Ein Hamburger Pädagoge als zentrale Figur der Aufklärung

Jürgen Overhoffs Biografie über Johann Bernhard Basedow ist eine leichte wie instruktive Lektüre

Von Hartmut HombrecherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hartmut Hombrecher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Johann Bernhard Basedow (17241790) zählt sicher zu den bekanntesten Pädagogen der Aufklärung. Mit seinem Elementarwerk schuf er 1774 eines der bedeutendsten Lehrwerke in der Geschichte der deutschsprachigen Pädagogik. Basedows Wirkung für die Entwicklung ebendieser Disziplin, für gesellschaftliche Vorstellungen von gutem Unterricht oder sogar von Kindheit ist unbestritten. Eine konzise und allgemein verständliche Darstellung von Leben und Werk Basedows fehlte jedoch bisher. Mit einem kleinen, hochwertig gestalteten Sachbuch ist der Münsteraner Erziehungswissenschaftler Jürgen Overhoff in diese Lücke vorgestoßen und hat eine lehrreiche und spannend erzählte Biographie des aufklärerischen Pädagogen vorgelegt. 

Brillieren kann die Lebensskizze insbesondere dort, wo sie die ideengeschichtlichen Diskurse aufzeigt, in die sich Basedows Werk einschreibt. Dann gelingt es Overhoff zuverlässig, einzelne RepräsentantInnen der jeweiligen Strömungen auftreten zu lassen und in ihrem Verhältnis zu Basedow und dessen Positionen zu beleuchten. Im Regelfall sind es die bekanntesten VertreterInnen, die Overhoff zu Wort kommen lässt, etwa Gotthold Ephraim Lessing oder dessen Gegenspieler im Fragmentenstreit, den Hamburgischen Pastor Johann Melchior Goeze, die beide Kritik an Basedow übten. Auch zahlreiche von Basedows berühmten Weggefährten wie Friedrich Gottlieb Klopstock oder Daniel Nikolaus Chodowiecki haben ihren Auftritt, und Immanuel Kants Äußerungen zu Basedow werden ebenso eingeflochten wie diejenigen Goethes. Das Ziel ist klar: Die großen Namen sollen zeigen, dass Basedow nicht irgendjemand war, der heute zu Recht weniger bekannt ist als manche seiner Zeitgenossen. Das Konzept geht auf: Overhoff versteht es, Basedow als eine der zentralen Figuren der deutschen (und europäisch-amerikanischen) Aufklärung herauszustellen, dessen Arbeit nicht nur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kontrovers diskutiert wurde, sondern noch bis heute Wirkung zeigt.

Manche Namen mag man vermissen, weil etwa Basedows Bezüge zur französischen Aufklärung (Rousseau, Voltaire) nur sehr randständig, seine Beziehung zu pädagogischen Konzepten des 17. Jahrhunderts (Comenius, Francke) mit Ausnahme von John Locke gar nicht bedacht werden. Damit wirkt Basedow gelegentlich und besonders dann, wenn er sich gegen Widerstand durchzusetzen hatte, wie der genialische große Mann. Diese Präsentation mag auch daher rühren, dass Overhoffs Biographie in der vom Verein für Hamburgische Geschichte verantworteten Reihe Hamburgische Lebensbildererschienen ist, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, an große Persönlichkeiten aus der Stadthistorie zu erinnern. Im Untertitel Aufklärer, Pädagoge, Menschenfreund zeigt sich diese Perspektivierung bereits. Das führt gelegentlich auch zu Beschönigungen, etwa wenn Overhoff vermerkt, dass Goethe Basedow als „blitzgescheit“ und „höchst unterhaltsam“ wahrgenommen habe und ihn zwar für „undiplomatisch“ gehalten habe, aber „angetan“ gewesen sei. Goethe habe „inhaltlich […] doch insgeheim auf der ganzen Linie“ zugestimmt. Man mag fragen, ob Dichtung und Wahrheit, worauf diese Interpretationen fußen, überhaupt als zuverlässige historische Quelle betrachtet werden sollte. Zumindest aber ist Goethes Beschreibung deutlich negativer, als man es aus Overhoffs Darstellung vermuten könnte: In Dichtung und Wahrheit wird Basedow fast antithetisch zum ‚reinlichen‘, ‚klugen‘ und ‚zarten‘ Johann Caspar Lavater inszeniert. Eine inhaltliche Zustimmung gibt Goethe tatsächlich, eine positive Rezeption der Person Basedows lässt sich aber nur mit sehr viel Wohlwollen herauslesen. Es stellt sich die Frage, ob sie in der Lebensskizze wirklich notwendig war oder ob Basedows durchaus als kontrovers dargestellte Positionen nicht auch mit der Goethe’schen Rezeption seiner Person korreliert hätten. Die verknappende Auslegung ist in jedem Fall auch bei einem populärwissenschaftlichen Buch zu hinterfragen.

Basedows Werk zumindest steht in seiner historischen Bedeutung für sich und so ist es erfreulich, dass Overhoff nicht nur die Stellung des Aufklärers zu seiner Heimatstadt Hamburg (und dem damals dänischen Altona) regelmäßig einfließen lässt, sondern sich insbesondere auf Fragen der Religionspädagogik fokussiert. Die Entwicklung der philanthropischen Überzeugungen Basedows wird von Overhoff als Erkenntnis- und damit auch als Aufklärungsprozess verstanden. Der ursprünglich als orthodoxer Lutheraner erzogene Basedow erfährt durch den Unterricht von Hermann Samuel Reimarus „nagende Zweifel“. Mit der weiteren Beschäftigung und durch das Studium bei Crusius und Gellert aber entwickle er, eigenständig denkend, Lösungen, in denen überkonfessioneller Unterricht als Erziehung zu religiöser Toleranz die tragende Säule wird. Mit diesem inhaltlichen und erzählerischen Prinzip gelingt es der Biographie, nicht nur ein interessantes Lebensbild zu zeichnen und Basedows Werk in seinen Entstehungskontext einzuordnen, sondern auch auf seine Bedeutung für die Gegenwart zu blicken. Der Epilog fragt nach „Basedows Vermächtnis“ und aktualisiert – ganz im Sinne der Aufklärung – die Gedanken der Toleranz und Gleichheit aller Menschen mit Blick auf aktuelle Debatten zum Religionsunterricht.

Mit dem Epilog wird zudem erneut deutlich, welchen Anspruch Overhoffs Biographie hat: Sie soll weniger Wissenschaft betreiben, sondern sie vermitteln. Als Sachbuch gelingt es dem ‚Hamburgischen Lebensbild‘ fraglos, interessante Aspekte der Forschung zu Basedow und dem Philanthropismus zu popularisieren. Wer den Band in die Hand nimmt – und es steht zu hoffen, dass es viele LeserInnen sein werden –, wird sich nur schwer den amüsanten und instruktiven Anekdoten aus dem Zeitalter der Aufklärung entziehen können.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Jürgen Overhoff: Johann Bernhard Basedow (1724-1790). Aufklärer, Pädagoge, Menschenfreund. Eine Biografie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020.
200 Seiten , 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783835336193

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