Das Leben eines großen Künstlers, gezeichnet

Über Paolo Parisis Graphic Novel „Basquiat“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es über Jean-Michel Basquiat, einen der schillerndsten und einflussreichsten Künstler der vergangenen 40 Jahre, kaum Graphic Novels gab, ist an sich schon auffällig. Dabei sind sowohl sein (kurzes) Leben, als auch seine Kunst, als auch die unglaublich vielen Personen, die er kannte und die ihn kannten, wahre Fundgruben für eine grafisch gestaltete Biografie. Einen Versuch hat nun der italienische Illustrator und Cartoonist Paolo Parisi gemacht, der vorher bereits ähnliche Bücher über Billie Holiday und John Coltrane veröffentlicht hat.

Auf 128 überwiegend knallbunten Seiten hat Parisi, der sich ganz offensichtlich tief in das Universum Basquiat eingegraben hat, Episoden aus dessen Leben und Werk grafisch umgesetzt. In seinem Vorwort schreibt Parisi, was ihn dazu bewogen und inspiriert hat, das Buch in mehrere Kapitel einzuteilen: Artikel aus Fachzeitungen bzw. Magazinen, die sowohl Jean-Michel Basquiat im engeren Sinn, als auch den Kunstmarkt im großen Zusammenhang beschreiben, das Kapitel Andy Warhol hat den Gründer der Factory zur Grundlage, der abschließende Teil nimmt Bezug auf eines von Basquiats letzten Bilder, Riding with death, was natürlich als Vorahnung auf den nahen eigenen Tod interpretiert werden kann. New York/New Wave zitiert den Titel der gleichnamigen Ausstellung vom Februar 1981.

Parisi zeichnet das Leben des in New York geborenen Jean-Michel Basquiat nach, dessen Eltern haitianische und puerto-ricanische Wurzeln haben. Als 17-jähriger – New York ist in einem desolaten Zustand, es steckt mitten in einer Finanzkrise, Gewalt und Unruhen sind beinahe an der Tagesordnung – beginnt Basquiat mit seinem ehemaligen Schulkameraden Al Diaz Graffiti zu sprühen, überwiegend in Tribeca und SoHo. Die Signatur, die sie verwenden, macht schnell die Runde, weil niemand weiß, wer sich dahinter verbirgt: SAMO©. Und obwohl New York voll von Graffitis ist, fallen die SAMO©-Tags auf und lassen die Kunstwelt aufhorchen. Das ist der Beginn einer Karriere, die keine zehn Jahre dauern wird, Basquiat stirbt im August 1988 laut Autopsiebericht an „akuter Vergiftung durch verschiedene Drogen“.

Was in diesen Jahren geschehen ist, deutet Parisis Buch Basquiat an. Es zeigt seinen manischen Arbeitswillen, das Bekritzeln und Bemalen sämtlicher ihm zur Verfügung stehender Materialien, seinen Hunger nach Aufmerksamkeit, seine Einflüsse. Galeristinnen und Galeristen werden in einer Zeit, in der junge Kunst noch nicht sofort hochgejubelt und unverhältnismäßig teuer gehandelt wurde, auf den jungen Mann aufmerksam. Die Liste der Personen aus Film, Musik, Kunst etc., die in dieser Zeit ebenfalls am Anfang ihres Schaffens standen, liest sich heute wie ein Who is Who: Brian Eno, Madonna, Andy Warhol, John Lurie, Keith Haring, Francesco Clemente, Nan Goldin, David Byrne, Arto Lindsay…

Man kann sich ein wenig vorstellen, wie vibrierend und ansteckend jene Zeit gewesen sein mag, Parisis Graphic Novel vermittelt diesen Eindruck jedoch nur teilweise, da seine Zeichnungen zu statisch sind, kaum Dynamik und Bewegung aufweisen. Auch halb- oder ganzseitige Zeichnungen mit Darstellungen von Partys oder Vernissagen wirken seltsam eingefroren, der Geist jener Zeit wird dadurch nicht wirklich spürbar (Man vergleiche hierzu die im Juni 2020 im Carlsen Verlag erschienene Graphic Novel Basquiat von Julian Voloj, die durch eine freiere und wildere Bildsprache das dynamische Element stärker herausarbeitet). Auch die Kollaborationen mit Haring, Clemente und Warhol streift Parisi nur, hingegen geht er deutlich und kritisch auf die sich verändernde Rolle der Galerien ein, stellt den Künstler im Allgemeinen und Basquiat im Besonderen als Spielball derer dar, die die Regeln und Preise machen. Ein wenig schade auch, dass in Parisis Buch die Einflüsse aus Musik, Sport, Literatur und vielen anderen Bereichen und Wissensgebieten nur angedeutet sind, lediglich Basquiats lebenslanges Interesse an Anatomie arbeitet er klar heraus.

Somit ist Basquiat ein guter Einstieg in das Leben dieses epochalen Künstlers, doch wer mehr über Jean-Michel Basquiat, sein riesiges Werk, sein schier berstendes Leben und die Zeit, in der dies alles möglich war, erfahren möchte, nehme den Katalog Boom for Real (Prestel Verlag, 2018) zur Hand, der anläßlich der gleichnamigen Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt/Main erschienen ist.

Titelbild

Paolo Parisi: Basquiat. Ein Leben in Extremen.
Midas Verlag, Zürich 2021.
128 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783038761884

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