Weihnachten im Bilderbuch = Bilderbuchweihnachten?
Und da sind Füchse, Dachse, Eulen, Elche und ein Karpfen
Von Anne Amend-Söchting
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGibt es etwas, vielleicht ein schwer festzulegendes Je ne sais quoi, das Weihnachten jenseits von Kommerz, Kitsch und Kirche ausmacht, oder etwas, das zwischen all diesen Komponenten liegt, ein Quäntchen Authentizität, das auch auf Traditionsbewusstheit gründet? Dass so etwas möglich war und/oder ist, lassen ethnographische und theologische Darstellungen, zum Beispiel Ingeborg Weber-Kellermanns Buch der Weihnachtslieder oder Eugen Ernsts Weihnachten im Wandel der Zeiten, erahnen; sie machen im gleichen Maße jedoch deutlich, wie verwundbar, wie prekär das Konstrukt Weihnachten im bürgerlichen Zeitalter und erst recht im 21. Jahrhundert geworden ist. Sieht man vom Vorweihnachtsrausch und -rennen ab, so eröffnet sich ein hochgradig fragiles Feld des Emotionalen, auf dem ein Gemenge aus unspezifischer Sehnsucht und nostalgischer Verklärung der Vergangenheit alle Jahre wieder aufs Neue gedeiht und den christlichen Ursprung des Festes sowohl überlagert als auch zelebriert. Das Christentum sei zu einer „Heiligabendreligion“ geworden, so konstatiert Matthias Morgenroth in seiner Publikation gleichnamigen Titels. Er benennt damit die Sehnsucht nach Transzendenz, die an Weihnachten mit einer positiv konnotierten Regression in das Goldene Zeitalter der Kindheit einhergehe und dort „das Kind als Heilsbringer“ erlebe. Das „ewige Kind“ Peter Pan, das „starke Kind“ Pippi Langstrumpf und das „rettende Kind“ Harry Potter inkarnieren diese Eschatologie.
Wie steht es um das „Kind als Heilsbringer“ im Bilderbuch, das sich, so wie Jens Thiele (Das Bilderbuch) detailliert aufschlüsselt, im Spannungsfeld von Kind, Kunst und Kommerz bewegt, sowohl den ökonomischen Gesetzen des Marktes gehorcht als auch ein Ort größtmöglicher Gefühligkeit und ganzheitlichen Lernens ist. Wenn es um „Weihnachten im Bilderbuch“ geht, trifft sich unter Umständen sogar der affektiv durchdrungene Höhepunkt des Jahres mit der Emotionalität des Bilderbuches in einer doppelten Inszenierung der Freude. Zu dieser tritt eine weitere Dopplung, denn die Sehnsucht vieler Erwachsenen nach einer unverbildeten Kindheit begründet die per se mehrfache Adressierung von Weihnachtsbilderbüchern.
In vielen Geschichten funktioniert Weihnachten als Fest der Familienidylle, in der Jung und Alt vereint sind – man denke an die unvergesslichen Geschichten von Astrid Lindgren, an Weihnachten in Bullerbü, an Madita und ihre Familie oder an Pelle, der ausgerechnet an Weihnachten auszieht. Ebenso präsent dürfte Lotta sein, der es gelingt, für ihre Familie einen Weihnachtsbaum zu organisieren, als eigentlich schon alle ausverkauft sind. Weihnachten wird natürlich auch im Möwenweg, bei den chaotischen Herdmanns, bei Conny oder bei Laura aus Lauras Stern als bunter Familienhöhepunkt des Jahres gefeiert. Hier geht „Weihnachten im Bilderbuch“ mit einem Bilderbuchweihnachten einher. Alle Turbulenzen sind überwunden, alle Konflikte sind aufgelöst im Charisma des Festes.
All diese Geschichten sind – genauso wie eine Vielzahl von Adventskalendern in Buchform, dividiert nach dem Motto „Eine Geschichte für jeden Tag“ – nach wie vor in Printform lieferbar und/oder online zu finden. Das Auslassen des christlichen Ursprungs des Festes, das vor allem in den jüngeren der genannten Geschichten an der Tagesordnung ist, scheint sich auch in den diesjährigen Bilderbuchneuerscheinungen fortzusetzen. Gleichzeitig vollzieht sich in einigen eine Akzentverschiebung, eine Art Eskapismus, weg vom Weihnachten zu Hause, weg also von dem, was man wegen der familiären Idylle auch als „Bilderbuchweihnachten“ etikettieren könnte, in die freie Natur und dort zuvorderst hin zu den Tieren, die nicht an der Krippe versammelt waren. Die Vierbeiner, die sich am Ort des Geschehens befanden, haben nicht nur in Bilderbüchern schon immer eine große Rolle gespielt. Zudem geht Selma Lagerlöff etwa in ihren Christuslegenden davon aus, dass es in der Heiligen Nacht kurzfristig Frühling werde und alle Tiere sprechen könnten. Solche Mythologeme schlagen sich nieder im wunderbaren Weihnachten im Stall von Astrid Lindgren oder, etwas bescheidener, in dem leider nicht mehr lieferbaren Mini-Bilderbuch Tierweihnacht von Amrei Fechner.
Im Jahre 2017 scheinen die Bilderbuchneuerscheinungen im thematischen Umkreis von Weihnachten mehr noch als sonst auf die Begegnungen mit Tieren zu setzen. Das geschieht entweder mit oder ganz ohne Menschen. Weil daneben noch ein Schnee- und ein Ostermann eine Rolle spielen, lassen sich zumindest die nun zu besprechenden Bücher grob in drei Gruppen einteilen.
1. Tiere im Winter- und Weihnachtswald
Der kleine Fuchs im Winterwald, Wer hat Weihnachten geklaut? und Der kleine Dachs im Weihnachtswald zeigen märchenhafte Züge und kommen gänzlich ohne menschliche Akteure aus. Weihnachten thematisieren sie auf recht unterschiedliche Weise.
Der kleine Fuchs im Winterwald, 2016 als The Winter Fox erschienen, präsentiert einen quicklebendigen kleinen Fuchs, der den ganzen Sommer über nur daran denkt, zu spielen. Er könnte glatt mit einem Hund verwechselt werden, so wie er über die Baumstämme hüpft und im Wasser planscht. Im Gegensatz zum Fuchs sind das Eichhörnchen, der Schneehase und die Eule damit beschäftigt, Vorräte für den Winter zu sammeln. Es wird kalt. Reumütig und schlotternd vor Kälte steht der kleine Fuchs auf einer Lichtung. Seinen Wunsch, nicht mehr zu frieren, schickt er hinauf in die Sternenwelt – und plötzlich fällt ihm ein Paket auf den Kopf. Mit dem Inhalt kann er seine Freunde nicht nur beschenken, sondern sogar ein Festessen für sie zubereiten. Nach einer ausgelassenen Feier folgt der Fuchs dem Rat der Eule, sich aus der Schachtel und dem Papier ein kuscheliges Bett herzurichten und die Reste des Essens für den späteren Hunger aufzubewahren.
Über den Text des Buchs ließe sich streiten, denn wohl kaum würde man ein deutsches Bilderbuch mit „Es gab einmal…“ beginnen lassen. Hier scheint das englische Original doch sehr durch. Ähnlich verhält es sich mit dem Schluss („Und nie wieder war ihm kalt, war er hungrig und ganz allein“), aus dem kleinere Kinder vermutlich „ganz allein“ heraushören, was tendenziell verstörend wirkt. Zwar gibt sich die Geschichte auf den ersten Blick wie eine Kompilation aus den Drei kleinen Schweinchen und Lauras Stern, aber es ist neu – und wohltuend zu erfahren –, dass die Unbesorgtheit des Fuchses in letzter Konsequenz belohnt wird. Der kleine Fuchs kann durchweg mit seinen Illustrationen punkten. Alle Tiere sind deutlich referenziell und jeweils so markant mit Kindchenschema ausgestattet, dass sie bereits Kinder ab zwei Jahren ansprechen. Farblich folgen die Aquarelle Frühling, Sommer und Herbst (Gelb-, Grün- und Brauntöne), bevor bei der Abbildung des Winters Blautöne dominieren. Eine schöne optische Zugabe ist auf allen Bildern der silberne Glitzerstaub, was weihnachtliche Klischeevorstellungen kolportiert, ohne dass Weihnachten in dem Buch (lediglich auf dem Klappentext) Erwähnung findet.
„Wer hat Weihnachten geklaut?“ – das fragen sich im gleichnamigen Kinderbuch nacheinander das Eichhörnchen, der Igel, der Hase, der Fuchs und der Dachs, vermissen sie doch die selbstgebackenen Makronen, die Lichterkette, die Christbaumkugeln, den Plattenspieler und ein Fass mit Punsch. Das Eichhörnchen, das den Verlust als erstes bemerkt, verdächtigt den Igel, der dann seinerseits realisiert, dass ihm etwas fehlt. Beide laufen zum Hasen und so geht es weiter, bis eine ganze Gruppe von Waldbewohnern zu guter Letzt an der Bärenhöhle landet. Und siehe da: Alle Weihnachtsutensilien befinden sich eben dort, wo der Bär für alle eine Überraschung vorbereitet hat. Alle zusammen feiern ihr bislang schönstes Weihnachtsfest. Fabiola Nonn, deren erstes Bilderbuch, Die Geschichte von Carl Mops (2014), hochgelobt wurde, macht in ihrer Geschichte schon Kindern ab drei Jahren verständlich, wie schnell man andere zu Unrecht verdächtigt, wie schön es ist, diesen Verdacht nicht zu verübeln und wie lustig es sein kann, miteinander zu feiern. Wenn der Dieb gesucht wird, kommt außerdem eine gute Portion Spannung auf. Was bleibt, ist eine Hymne auf ein ziemlich laizistisches Weihnachtsfest, das dennoch keine traditionsreichen Ingredienzien auslässt: Baum, Plätzchen, Lichter. Weihnachtslieder und ganz viel Punsch. Wie wichtig Tannenzweige, Kerzen und Sterne sind, manifestiert sich auch in den roten Innenumschlagseiten, die mit den entsprechenden Abbildungen garniert sind. Die Illustrationen von Amélie Jackowski tendieren leicht zum Comicstil, sind aber für Kinder ab drei Jahren gut rezipierbar.
Der kleine Dachs im Weihnachtswald, 2015 unter dem passenderen Titel Tales from Christmas Wood, erschienen, kommt als Sammlung von vier Geschichten daher, die locker aufeinander aufbauen. Erst in der fünften und sechsten finden alle Beteiligten zusammen. „Der kleine Dachs findet einen Freund“ erzählt davon, wie es ist, ausgegrenzt zu werden, dann aber doch ganz schnell zwei Freunde zu haben; „Mats Maus und der verschwundene Lebkuchenteig“ führt mit der Frage, wo denn der ganze Teig geblieben sei, mitten in die Weihnachtsvorbereitungen hinein; „Immer diese Brüder“ handelt von der kleinen Hanna Hase, die von zu Hause wegläuft, und „Robin, der Held“ bezeichnet das Rotkehlchen, das bei der Suche hilft. Fabian Fuchs schließlich ist erpicht auf ein „Weihnachts-Abenteuer“. Er meint, ein Monster mit ganz knubbeligen Knien gesehen zu haben. Im Stall, wo dieses vermeintlich sein Unwesen treibt, haben sich der kleine Dachs, die Eule, Familie Hase, Familie Maus und Robin bereits versammelt, um eine Krippenszene aus Holz zu bewundern, zu der ein Kamel mit knubbeligen Knien gehört. Alle Tiere des Weihnachtswaldes feiern nun zusammen den Heiligen Abend.
Obwohl Der kleine Dachs im SCM Verlag (Stiftung Christliche Medien) erschienen ist, bleibt auch in diesem Bilderbuch der Verweis auf den Ursprung von Weihnachten oberflächlich. Die Krippenszene aus Holz erinnere die Menschen daran, so Mats Maus, was am ersten Weihnachtsabend passiert sei, sie zeige das „besondere Kind“, dessen Name allerdings ungenannt bleibt. Mit dem Rotkehlchen, seit dem 19. Jahrhundert typisch englisches Weihnachtssymbol, und der Krippe vermischen sich Mythen unterschiedlicher Provenienz. Völlig unabhängig davon dürften die kleinen Geschichten Kinder ab vier Jahren ansprechen. Die Bilder sind kaum innovativ, doch sehr kindgerecht, das Layout würde man sich übersichtlicher wünschen.
Weihnachten in der Tierwelt, ob im Stall oder, so wie hier in der freien Natur, im Wald, ist als Paradoxon zu begreifen: Einerseits geht damit immer eine zumindest schwache Reminiszenz an das erste Weihnachtsfest einher, andererseits findet eine Bewegung weg von den Wurzeln hin zu einer Feier der (verweltlichten) guten Gefühle statt, die im Kreise der Menschenfamilien womöglich immer seltener stattfindet. Alle Tiere haben sprachlich (mit Einschränkungen beim Kleinen Fuchs) und visuell (mit Einschränkungen beim Kleinen Dachs) einen hohen Aufforderungscharakter. So wie es bei anderen Themen oft der Fall ist, fungieren sie als Platzhalter für die Welt der Menschen, sodass sich ein weiteres Paradox ergibt: Zum einen entsteht hier ein idealisiertes Menschsein, ein Lob des Miteinanders, der Freundschaft, des gemeinsamen Feierns und der Wertschätzung, zum anderen wird genau dieses Ideal durch die Tiere verfremdet und trotz des Aufforderungscharakters auf Distanz gehalten. Das könnte aber schlichtweg der erwachsene Blick auf die Bücher sein, denn die primäre Adressatengruppe ist in der Lage, die Spannung des Paradoxen zu lösen, indem sie sich ohne Umschweife auf das Identifikationsangebot der Tierfiguren einlässt.
Abschließend ist bei den drei Tier-Weihnachtsbüchern zu bedenken, dass Weihnachten als Vorwand thematisiert sein könnte, als Add-on für ein Thema, das Kinder immer betrifft und sich in der Tierwelt widerspiegelt: Freundschaft im Besonderen und prosoziales Verhalten im Allgemeinen, das Ausgrenzung (Der kleine Dachs im Weihnachtswald) und Misstrauen (Wer hat Weihnachten geklaut?) überwindet.
2. Begegnungen im hohen Norden und in Tschechien
In dieser Gruppe sind vier Bücher zu verorten, die jeweils anders geartete Begegnungen von Mensch und Tier, einmal von Tier und Wichtel, einmal von Kindern und sprechendem Kuscheltier, zum Gegenstand haben.
Astrid Lindgrens Tomte und der Fuchs, der Folgeband von Tomte Tummetott, zählt schon allein insofern zu den klassischen Weihnachtsbilderbüchern, als der skandinavische Glaube an einen schützenden Wichtel, dessen Wohlwollen sich die Menschen mit Milch und Grütze erhalten, im Mittelpunkt steht. Tomte wohnt schon Jahrhunderte auf dem Hof, wo ihn niemand sehen kann, aber jeder weiß, dass er da ist. Während Tomte Tummetott vom nächtlichen Streifzug des Wichtels von Tier zu Tier und vom Gang durch die Schlafzimmer der Menschen erzählt, füttert Tomte nun einen hungrigen Fuchs mit Grütze, um diesen davon abzuhalten, Hühner zu reißen. Nur auf einer Doppelseite sieht man das Wohnzimmer der Menschen, in dem die Kinder ausgelassen um den Weihnachtsbaum toben. Der knappe Plot, der sich in sprachlich reduzierter Gestalt offenbart, mit Worten voller Magie, fast wie Beschwörungen wirkend, entfaltet sich im Zwielicht, zwischen Tag und Nacht, zwischen Realität und Traum – in einer Atmosphäre, die Harald Wiberg in der Erstausgabe aus dem Jahr 1966 hervorragend in Bilder übersetzt. Das gelingt Eva Eriksson mit den neuen Illustrationen ebenso, obwohl sie das Geschehen anders akzentuiert, stärker mit Primärfarben, weniger mit den Zwischentönen arbeitet. Sie fügt den Bildern der Weihnachtsbaumszene ein Gimmick hinzu, ein Bildzitat, das bekannte Werke von Lindgren aufruft. Ein kleines Mädchen hat sich als Pippi Langstrumpf verkleidet, ein Junge erinnert an Karlsson vom Dach. Darüber hinaus verweisen die Hühner, denen sich der Fuchs nähert, auf Sven Nordqvists Federvieh aus den Pettersson und Findus-Bänden, konkret auf Ein Feuerwerk für den Fuchs.
Von Schweden aus geht es nach Norwegen mit Erik der mutige Elch und seine Freunde von Elisa Maria Brock. Mia und Tobias, fünf und sechs Jahre alt, haben bereits im Sommerurlaub den mutigen Elch Erik kennengelernt. Mit ihren Eltern fahren sie im roten Wohnmobil auch in den Weihnachtsurlaub in die norwegischen Wälder, wo sie Erik und weitere Tiere des Waldes treffen. Alle zusammen schmücken einen Weihnachtsbaum und feiern anschließend gemeinsam. Brock gestaltet die Begegnung von Mensch und Tier in einer einfachen und anrührenden Geschichte, die für Kinder ab drei Jahren geeignet ist. Dem Self-Publishing-Verlag ist es wohl zu schulden, dass Text und Bild klar separiert sind und damit das Layout nicht unbedingt ansprechend wirkt. Was das Buch aber zu einem echten Kleinod macht, sind, so wie es auf dem Umschlag heißt, „Bilder von Kindern für Kinder gemalt!“. Mehrere kleine KünstlerInnen, davon ist auszugehen, fügen ihre Aquarelle zu einer harmonischen Polyphonie zusammen und unterstreichen damit die Botschaft des Büchleins: So verschieden man auch sein mag, ob Mensch oder Tier, man kann an einem Strang ziehen und damit sowohl individuelle Bedürfnisse befriedigen als auch den Sinn für Gemeinschaft fördern.
Langeweile und Tristesse vor Weihnachten lösen die Handlung in Elefantastische Weihnachten von Michael Engler und Joëlle Tourlonias aus. Luise, Anton und Timbo, der sprechende Elefant (ein großes Kuscheltier) sind nun bereits zu einem vierten Band „elefantastischer“ Abenteuer versammelt – nach Elefantastisch. Auf nach Afrika (2014), Elefantastische Abenteuer: Schatzsuche in Afrika (2015) und Elefantastische Reise: Unterwegs nach Indien (2016). Luise und Anton streiten über die weihnachtliche Gretchenfrage, wer denn wohl die Geschenke bringe, Weihnachtsmann (denkt Anton) oder Christkind (glaubt Luise)? Weil sie sich nicht einigen können, beschließen sie, mit einem „Fli-Schwimm-Schlitt-Mobil“, gefertigt aus einem Umzugskarton, auf die Reise zu gehen und selbst einmal am Nordpol nachzuschauen, was es mit dem Geschenkelieferanten oder der Geschenkebringerin so auf sich hat. Sie fliegen mit Timbo über die Niederlande, Großbritannien, Schweden und Island bis zu dem Eispalast, in dem entweder das Christkind oder der Weihnachtsmann wohnt. Sie gehen in den Palast hinein und finden dort viele Päckchen mit exakt den Dingen, die sie sich gewünscht haben. Plötzlich steht die Mutter im Raum und fragt, was sie denn im Keller machen. Die Expedition zum Nordpol, so wie der Untertitel verheißt, endet also im Keller, in dem die Weihnachtsgeschenke aufbewahrt werden.
Elefantastische Weihnachten variiert das Motiv der Traumreise oder der geträumten Reise, das Maurice Sendak in Wo die wilden Kerle wohnen paradigmatisch bearbeitet hat. Auch Michael Engler mixt gekonnt Phantastik und Realismus. Sehr schön setzt sich das in die Bildebene hinein fort, wenn man zum Beispiel auf der Zeichnung des vermeintlichen Eispalastes Päckchen mit tiefgekühlten Himbeeren und Spinat sowie vor allem eine Packung Fischstäbchen mit dem Konterfei von Kapitän Iglo entdeckt. Überhaupt dürften die Illustrationen von Tourlonias für Kinder ab dem Vorschulalter vielerlei Gesprächsanlässe bieten: Alle Länder, die Luise und Anton während ihrer fantastischen Reise überfliegen, erhalten lediglich eine Kurzcharakteristik im Text und auf der Bildebene eine Extension, die im dialogischen Lesen wieder verbalisiert werden könnte.
Diskussionsanlässe schaffen darüber hinaus die Familienverhältnisse, in denen die Kinder leben. Denkt man zuerst (wenn man die ersten drei „elefantastischen“ Bände nicht kennt), dass die beiden Geschwister seien, so kommt man spätestens dann darüber ins Grübeln, als Luise am Heiligen Abend bei Anton klingelt und sagt, dass der Weihnachtsmann ihr eine Puppe gebracht habe. Das steht auf einer mitgelieferten Karte. Anton hingegen erhält sein Feuerwehrauto vom Christkind, was ebenfalls auf einer Karte notiert ist. Hinter dem eigentlichen Plot ist ein weiterer verborgen, so lässt sich mutmaßen: Antons Mutter und Luises Vater sind dabei, eine Patchwork-Familie zu gründen und haben sich beim Beschenken ihres jeweils eigenen Kindes auf die Geschenkebringer-Variante des neuen Partners beziehungsweise der neuen Partnerin eingelassen (oder haben das Kind des Partners beschenkt…). Das Bilderbuch ist also nicht nur mit Bezug auf ein Thema vielschichtig. Nur eines ist sicher: Luise und Anton vertragen sich, wobei sie die Ambivalenz Weihnachtsmann-Christkind gelten lassen. Am Ende leiden sie nicht mehr an vorweihnachtlich trostlosem Regenwetter, sondern spazieren gemeinsam mit Timbo in eine verschneite Winterlandschaft hinein.
Zu erwarten, dass Luise nicht mit der Puppe und Anton nicht mit dem Feuerwehrauto beschenkt werden würde, wäre wahrscheinlich etwas zu viel. Und dennoch: Bei der Vielfalt dieses Bilderbuches hätten durchaus Gender-Aspekte Berücksichtigung finden können.
Vom Elefanten zum Karpfen, von einem fantastischen Nordpol zu einem realistischen Prag des 20. Jahrhunderts: Der Weihnachtskarpfen von Marit Törnqvist und Rita Törnqvist-Verschuur, bereits 1989 in der schwedischen Originalausgabe erschienen, erzählt die Geschichte von Thomas und seinem Großvater, die auf dem Prager Weihnachtsmarkt einen Tannenbaum und einen Karpfen kaufen. Während der Großvater den Baum nach Hause trägt, ersteht Thomas bei einem Fischhändler, der bereits ein blutiges Messer schwingt, einen Karpfen, den er Peppo nennt und über einige Umwege, gespickt mit Bedrohungen für das Tier, in einer wassergefüllten Plastiktüte nach Hause bringt. Anstatt Peppo für das traditionelle Weihnachtsessen zuzubereiten, halten ihn Großvater und Enkel in der Badewanne, danach kurzfristig in einem Aquarium. Das traditionelle tschechische Weihnachtsessen reduziert sich auf Suppe und Kekse in Karpfenform. Am ersten Weihnachtsfeiertag setzen Thomas und sein Großvater Peppo wieder in die Freiheit der Moldau aus.
Der Weihnachtskarpfen ist ein zauberhaftes Bilderbuch mit ebensolchen Illustrationen, mit Aquarellen, die eine Art realistischen Impressionismus umzusetzen scheinen, und stärker ins Impressionistische kippen, als Thomas den Fisch aus der Masse der Totgeweihten herausholt, ihm einen Namen gibt und fortan mit ihm spricht. Thomas erkennt Peppos Bedürfnisse, der bleibt jedoch stumm. So entsteht eine realistischere Variante der berühmten Weihnachtsgans Auguste von Friedrich Wolf.
Neben der Rettung des Karpfens ist die Beziehung von Thomas zu seinem Großvater das Hauptthema: Thomas ist zu seinem Großvater nach Prag gereist, um mit ihm Weihnachten zu feiern und die Einsamkeit zu vertreiben, denn die Großmutter ist vor kurzem verstorben. Die mal innige, mal ausgelassene Zweisamkeit von Großvater und Enkel wird eingebettet in Prager Lokalkolorit und tschechisches Weihnachtsbrauchtum.
Alle vier Bilderbücher thematisieren unter anderem Weihnachten im Familienkreis, jedoch nicht a priori die Seite des Idyllischen und Konfliktlosen. Sieht man von Tomte und der Fuchs ab, dann fokussieren die anderen Bilderbücher ein Weihnachtsfest, das Vorbehalte gegenüber Andersartigkeit abbaut (der Elch Erik im Kontakt mit den Menschen), Ambivalenzen zulässt und Traditionen freudig durchbricht.
3. Ein Schneemann und ein Ostermann
Darum geht es ebenso in den letzten beiden Bilderbüchern, die auf jeweils eigene Weise eine Sonderstellung einnehmen und sich aufgrund dieser Außenseiterposition doch wieder gleichen. Beide bedienen sich am Arsenal altbekannter Weihnachtsfiguren, lassen diese explizit auftreten, variieren (Schneemann) und parodieren sie (Ostermann).
Vor einem Jahr erschien Schneemann Ludwigs größtes Glück in seiner estnischen Originalausgabe. In ihrer Heimat zählt Leelo Tungal zu den bekanntesten KinderbuchautorInnen, die Übersetzung ins Deutsche ist eine Premiere. Schneemann Ludwig ist eigentlich ein sehr glücklicher Schneemann, denn es fehlt ihm an nichts. Als er eines Tages erfährt, dass die Menschen eine Fichte in ihre Stube stellen, möchte er das unbedingt sehen. Der Versuch, seinen Wunsch den Kindern mitzuteilen, die er täglich sieht und sehr liebt, führt zu Missverständnissen. Schließlich zaubert ihn der „Oberwichtel Patrick“ so klein, dass die Mutter ihn findet und als Schmuckstück an einen Tannenzweig hängt. Bevor Ludwig wieder zurückverwandelt wird, darf er den Weihnachtsabend bei den Menschen erleben. Diese Erfahrung hinterlässt ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht.
Geschichten mit Schneemännern, so etwa Der Schneemann von Hans Christian Andersen, enden gemeinhin traurig, denn am Ende kommt der Wechsel des Aggregatzustands. Leelo Tungal hingegen kreiert mit Ludwig einen Dauer-Schneemann, der den Menschen einerseits intellektuell und emotional überlegen zu sein scheint, andererseits aber den sehr menschlichen Wunsch der Teilhabe hat. Auf seinem Kopf trägt der Schneemann „einen modischen Eimer als Hut, den kleine Löcher zierten, so dass den Gedanken genügend Raum zum Atmen blieb“ und eigentlich müssen „Schneemänner in jeder Situation kühles Blut bewahren […] um im Leben weiterzukommen“. Sein fieberhafter Wunsch, der in seinem Kopf herumspuke, passe nicht zu ihm, sondern zu den Menschen. Die Metamorphose mit Zeitlimit ermöglicht ihm beides: kurz bei den Menschen zu sein und danach wieder sein Glück als Schneemann zu leben. Dass Leelo Tungals Geschichte auch eine politische Aussageebene hat, kann nur vermutet werden. Im Gegensatz zu Gepflogenheiten in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion feiern Esten Weihnachten am Heiligen Abend, so wie bei Tungal, die zusätzlich den Weihnachtsmann vorbeikommen lässt. Ludwig könnte für die Figur „Väterchen Frost“ stehen, die sich freilich in vielen Punkten mit dem Weihnachtsmann überschneidet und aus alten Mythen gespeist wird, aber grundsätzlich die Abkehr vom christlichen Weihnachten in der postrevolutionären Sowjetunion markiert. Was die Oberhand gewinnt, ist relativ klar: die ursprünglich christlich geprägten Weihnachten (obwohl der „-mann“ dahinter nicht mehr wirklich dazu passt), an denen Ludwig alias Väterchen Frost lediglich als Miniatur seiner selbst partizipiert, seine fortdauernde Zufriedenheit aber aus exakt diesen bezieht. War Ludwig zuvor glücklich, weil er alles hatte, was er brauchte, ist er es nach dem Weihnachtserlebnis, weil er Freude erfahren durfte.
Die in Blau-, Weiß- und Grautönen gehaltenen Collagen und Aquarelle von Regina Lukk-Toompere – nur die rote Karottennase des Schneemanns und der Weihnachtsbaum stechen aus dieser Farbwelt heraus – unterstreichen vorzüglich beide Aussageebenen des Textes, die wörtliche und die übertragene. Auf jüngere Kinder, empfohlen wird das Buch ab vier Jahren, wirken die abstrakt gehaltenen Bäume (oder andere Gebilde?) vielleicht befremdlich, bei erwachsenen (Vor-)LeserInnen dürften sie polarisieren, indem sie divergierende Assoziationen auslösen.
So wie Schneemann Ludwig kann man Marc-Uwe Klings Der Ostermann in den Bereich der „All-ages-Literatur“ einordnen. Zu dem auch für Erwachsene hohen Appellcharakter des Themas an sich tritt eine Deutungsebene hinzu, die der eigentlichen Adressatengruppe in der Regel noch verborgen bleibt. Ab welchem Alter die Lektüre des Ostermanns sinnvoll ist, wäre gesondert zu diskutieren.
Marc-Uwe Kling, umworben als Autor der Känguru-Trilogie, gleichermaßen Kabarettist und Liedermacher, imaginiert in seinem zweiten Bilderbuch eine Familie, in der es üblich ist, dass der Sohn den Beruf des Vaters, in diesem Falle Weihnachtsmann, übernimmt. Nun weigert sich aber das Kind, denn es möchte partout nicht in die Fußstapfen des Vaters treten. Vielmehr möchte es ein Ostermann werden. Nach vielen Diskussionen beschließt der Sohn, dass er sich vom Weihnachtsmann wünscht, nicht Weihnachtsmann werden zu müssen. Da der Weihnachtsmann jeden Wunsch erfüllt, wächst der Sohn mit der Gewissheit heran, als Erwachsener Ostermann zu sein. Und so kommt es zum Rollentausch mit dem Hasen. Ein Weihnachtshase bringt die Geschenke zu Weihnachten und ein frühlingshaft luftig bekleideter Mann versteckt zu Ostern Eier und diverses „buntes Zeug“ in Nestern.
Mit seiner Erzählung in Reimform gelingt es Kling meisterhaft, das Festhalten am Überkommenen und vor allem den kommerziellen Aspekt des Festes zu verballhornen. Vater Weihnachtsmann bringt den Kindern nicht nur die Geschenke, sondern er ist Faktotum und Chef eines schier unüberschaubaren Weihnachtsimperiums, in dem er unter anderem mit den Mindestlohnforderungen der Wichtel zu kämpfen hat.
Insgesamt entsteht ein großer eklektizistischer Spaß, den die comicähnlichen Illustrationen von Astrid Henn hervorragend begleiten. Mögen auch die Verse manchmal rumpeln wie der Weihnachtsmann durch den Kamin, so kann man sich dem Charme des Ostermanns kaum entziehen. Viele Text- und Bilddetails, unter anderem Parodien auf Werbeslogans, ertönen in einem vielstimmigen Concerto, das in erster Linie voller Witz steckt, aber einen Rattenschwanz an Deutungen im Gefolge haben könnte.
Eine gänzlich säkularisierte Weihnachtsfamilie, Persiflage pur und ein Tausch der Feste – denn irgendwie fallen Weihnachten und Ostern ja auf einen Tag – ziehen eine klamaukige, dennoch tiefgründige Leichtigkeit nach sich, die dann mit Vorsicht zu genießen ist, wenn man christkind- oder weihnachtsmanngläubige Kinder damit konfrontieren möchte. So geht dann der kindliche Glauben dahin. Die Figuren des Ostermanns und des Weihnachtshasen nehmen einen Konsumterror aufs Korn, in dessen Wirkkreis es letztendlich egal ist, welches Fest gefeiert wird und welchen Hintergrund dieses hat: Hauptsache, die Kassen klingeln.
Welches Fazit ist aus dieser Bilderbuchrevue, gleichwohl eine minimale Auswahl aus unzähligen Neuerscheinungen, zu ziehen? Als erstes, dass eine ganze Phalanx weihnachtlicher Themen aufgefahren wird, von der Tierwelt über die Wichtel, den Weihnachtsmann und den Schneemann bis hin zu einem Ostermann, dessen Mutter die vielfältigen Aufgaben eines Weihnachtsmannes zusammenfasst: „Säcke hatten sie aus Jute, und für die Bösen eine Rute. Alle riefen Ho, Ho, Ho! Alle machten große Show. Alle waren Schlittenkutscher, Heimlichtuer, Schornsteinrutscher, Gedichtliebhaber, Stiefelfüller, Wunschempfänger, Kinoknüller, Wichtelchefs und Rentierkenner“. Bei diesem Facettenreichtum, den man in ähnlicher Form in den besprochenen Bilderbüchern beobachten kann, fehlt der Rekurs auf den Ursprung des Weihnachtsfestes und gleichzeitig die unhinterfragte Familienidylle. Letztere wird als Motiv zwar häufig zitiert, dabei jedoch meist neu zusammenmontiert.
Welche Bücher sollten über eine Weihnachtssaison hinaus Bestand haben? Da ist zunächst Der kleine Fuchs im Winterwald, der sorgenfrei lebt und dafür belohnt wird. Zwar wäre die Übersetzung ins Deutsche noch einmal im Detail zu überprüfen, aber ein schlauer Fuchs, der sich nicht dem Vorsorgewahn für den Winter beugt, spricht für sich. Zieht man Tomte und der Fuchs nicht in Betracht, weil dieses Buch genauso wie Tomte Tummetott, Weihnachten im Stall und alle anderen Weihnachtsgeschichten von Astrid Lindgren zu der (kinder-)literarischen Basisbibliothek eines jeden gehören sollte, dann kann man Elefantastische Weihnachten und Der Weihnachtskarpfen nahezu vorbehaltlos weiterempfehlen. Beide exemplifizieren ein wohl problematisches, in letzter Konsequenz aber für alle Beteiligten rundum geglücktes Fest. Erwachsene und Kinder ab ungefähr sieben Jahren sollten sich unbedingt am Ostermann erfreuen, der gegen alle Konventionen kämpft und sich jeder Kategorisierungsbemühung entzieht.
Alles in allem ist also ganz viel Weihnachten im Bilderbuch, was nur teilweise identisch ist mit einem stereotypisierten Bilderbuchweihnachten. Das ist auch gut so, denn Weihnachten in dieser Vielfalt ist für Kinder und Erwachsene anregend, obgleich man sich eine stärkere Besinnung auf das erste Weihnachtsfest und dessen universale und damit religionsübergreifende Wertigkeit wünschen dürfte.
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