Ein Sommer, der alles verändert

Kristina Pfister erzählt in „Ein unendlich kurzer Sommer“ die Geschichten von ganz unterschiedlichen Menschen und ihrem nicht ganz zufälligen Zusammentreffen auf einem alten Campingplatz

Von Laura-Marie SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura-Marie Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir waren unendlich, du und ich und der Sommer.

Hält man Kristina Pfisters neuen Roman in der Hand, wirkt das Cover schon wie ein Versprechen. Eine junge Frau in roter Badekleidung, die sich mit geschlossenen Augen in blaugrünem Wasser treiben lässt, darauf in weißer Schrift der Titel: Ein unendlich kurzer Sommer. Eine sommerliche See-Idylle mag man da erwarten, unbeschwertes Sich-Treiben-Lassen in einer seichten Urlaubslektüre. Vielleicht erwartet man mit Blick auf den Titel auch eine etwas kitschige Liebesgeschichte. Ganz falsch sind diese Vermutungen sicher nicht, doch ist das keinesfalls alles, was der Roman zu bieten hat.

„Ich kann da doch nicht einfach hinfahren“, sagte er.

„Wieso nicht?“

„Weil ich so was nicht mache. Ich fahre nicht einfach auf gut Glück los.“

Und doch sind sie alle irgendwie einfach losgefahren und auf dem Campingplatz des grummeligen alten Gustav gelandet. Allen voran Lale, die einfach in den nächstbesten Zug und auf einem Aldiparkplatz zu besagtem altem Campingplatzbesitzer ins Auto gestiegen ist. Ursprünglich nur auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit, zieht sie spontan in einen der Wohnwagen ein, hilft auf dem Campingplatz aus und bleibt dann einfach da. Hinzu gesellt sich kurz darauf der kaninchenzüchtende Nachbarsjunge Flo, ebenfalls fahrend, allerdings mit einem Traktor mitten durch Gustavs Zaun. Bald reist auch noch Christophe an, von La Réunion aus über drei Zeitzonen hinweg mit einem Brief seiner toten Mutter in der Hand und auf den Spuren ihrer Vergangenheit, die auch sein Leben entscheidend bestimmen soll. James, seines Zeichens Hippie und alter Freund von Gustav, vervollständigt schließlich das ungleiche Quintett, das auf dem Campingplatz gemeinsam den Sommer verleben soll.

Sie sah nicht aus wie jemand, die auf einem Campingplatz aushalf. Vielleicht wollte sie auch mal jemand anderes sein.

Das findet Chris bei seiner ersten Begegnung mit Lale, als sie einfach zusammen im Matsch liegen, und es beschreibt ihren kleinen „Ausbruch“ aus der Alltagswelt recht treffend. Nicht umsonst fühlt sich die junge Frau regelmäßig in ein Paralleluniversum versetzt, in dem ihr Alltag und ihre Vergangenheit einfach nicht zu existieren scheinen. Wirkt es auch, als wäre dies eine von vielen beliebigen Begegnungen in jenem Sommer, vielleicht auch der skurrile Anfang einer Liebesgeschichte, so zeigt sich bald, dass nicht alle Figuren ganz und gar zufällig auf diesem Campingplatz zusammentreffen.

Kristina Pfister erzählt ihre Geschichten auf mitreißende Art und Weise, die insbesondere von den wunderbaren Protagonisten, ihren Beziehungsdynamiken und einer guten Portion Schlagfertigkeit lebt. Erstere wirken wie aus dem Leben gegriffen, wenn auch manchmal etwas verschroben – Figuren, die alle mit ihrem eigenen Charme und Witz auftreten, aber auch mit dicken, tröstlichen Herzumarmungen und eigenwilligen Lebensweisheiten. Mit ihren Eigenarten und ihren Geheimnissen, die über die gesamte Handlung hinweg immer wieder angedeutet, aber erst genau zur rechten Zeit in Gänze preisgegeben werden.

Das passiert Stück für Stück, mal aus Chris’, mal aus Lales und mal aus Gustavs Perspektive. Die Erzählstimme bleibt dabei genau auf dem Stand der jeweiligen Person, greift nichts vorweg und wertet nicht. Auf diese Weise kann der Leser sich zu jeder Zeit in die jeweils fokussierte Person hineinversetzen, hat ihr durch die wechselnde Perspektive aber dennoch immer ein bisschen Wissen voraus, ohne dass allzu viel verraten wird. So setzen sich all die Erlebnisse, Entscheidungen und Erinnerungen Stück für Stück zu einem Ganzen zusammen, und durch ihre chronologische Anordnung kann der Leser die Geschehnisse „live“ mitverfolgen.

Natürlich kommt dabei auch die Liebe nicht zu kurz, eine nicht ganz so heimliche Liebe („,Die duschen wieder‘, nuschelte Flo mit dem Mund voller Sandwich-Eis“.), die zeigt, dass sich die Geschichte irgendwie immer ein bisschen wiederholt. Denn die erste Sommerliebe auf dem alten Campingplatz mit dem See ist sie ganz sicher nicht.

Ein letzter Sommer, dachte er, ein allerletzter Sommer.

Dass Ein unendlich kurzer Sommer trotz all seinem Humor und der Romantik auch Raum zum Nachdenken gibt, stellt sich früh heraus. Für einen der Campingplatzbewohner soll es nämlich der letzte Sommer sein: „… dann wollte er einfach in Frieden sterben. Allein.“ Allein, das sind die Figuren alle, mit ihren eigenen Problemen, ob nun mit Tod, schweren Verlusten oder Krankheit. Nach Annika Büsings Nordstadt ist Ein unendlich kurzer Sommer dabei übrigens eine weitere Neuerscheinung in diesem Jahr, die die Spätfolgen von Kinderlähmung thematisiert.

Unabhängig von ihren Vorgeschichten finden sich nach und nach die ungleichen Campingplatzbewohner zusammen, werden Freunde und helfen einem alten Mann, noch einmal einen schönen Sommer zu verleben – zwischen See, Campingplatz und einer mysteriösen Ausgrabungsstätte, die zu einem Magneten für spirituelle Touristen wird. Und wirklich allein ist bald keiner von ihnen mehr.

,„Life’s a bitch, hm? […]

Die Kunst ist, die Schönheit dazwischen zu sehen“, sagte James. „Zwischen der… Bitchigkeit.“ʼ

Mit Ein unendlich kurzer Sommer ist Kristina Pfister eine wunderbare Geschichte gelungen, die die schönen Seiten des Lebens zeigt, ohne dabei die schlechten gänzlich ausblenden zu müssen. Sie thematisiert Schicksale, zeigt das Lieben wie das Leiden der Protagonisten und verpackt all das in einer unterhaltsamen Geschichte, die gerade durch ihre verschroben-sympathischen Figuren stellenweise herrlich komische Momente hat. Pfisters persönliche Verbundenheit zum Camping ist dabei von großem Vorteil, kann sie so doch ein authentisches Bild des Campingplatzes zeichnen, auf dem sich die Geschichte des Sommers vollzieht, mit all den Abläufen, den Orten und verschiedensten Typen von Campern, die dort zu finden sind.

Ein unendlich kurzer Sommer ist reich an popkulturellen Anspielungen (man nehme nur mal die Kaninchen mit Namen Sherlock und I-Ah). Es ist angenehm zu lesen, mit Sicherheit leichte Unterhaltung, hat aber dennoch durchaus Tiefgang und ist somit eine Empfehlung wert.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Kristina Pfister: Ein unendlich kurzer Sommer. Roman.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2022.
368 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783596706204

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