„Über Muscheln laufen“
Einblicke und Perspektiven in die kamerunische Diaspora
Von Julia Augart
Nana Nkwetis Debüt Über Muscheln laufen versammelt eine Reihe von Kurzgeschichten, die sich mit Erfahrungen kamerunischer und kamerunisch-amerikanischer Figuren auseinandersetzen. Die Erzählungen bewegen sich zwischen Kontinenten, Sprachen und literarischen Genres. Anstelle eines durchgehenden roten Fadens bietet der Band fragmentarische Einblicke in hybride Identitäten und diasporische Lebensrealitäten. Nkweti experimentiert mit Tonfall, Form und Stimme; jede Geschichte ermöglicht eine andere Facette Schwarzen Lebens und beeindruckt durch die sprachlichen Bilder und Dichte.
Die erste Erzählung, „Es braucht ein Dorf, sagen manche“, erzählt die Geschichte einer Adoption aus Kamerun in die USA. Die Erzählung beleuchtet sowohl die Rolle von Adoptionsvermittlungen als auch die Distanz zwischen Eltern und Kind, die letztendlich zum Weggang der Tochter führt. Der erste Teil schildert aus der Perspektive der Eltern ihr Bemühen um eine Familie und die Integration der Tochter. Im zweiten Teil wird aus der Sichtweise des Mädchens gezeigt, wie sie die „neue Familie“, den Rassismus und die Ausgrenzung in der Schule erlebt und ihre eigene Welt erschafft. In der Story „Es killt dich innerlich“ wird von einem afrikanischen Supervirus und afrikanischen Zombies erzählt, die sich als Untote nicht einordnen und kontrollieren lassen. Dieser dystopische Alptraum nimmt aber auch die medialen stereotypen Repräsentationen Afrikas und die manipulierten Berichterstattungen über den Kontinent kritisch auf. Ein ganz anderes Szenario schildert „Nachholtermin auf der Momocon“. Hier besuchen drei „Freundfeindinnen“ die bekannte Messe für Comics, Anime und Gaming. Zwischen Erwartungen der Familie und ihren eigenen Wünschen tauchen sie in eine Welt der fiktiven Figuren ein und schaffen sich Augenblicke, in denen sie kurz Helden*innen sein können. Mit visuellen Elementen wie Zeichnungen und einem Glossar, das zugleich als literarische Miniatur fungiert, unterläuft Nkweti bewusst literarische Konventionen und erweitert das Verständnis davon, was eine Kurzgeschichte sein kann. Weitere Stories verhandeln Liebesbeziehungen, familiäre Spannungen oder jugendliche Rebellion, häufig in bruchstückhafter Struktur mit raschen Wechseln im Tonfall. Diese stilistische Vielfalt gehört zu den Markenzeichen des Bandes, die die Leser*innen immer wieder herausfordern, sich auf eine andere Situation und Perspektive einzulassen und schnell in eine andere Welt einzutauchen.
Walking on Cowrie Shells wurde von der New York Times als „utterly original“ und „exquisite stories about people and places that matter to her“, von den Brittle Papers als „delightful read“ gelobt. Für den Caine Prize war der Band nominiert, mit dem Whiting Award for Fiction wurde er 2022 ausgezeichnet. In der Tat versammelt der Band eine Vielstimmigkeit und Hybridität und überzeugt durch seine meist weiblichen Figuren – Adoptierte, Migrantinnen, Grenzgängerinnen –, deren Lebensrealitäten durch starke Bilder und auch eine Mehrsprachigkeit zum Ausdruck kommen, die der Übersetzer beibehält. Die Geschichten reihen sich wie Kaurimuscheln aneinander. Diese werden häufig als Symbol für Glück und auch als Zeichen von afrikanischer Identität verstanden und als Schmuck verwendet. In der letzten Geschichte, „Kräusel“, heißt es: „Sie trug eine Frisur aus fließenden zweisträhnigen Twists, eingedrehten Strähnen, die ihre Wirbelsäule hinabströmten, Glasperlen und Kaurimuscheln waren darin verfangen, wie glitzerndes Treibgut“. Die Geschichten in Über Muscheln laufen muten in ihrer Aneinanderreihung – jede individuell schillernd für sich – ebenfalls wie glitzerndes Treibgut an. Sie knirschen und hinterlassen Spuren, wie wenn man über Muscheln läuft.
Für mich sind die Stories in Über Muscheln laufen auch immer wieder die Weigerung, Erwartungen zu erfüllen – ob literarischer, kultureller oder thematischer Art. Kaum meint man, das Buch oder die Geschichte einordnen, den Erzählungen folgen zu können, schlagen sie eine neue Richtung ein. Diese Unvorhersehbarkeit kann faszinierend, aber auch irritierend sein. Doch sie sorgt dafür, dass die Sammlung stets lebendig bleibt und man als Leser*in immer wieder neue Facetten entdeckt.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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