Die Barbaren sind immer die Anderen

In seinem Roman „Lomé – Der Aufstand“ wirft Christoph Nix einen manchmal fragwürdigen Blick auf die Kolonialgeschichte Togos

Von Christopher FryeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christopher Frye

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 3. Februar 2020 erschien, nach dem in der deutschen Presse hochgelobten Muzungu, Christoph Nix‘ zweiter Afrika-Krimi im Transit Verlag. Lomé ist nach der Hauptstadt Togos benannt, der kleine afrikanische Staat bildet auch den Hauptschauplatz der im Folgenden beschriebenen Handlung.

Der betagte Theaterregisseur Menz reist nach Togo, um dort den Mord an einem befreundeten Schauspieler aufzuklären, der, während der Arbeit für ein Straßentheaterprojekt, brutal umgebracht wurde. Schnell offenbart sich, dass die Tötung nicht, wie anfangs vermutet, mit der Homosexualität des Opfers in Verbindung steht, sondern auf die blutige Vergangenheit des Landes und die deutsche Verstrickung mit dieser zurückzuführen ist. Bald schon enthüllen Menz und seine Begleiter ein Netzwerk aus Korruption, Unterdrückung, Aberglaube und postkolonialen Strukturen. Es stellt sich im Zuge der Recherche heraus, dass der Mord auf die Verwandtschaft des ermordeten Hans Keuthen mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Lübke zurückzuführen ist, der in den 60er Jahren den Diktator des Landes brüskierte. Die aus dieser Beleidigung erwachsenen Hassgefühle haben sogar die beiden beteiligten Männer überlebt und wurden schließlich auch dem jungen Schauspieler zum Verhängnis.

Es lässt sich einiges Positives über Lomé sagen: Die Ausgangssituation ist spannend, hier wird neben einem aufregenden Kriminalfall eine Auseinandersetzung mit der deutschen Afrikapolitik versprochen. In der ersten Hälfte des Buches wird Nix diesem Anspruch auch gerecht, die alltägliche Bedrohungssituation, die das Leben in einem autoritären Staat mit sich bringt, wird beinahe haptisch fühlbar – verdeutlicht durch die ständige Geheimdienstbeschattung oder diverse Polizeischikanen, denen Menz und seine Weggefährten ausgesetzt sind. Gleichzeitig erhalten die Leser*innen stets zum Erzählten passende Informationen über die politische Situation und die Geschichte des kleinen afrikanischen Staates.

Leider kann Nix die anfangs mitreißende Dramaturgie nicht bis zum Ende durchhalten: Der zweite Teil des Werks besteht vor allem in einer Sightseeing-Tour des Grauens. Menz und sein togolesischer Theaterkollege Menes reisen durch das Land, befragen mal hier mal dort einen Zeugen, immer wieder stoßen sie dabei auf Verstrickungen der Regierung in Menschenhandel und Kindesmisshandlung. Diese Themen werden weniger aufgebracht, um den dahingehenden Diskurs auf künstlerischer Ebene zu erweitern, sondern sind lediglich schauriges Zierrat in Nix’ seltsamer togolesischer Geisterbahn.

Bösewichte werden schließlich per „Deus ex machina“ zur Strecke gebracht. Die letztendliche Auflösung ist dabei, gemessen an der bemühten Nüchternheit der bisherigen Erzählung, so stark an den Haaren herbeigezogen, dass man sich fragen muss, ob man hier einen Afrika-Krimi oder einen kolonialistischen Fantasy-Roman gelesen hat. Spätestens, wenn die Strippenzieherin des Mordes eine mit Nadeln gespickte Puppe – die natürlich das Opfer abbildet – ins Feuer wirft und, wie die Karikatur einer Disney-Hexe, „es ist vollbracht“ raunt, muss sich der Autor den Vorwurf des Trash gefallen lassen.

Nix‘ Stil, der von der FAZ als „karge Prosa“ bezeichnet wird, ist tatsächlich recht einfach gehalten. Wir nehmen das Geschehen durch die Augen der diversen Akteure wahr, die mal lediglich die Szenerie konstatieren, ab und zu uns ihre nicht allzu komplexen Gedanken mitteilen. Beispielsweise erfährt man an mehreren Stellen, dass Menz Mord und Unterdrückung doch irgendwie nicht so gut findet. Ab und zu wird dieses trostlose Sprachmuster mit sozialdemokratisch müffelndem Altmännerpathos unterbrochen: „Manchmal brauchen auch wir Waffen, um für die Demokratie zu streiten“.

Am erschreckendsten ist aber, dass Nix, eigentlich altgedienter Theatermann, hier mehr den Geschichtslehrer als Geschichtenerzähler gibt. Leser*innen erfahren viel über die Historie Togos, was man für den Versuch halten könnte, für die folgende Handlung eine Bühne zu errichten. Nix lässt aber seine Akteure im Anschluss kaum auf dieser Bühne spielen. Die Dialoge heben sich selten klar vom Fließtext ab, kein Charakter erhält wirklich eine eigene Stimme, einzelne Figuren bekommen so wenig Profil, dass man sie kaum von den Buchstaben, aus denen ihre Namen zusammengesetzt sind, differenzieren kann. So wenig, wie sich die Namen Menz und Menes unterschieden, so wenig unterscheidet sich der Sprachduktus dieser beiden, aus verschiedenen Kulturen stammenden, Figuren. Bewusste Leerstellen, die gut zu dem lakonischen Stil der sonstigen Erzählung gepasst hätten, werden nicht gelassen, jede wichtige Figurenintention, jede emotionale Wertung muss sofort ausbuchstabiert werden. Beispielsweise spiegelt Nix das Innenleben eines bösen französischen Großindustriellen mit den Worten „Sie (die Togolosen) sind und bleiben Idioten, die ihren Staat nicht in der Hand haben, und brauchen Menschen wie mich, damit aus ihrem Land was wird“, damit auch ja klar wird, dass wir es hier mit einem besonders fiesen Zeitgenossen zu tun haben.

Dass der Autor explizit nicht für mündige Leser*innen schreibt, ist ein Symptom der eigentlichen Problematik des Buchs: Lomé ist nämlich, bei aller versuchten Kritik an kolonialen Strukturen, die Verkörperung der Instanzen, die es zu bekämpfen vorgibt. Als wäre nicht schon damit der Gipfel aller teutonischen Selbstbezogenheit erreicht, dass der junge Schauspieler den Märtyrertod dafür sterben muss, dass sein Großvater in den 60er Jahren einem Diktator den Handschlag verweigerte, so handelt es sich bei diesem Großvater, diesem menschgewordenen Rückgrat, um einen Nazi-Verbrecher. Nicht mit einem Wort wird erwähnt, dass Bundespräsident Lübke, ein „Freund der Demokratiebewegung Togos“ und dezidiert als heldenhafte Figur gezeichnet, es mit seiner Menschenliebe zur Zeit des Dritten Reichs nicht so genau nahm, KZ-Baupläne entwarf und diese von KZ-Häftlingen umsetzen ließ. 

Sicher, in Lomé heißt das Böse neben „Dellore“ und „Nanguibe“ auch „Franz Josef Strauß“ und „Hans-Seidel-Stiftung“, doch man kann sich bei fortschreitender Lektüre nicht des Eindrucks erwehren, dass Nix seine Landsmänner sukzessive diese deutsche Schuld abarbeiten lässt. Sei es durch den Theatermann, der sich unermüdlich für die Aufklärung des Mordes einsetzt, die gerechtigkeitsliebende Journalistin, die seit Jahren die finsteren Machenschaften der Herrscherfamilie aufdeckt, oder den Bundeswehrpiloten, der sich per Kamikaze-Angriff heldenhaft im Kampf gegen das Regime opfert. Man kann sich vor deutschen Helden kaum retten.

Richtig in Fahrt kommt Nix allerdings erst, wenn er die Barbareien der anderen beschreibt: Im Kapitel „Die Kinder der Nacht“, wandelt sich der betagte Geschichtslehrer zu einem mordlüsternen Metzger. Leidenschaftlich wird hier geschildert, was in diesem Ausmaß in Togo keine reale Entsprechung hat: Voodoo-Anhänger fallen über ihre Kinder und Nachbarn her, es findet ein Pogrom statt. Mit starker Sprache zeichnet er die togolesische Landbevölkerung als wilde, gewalttätige Tiere, deren Lieblingsbeschäftigung das Morden zu sein scheint und deren kollektiver Wahnsinn sich in Sätzen wie „Finger von Albinos schmecken wie Myrte und Honig, machen dicke Schwänze, machen guten Sex“ ausdrückt. Tragischerweise ist der Autor am höchsten Punkt seiner ideologischen Widerwärtigkeit stilistisch am besten – während er seiner überzeichnet-rassistischen Erzählung freien Lauf lässt, entsteht zum ersten Mal der Eindruck, dass er hier nicht mit gebremstem Schaum schreibt.

Nichtsdestotrotz lässt sich an dem, einem Togolesen in den Mund gelegten Satz, „Erst haben die Franzosen uns ausgebeutet, dann kamen die Deutschen und waren freundlich.“ sehr akkurat beobachten, wie Nix die eigene Identität begreift: Die Barbaren sind immer die anderen.

Titelbild

Christoph Nix: Lomé – Der Aufstand. Roman.
Transit Buchverlag, Berlin 2020.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783887473761

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