nie geschehen. In besonderer Weise wurden dort frühchristliche Traditionen bewahrt. Mosebach, von dem bekannt ist, dass er die römisch-katholische Messliturgie am liebsten auf Latein feiern würde, schildert die Ästhetik des koptischen Gottesdienstes, beobachtet und erklärt und baut so eine Brücke zum Verständnis dieser Terra incognita. Dies geschieht in einer kraftvollen Sprache, die sich dem Thema unterordnet und sich selbst nicht in den Vordergrund spielt.

Können die 21 Märtyrer auch für uns Vorbilder, religiös gesprochen Heilige sein? Mit ihrem standhaften Bekenntnis haben sie einer Gewaltspirale ein Ende gesetzt, die jedoch ihr eigenes Blut forderte. Gleichzeitig wurden ihre Angehörigen und Glaubensgeschwister bestärkt, selber ihrem Bekenntnis treu zu bleiben. Für die islamistischen Terroristen kann nur dann Friede sein, wenn sich niemand mehr ihrer Religion entgegenstellt, wenn kein Andersgläubiger mehr standhaft bleibt. Diesem Fanatismus begegneten die Christen mutig, mit ihrem Martyrium verteidigten die 21 deshalb auch für jeden säkularen Zeitgenossen Meinungs-, Gewissens-, und Glaubensfreiheit. Ihre Schlichtheit kann so nicht nur der westlichen Kirche eine Lehre sein, sondern auch denen, die im Konflikt der Religionen selbst schon alles Gewaltpotenzial sehen. Dem Fanatismus der Gewalt hätte ein Agnostiker nicht mehr entgegenbringen können als jene 21 Bekenner.

Titelbild

Martin Mosebach: Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
270 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498045401

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