Kluge Füchse
Andreas Tjernshaugen porträtiert in „Das verborgene Leben der Füchse“ ein Mitglied der Tierfamilie Hund
Von Thorsten Paprotny
Der Fuchs, literarisch bekannt etwa durch Goethes Reineke Fuchs, gilt zwar auch als schlau und verschlagen, doch dessen ausnehmend „schlechter Ruf“ reicht bis in die antike Philosophie zurück. Aristoteles nannte den Fuchs einen „Schmarotzer“, in der frühchristlichen Literatur wurde er dem Teufel gleichgestellt. In Fabeln taucht der Fuchs als listig auf. Andreas Tjernshaugen zeigt, dass ein und dasselbe Tier zugleich als „sympathischer Underdog“ und „gefährlicher Teufel“ dargestellt wurde, „Held und Schurke in einem“. Somit stand dem Fuchs eine Karriere als „unwiderstehliche literarische Gestalt“ bevor, etwa in Geschichten im Mittelalter, aber auch in der kirchlichen Kunst. In der Lübecker Katharinenkirche erkennt Tjernshausen eine „Art Comicstrip über den Fuchs“, der als „verlogener Priester“ auftritt:
Auf dem ersten Relief steht er vor vier Gänsen und predigt. In der Pfote hält er einen Pilgerstab als Symbol der Frömmigkeit. Ich richtete meine Taschenlampe auf die nächste Wölbung und sehe ein neues Motiv, der Fuchs hat jetzt eine der Gänse zwischen den Zähnen. Der Prediger erweist sich also als gieriger Scheinheiliger, und auf dem dritten Relief der bekommt er seine Strafe. Zwei Gänse halten jeweils das Ende eines Stricks im Schnabel und ziehen den Fuchs gemeinsam den Galgen hoch.
Als Symbolfigur im Christentum gehört der Fuchs mit zu den „Vertretern des Teufels“, der besonders fromm und moralisch tut, aber den „falschen Propheten“ angehört, vor denen sich die Gläubigen hüten sollten.
Eine beispielhafte Illustration entdeckt der Autor im Kopenhagener Nationalmuseum: eine kleine Figur, ein Fuchs in Mönchskutte, aus Elfenbein geschnitzt der als „Angriff auf das Mönchtum“ gedeutet werde:
Die Figur steht auf den Hinterbeinen und ist einer Mönchskutte mit Kapuze und weiten Ärmeln bekleidet. In den Vorderpfoten hält sie ein Kreuz und eine Gebetskette. Die Haltung soll wohl Frömmigkeit ausdrücken, mit gesenktem Kopf und flach angelegten Ohren wie bei einem demütigen Hund, aber der Blick hat etwas Beunruhigendes. Die Augen sitzen tief im Kopf. Der Fuchs sieht aus, als wäre er in Gedanken versunken.
Vor einem solchen Fuchs – und insbesondere vor den Kirchenmännern, für die er steht – sollte sich ein vernünftiger, insbesondere frommer Mensch im 16. Jahrhundert unbedingt hüten und sich darum, so scheint die wenig subtile Botschaft zu lauten, der lutherischen Reformation anschließen.
Neben den Exkursionen in die Kunst-, Kultur- und Kirchengeschichte nimmt Andreas Tjernshausen seine Leserinnen und Leser aber vor allem mit in die natürliche Lebenswelt des Fuchses, der der Familie Hund angehört, in Skandinavien. Der Fuchs hat viele Eigenschaften und Begabungen, er sei vom Gewicht her leicht und zu „luftigen Sprünge“ imstande:
In seinem dichten Winterpelz, mit dem sich der Fuchs hier im Norden warm hält, sieht er recht wohlgenährt und rund aus, im Sommer ist der schlanke Körperbau jedoch deutlich zu erkennen. Dem Fuchs fehlt auch die breite Brustpartie, die bei Hunden ähnlicher Größe häufig zu sehen ist.
Der Fuchs verfüge über „katzenähnliche Züge“ – gewissermaßen erweist er sich hier als ein Hund eigener Art –, zeige sich gern von der Seite, mache einen Buckel, wenn es zum Konflikt komme. Ebenso erinnerten die Augen des Fuchses an Katzen:
Die senkrecht geformten Pupillen kommen eigentlich nur bei Raubtieren vor, die nach Einbruch der Dunkelheit jagen. Vermutlich ist diese Augenkonstruktion hilfreich, um bei schlechten Lichtverhältnissen den genauen Abstand zum Beutetier einschätzen zu können; solche Pupillen haben Raubtiere, die wie Katzen und Füchse ihre Beute überrumpeln und sie nicht wie Wölfe über große Distanzen offen verfolgen. Der Blick verrät den Fuchs als einen schleichenden Jäger und Nachtwanderer.
Im Unterschied zu Katzen, die nahezu gänzlich Fleischfresser seien, fresse der Fuchs fast alles, auch Früchte, Regenwürmer, Insekten und Beeren: „Der Fuchs ist vielseitig und anpassungsfähig, ein echter Opportunist.“ Der Fuchs sei eine „widersprüchliche Natur“, nämlich ein „katzenartiger Hundeartiger“, der allein jage und fresse, zudem ein „familiärer Einzelgänger“, der dennoch seinen Nachwuchs mit anderen aufziehe: „Ein schleichender Mäusejäger, der für Luftsprünge gebaut ist, und ein anpassungsfähiger Allesfresser, der nicht nur, wenn es um Futter geht, sämtliche Möglichkeiten ergreift, die sich ihm bieten.“ Über eine bei der Jagd – nach einem „charakteristischen Mäusesprung“ – erfolglose Füchsin schreibt der Autor, dass sie leicht zitterte und „ein wenig verlegen aussah“:
Ein ähnliches Verhalten habe ich bei Hunden, Katzen und wilden Raubvögeln beobachtet – und wenn man so will, auch bei Menschen nach einem missglückten Manöver. Viele Tierarten haben eine gewisse Würde, die es zu verteidigen gilt. Ohne den Respekt anderer leben sie besonders gefährlich.
Der Fuchs, so Tjernshagen, verhalte sich auch spielerisch, was ihm helfe, mit der Umgebung vertraut zu werden: „Das Spiel ist ein Training, um unvorhergesehene Situationen zu meistern.“ Der Fuchs versuche, „im wahrsten Sinne des Wortes“ der Welt „auf den Zahn zu fühlen“: „Er umkreist das Neue, beißt vorsichtig hinein und prüft, ob es gut schmeckt oder zurückbeißt. Er rückt vor und zieht sich abrupt zurück, auch wenn nichts geschehen ist. Der Fuchs ist, solange er auf der Jagd oder auf Entdeckungsreise ist, ein hyperaktives Tier, er prüft, wild, aufmerksam und neugierig.“ Vor allem sei der Fuchs ein „intelligentes Tier“, indessen nicht bloß schlau:
Wenn es einem Fuchs gelingt, in einen Hühnerhof einzudringen, von dem der Eigentümer meint, er sei vor dem Fuchs sicher, indem er gräbt, klettert, den Zaun durchbeißt oder Türen und Luken aufschiebt, zeigt er Erfindungsgabe und draufgängerischen Mut, aber es ist kaum ein Beispiel für seine Schlauheit. Es geht um die Fähigkeit, andere zu besiegen oder zu manipulieren, indem man ihre Absichten und Meinungen ausnützt, ohne dass sie rechtzeitig verstehen, was mit ihnen geschieht. Ähnlich wie Krähen gehörten die Füchse zu den „klugen und verspielten Tieren“.
Ein erzählerisch gelungenes, vielschichtiges und sympathisches Buch über Füchse hat Andreas Tjernshaugen vorgelegt, Lesestoff, der alle, die an der Natur und Tierwelt interessiert sind, anregen und bestens unterhalten wird. Vielleicht gehört der Fuchs zu den bekanntesten Unbekannten unter den Tieren in unserer Lebenswelt und -umwelt, in dieser anschaulichen Spurensuche lernen wir ihn besser kennen und auch schätzen. Wem der Fuchs nur aus der Literaturgeschichte vertraut ist, wird dank dieser Erkundungen von Tjernshaugen staunen, wie begabt und vielseitig dieser sehr besondere Verwandte des Haushundes ist. Dem Fuchs gebührt unser Respekt.
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