Wenig Atmosphäre

Madame Nielsens Roman „Der endlose Sommer“ verliert sich in leerlaufenden Sätzen

Von Bernhard WalcherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Walcher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für manche Romane muss man in der Stimmung sein, am besten in jener, die der Text zu evozieren unternimmt. Im Falle des von der als Claus Beck-Nielsen geborenen Performancekünstlerin Madame Nielsen vorgelegten „Requiems“, wie es im Untertitel heißt, gibt es allzu viele sprachliche und syntaktische Wiederholungen, die einen narratologischen Reflexionsmodus markieren sollen und einen Kunstanspruch suggerieren, aber gerade deshalb beim Leser auch so etwas wie Frustration hervorrufen. Was am Beginn noch vielversprechend wie ein magisches Erzählen, eine Verdichtung von Wirklichkeit in Sprache daherkommt, erscheint nach der zehnten Seite merkwürdig steril und mechanisch.

Die Konstruktion des Erzählens und der Erzählinstanz wird immer wieder offengelegt, etwa mit Formulierungen, dass das jetzt der Beginn der Erzählung über den endlosen Sommer sei, dass das Ganze auch ein Kitschroman werden könnte und wie es mit den erzählten Figuren weitergeht und weitergehen könnte. Gerade aber die atmosphärische Dichte, die die offensichtlich hervorragend zumindest ins Deutsche übertragenen Sätze evozieren könnten, wird dadurch gerade verhindert, weil das meiste immer nur gesagt, tatsächlich aber nicht erzählt wird, woran die permanenten Wiederholungen mit ihrer eher irritierenden Wirkung von leerlaufenden Worthülsen einen entscheidenden Anteil haben.

Dass es wenig Handlung gibt, kann und darf dem Roman nicht zum Vorwurf gemacht werden, sondern ist seine – zunächst einmal wertfrei beschrieben – strukturelle Anlage. Ein aristokratisch-konservativ und patriarchalisch sich gebender Vater, eine leicht überspannte, tatsächlich aristokratische Mutter, ein empfindsamer Junge, der seinen falschen Körper entdeckt und lieber eine Frau sein möchte, Feriengäste und von weit her angereiste Verwandte bilden die illustre Gesellschaft auf einem dänischen Hof Mitte der 1980er Jahre, der wie zeitentrückt und isoliert erscheint. Ein Mikrokosmos aus Jugendlichen und Elterngeneration, Künstlern und Wertkonservativen, deren Beziehungen zueinander und deren Konflikte untereinander aber auch oft nur bedeutungsschwer angedeutet, manchmal nur genannt, aber selten sprachlich überzeugend erfasst werden.

Es mutet bisweilen wie der Versuch einer „progressiven Universalpoesie“ an, was die angestrengte sprachliche Gestaltung und motivische Konstruktion des Romans anbelangt: Da gibt es ins Leere laufende Motive, rätselhaft erscheinende Beziehungen der Figuren zu- und untereinander, die lasziv angedeutet werden. Erzählerische Selbstreflexivität wird verflochten mit verschwimmenden Realitäten, so dass sich am Ende die Frage stellt, womit man es hier als Leser denn eigentlich zu tun hat. Geht es um die Wiederbelebung romantischer Motive und Schreibtraditionen, werden hier Versatzstücke gefühlsbetonter Innenperspektiven von Figuren, die – „früh gereift und zart und traurig“ (Hugo von Hofmannsthal) Wiedergänger von Jahrhundertwende-Personal sein sollen – oder kann das auch als Satire auf all das gelesen werden? Letzteres wohl eher nicht. In Der endlose Sommer sind zumeist und vor allem die Sätze endlos, die Figuren wenig plastisch, die Gefühle und Stimmungen gerade nicht nachvollziehbar. Die Satzkonstruktionen sind von einer musikalischen oder magischen Wirkung weit entfernt und führen mehr ihren eigenen gedanklichen Leerlauf vor, als dass sie Einblicke in Gefühlswelten, Stimmungen oder Wechselwirkungen von Individuum und Gesellschaft geben würden.

Titelbild

Madame Nielsen: Der endlose Sommer. Roman.
Übersetzt aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018.
189 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783462051025

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