Neue Blicke auf alte Befunde

Hartmut Steinecke begreift „Das Gepräge des Außerordentlichen“ als ästhetischen Reflex Heines auf die Lektüre E.T.A. Hoffmanns

Von Raphaela BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Raphaela Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hartmut Steinecke hat die aktuelle und vergangene E.T.A.-Hoffmann-Forschung geprägt wie kaum ein anderer. Zahlreiche maßgebliche Kommentare,  Editionen, Monografien und Zeitschriftenbeiträge sind durch ihn oder unter seiner Schirmherrschaft entstanden. Wie kein Zweiter kennt er das Werk Hoffmanns mit all seinen Themenkreisen und den damit zusammenhängenden editorischen Feinheiten sowie die internationale Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, genauso wie auch die meisten Ausprägungen der Forschung. Er wurde 2011 als Erster mit der E.T.A.-Hoffmann-Medaille ausgezeichnet. Von einer Arbeit Steineckes zum Einfluss Hoffmanns auf Heinrich Heine ist deshalb mit Recht eine tiefe Kenntnis der bestehenden Befunde, ergänzt um die Eröffnung eines breiten Blickwinkels auf diese und schließlich neu Entdecktes für die Hoffmann-Forschung zu erwarten. Steinecke sieht diese Entdeckung in der Einordnung der seit dem Ende der 1970er Jahren bekannten Widmung Heinrich Heines in einer Ausgabe der Elixiere des Teufels, die er seiner Cousine Fanny schenkte, in ihrer Bedeutung für Heines „romantische“ Ästhetik.

Das in seinem Umfang kaum über einen längeren wissenschaftlichen Essay hinausgehende Büchlein „Das Gepräge des Außerordentlichen“. Heinrich Heine liest E.T.A. Hoffmann entfaltet unter Kapitelüberschriften wie Ein frivoles Geschenk, Heine liest Hitzigs Hoffmann-Biographie oder Großstadt, Reisen und Romane ein Narrativ in sechs Teilen, das es sich zur Aufgabe macht, Heines Auseinandersetzung mit Hoffmann als Autor, gesellschaftliches Phänomen und als Urheber eines dezidiert nicht-romantischen Werkes nachzuerzählen. Über größtenteils bekannte Befunde aus der Hoffmann- und der Heine-Forschung geht dabei allerdings die Dimension der Zusammenführung beider Autoren in ihrer Wirkung und Wahrnehmung in Frankreich hinaus. Hier nämlich, so Steinecke, firmierten beide unter dem Etikett „Romantik“, und zwar unabhängig davon, wie sehr Hoffmann bei aller Weiterführung frühromantischer Konzepte auch als Außenseiter der deutschen Romantik gilt, und ebenfalls unabhängig davon, wie sehr sich Heines eigene Position zur deutschen Romantik im Laufe seines Lebens verändert. Steinecke sieht in der durch die historische Wirkung und Etikettierung der Autoren entstandenen Zusammenschaltung den Anlass zu einer Untersuchung ihrer „romantischen Ähnlichkeiten“.

Zu diesem Zweck wird Heines Auseinandersetzung mit der „romantischen Schule“, besonders aber mit dem Werk und dem „Zensurfall“ Hoffmann im Kontext der Erzählungen Meister Floh und Prinzessin Brambilla sowie dem Roman Die Elixiere des Teufels neu aufgerollt. Dabei verfährt Steinecke chronologisch entlang der Biografie Heines in Verknüpfung mit dem Hoffmannbild, das in den jeweiligen Zeiträumen an Heines Aufenthaltsort vorherrschte. Gleichzeitig kommentiert er möglichst vollständig die kleineren und die umfangreicheren Äußerungen Heines zu Hoffmann, wie etwa die Briefe aus Berlin. In seiner Jugend schätzte Heine Hoffmann sehr und klammerte ihn laut Steinecke von seiner sonstigen Kritik an der deutschen Romantik aus. Die spätere Sonderrolle Hoffmanns in Heines Romantikbild ist es, die Steinecke besonders beschäftigt, und zwar von der Widmung an die Cousine Fanny bis hin zu Heines Zeit in Paris. Und sie ist es auch, die einen neuen Impuls für die Betrachtung der Hoffmann-Rezeption Heines liefert, wird diese doch gängigerweise mindestens als kritisch-differenziert verstanden.

Auffällig an Steineckes Studie ist der große Detailreichtum und die neue Akzentuierung bekannter, aber von der Forschung bisher wenig beachteter kleiner Fakten, die er in das Gesamtpanorama der deutschen, englischen und französischen Hoffmann-Rezeption wie in ein Mosaik einfügt. Er kann so zu dem Schluss gelangen, dass Heines in Frankreich verfasste Romantik-Kritik, die von der Forschung oft im Ton als „schroff“ und inhaltlich als „ungerecht“ bezeichnet worden ist, vor dem Hintergrund der positiven französischen Hoffmann-Wahrnehmung, die der Hoffmann-Übersetzer und -Biograf François-Adolphe Loève-Veimars maßgeblich ebenso beförderte wie die ersten schreibenden Gehversuche Heines in Frankreich, überhaupt nicht so scharf ausfällt.

Eine fortbestehende Milde, womöglich sogar Bewunderung Heines gegenüber Hoffmann erst einmal vorausgesetzt, fällt es Steinecke leicht, die Verbindung der beiden Autoren in seiner Betrachtung zu vertiefen. Ausgehend von einer Ablehnung „romantischer Schreibweisen“ seitens Heines ist es auffällig, in welcher Weise er in seinem ästhetischen Selbstverständnis und in seiner eigenen „Schreibweise“ Hoffmann ähnelt. Konsequent zeigt Steinecke die ästhetischen Ähnlichkeiten der beiden Autoren anhand dessen auf, was er als „Ästhetik des Kontrastes und des Heterogenen“ charakterisiert. Gemeint ist damit vor allem Hoffmanns Schreibstil, den dieser selbst als „sinnigen Unsinn“ bezeichnete. Die Verwendung kontrastiver Figuren wie dem Oxymoron und dem Paradoxon ist für beide genauso kennzeichnend wie die Nebeneinandersetzung und Verbindung alles nicht Zusammengehörenden. Ebenfalls prägend ist die dadurch entstehende unterhaltsame Wirkung von Witz, Ironie und Satire und Hoffmanns spezifischem Konzept des Humors. Steinecke skizziert die Verfahren und Schreibweisen Hoffmanns knapp und setzt sie dann in Bezug zu den Schriften Heines, wobei er sowohl auf altgediente Methoden der „Einflussforschung“ zurückgreift, intertextuellen Bezüge, gemeinsamen Motive, Zitaten oder Anspielungen nachspürt und ähnliche Themen und Panoramen der Texte beider Autoren gegenüberstellt. Gleichzeitig kommentiert er aber auch Heines Reflexion der ästhetischen Verfahren Hoffmanns, die eben in einer Kontrastästhetik bestehen. Als einer der ganz wenigen erkennt Heine in Hoffmanns Werk eine durchgängige Ästhetik und hebt sich so von einem großen Teil der deutschen und englischen Rezeption ab. Ebenfalls ähnlich erscheinen daraufhin die Haltungen beider Autoren zu einer systematischen Niederschrift ihrer poetologischen Verfahren: Hoffmann nimmt sie schlicht nicht vor, Heine lehnt sie dezidiert als „Würgengel aller Korrespondenz“ zu Gunsten einer „Assoziazion der Ideen“ ab.

Steinecke gelten diese Parallelen als ein Nachweis der ästhetischen und verfahrenstechnischen Ähnlichkeit der Werke und Haltungen der beiden Autoren beziehungsweise eine Anlehnung Heines an die Verfahren Hoffmanns. Selbst wenn sich Heine selbst nicht als Romantiker verstand, wurde er in Frankreich, seiner späten Wahlheimat, als ein solcher wahrgenommen und mit ähnlichen Attributen belegt wie der dort gefeierte Hoffmann. Dies bezieht sich zwar nicht auf die Ebene der Fantastik, die die französische Hoffmann-Begeisterung prägt, jedoch umso stärker auf die Einordnung in eine Schreibweise des Romantischen (Heine ist der „romantique défroqué“) und in die des Humors. Dieser ist es denn auch, dem Steinecke für die Wirkung beider Autoren die größte Kraft zuweist. Eine Ästhetik des Kontrastes, die das Komische als Wirkung nach sich zieht, habe durch beide Autoren Schule gemacht. Man mag diesem Urteil nicht bedingungslos folgen wollen, gilt es doch lange Zeit nicht für das Heimatland der beiden Autoren selbst, sondern nur im Blick auf ihre interkulturelle Rezeption, doch es bleibt eine originelle Zusammenschau bekannter Details aus der Hoffmann- und Heineforschung, die hier das Experiment einer neuen Akzentuierung unternimmt und hilft, ausgetretene Pfade zu verlassen.

Dass dies knapp, kenntnisreich und in einem sehr gut lesbaren Stil und unterhaltsamen Ton geschieht, macht Steineckes Büchlein zu einer auch für an Hoffmann und Heine interessierte Laien empfehlenswerten Lektüre.

Titelbild

Hartmut Steinecke: „Das Gepräge des Außerordentlichen“. Heinrich Heine liest E.T.A. Hoffmann.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015.
116 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783503155569

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