Ein Philosoph sucht einen König
„Game of Thrones“ im 16. Jahrhundert: Über Nils Minkmars Romandebüt „Montaignes Katze“
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin vom Bürger- und Glaubenskrieg zerrissenes Land, mächtige Häuser, die sich befehden, junge Könige, die vergiftet werden oder sich dem Wahn ergeben, und eine skrupellose Königinmutter als Regentin, der man nachsagt, sie habe in einer einzigen Nacht all ihre Feinde ermorden lassen: Nein, hier ist nicht vom fiktiven Westeros aus „Game of Thrones“ die Rede. Sondern vom Frankreich des späten 16. Jahrhunderts, in dem die Häuser Valois, Guise und Bourbon um die Macht ringen. In dem die Erinnerung an die berüchtigte Bartholomäusnacht Katholiken wie Protestanten gleichermaßen verfolgt und Michel de Montaigne seine berühmten Essais schreibt.
In diese Epoche entführt uns Nils Minkmar mit seinem Romandebüt Montaignes Katze. Der Feuilletonredakteur der Süddeutschen stellt sich damit in jene Reihe von Journalist:innen, die sich, mit unterschiedlichem Erfolg, auf dem Gebiet des Romans versuchen, wie zuletzt Takis Würger, Jakob Augstein oder Hannah Lühmann. Für einen Roman über den Philosophen Michel de Montaigne ist Minkmar geradezu prädestiniert: als Historiker und Frankreich-Experte, als Gründungsmitglied der Montaigne-Gesellschaft – aber auch, weil er jener Textgattung, die Montaigne erfunden hat, dem Essay, nahesteht: 2009 legte Minkmar selbst unter dem Titel Mit dem Kopf durch die Welt eine lesenswerte Essaysammlung vor.
Entsprechend hoch sind die Erwartungen an diesen Roman, übrigens auch deshalb, weil sein Umschlag vor Lobeshymnen nur so strotzt, gespendet unter anderem von Ulrich Wickert und Christopher Clark. Und tatsächlich beginnt das Werk vielversprechend: In einer dunklen Nacht des Jahres 1584 erscheint ein geheimnisvoller Besucher in Montaignes Schloss mit einer Botschaft. Der Philosoph möge zum König nach Paris reisen, inkognito und mit seiner Frau als Tarnung. Aber so recht will die Geheimhaltung nicht klappen, schon deshalb, weil offenbar jede und jeder im damaligen Frankreich Montaignes Essais kennt und schätzt. In einer Zeit von Extremismus und Gewalt plädieren die behutsam tastenden „Versuche“ des Philosophen für wohltuende Skepsis, Toleranz und Reflexion. Zugleich aber steht es um Frankreich so schlecht, dass jeder und jedem in der Begegnung mit Montaigne gleich die Ahnung beschleicht, dass der leicht schusselige, immer in Schwarz gekleidete Mann offenbar auf einer Geheimmission zur Rettung des Landes unterwegs ist.
Und diese Mission hat es in sich. Nach seinen Unterredungen mit dem kindisch-kranken König Henri III., mit seiner mächtigen Mutter Katharina de Medici und dem katholischen Fanatiker Henri de Guise steht fest: Montaigne muss den melancholischen Anführer der Protestanten, Henri von Bourbon, König von Navarra, dazu bewegen, das Thronerbe anzutreten; denn nur er kann das zerrissene Land wieder einen. Was dieser dann ja auch wirklich getan hat, unter dem Namen Henri Quatre; Heinrich Mann hat Frankreichs „gutem König“ zwei große Exilromane gewidmet.
Und auch wenn Montaignes Geheimmission eine Erfindung Minkmars ist, vieles im Roman ist doch historisch verbürgt: Montaignes Mittlerrolle zwischen Reformierten und Katholiken etwa oder der von Minkmar opulent und humorvoll geschilderte Besuch des Königs von Navarra auf Schloss Montaigne, inklusive einer nicht ganz nach Plan laufenden Hirschjagd.
Laut Klappentext weist das Frankreich des 16. Jahrhunderts in seiner Zerrissenheit Parallelen zu unserer Gegenwart auf. Aber ist ein „guter König“ wirklich das, was uns fehlt – oder nicht doch eher ein paar mehr Intellektuelle vom Schlage Montaignes? Überhaupt hält sich das Lesevergnügen leider in Grenzen. Man muss sogar sagen: Der Roman ist mit seinem Hin und Her zwischen Paris, Bordeaux und Schloss Montaigne ziemlich langweilig. Das liegt an den allzu detailverliebten Beschreibungen von Ankleide- oder Hygieneritualen der Zeit ebenso wie an den überwiegend hölzernen Dialogen. Hinzu kommt, dass jemand, der nicht gerade Historiker ist, angesichts der komplexen Machtverhältnisse und all den „Henris“ unter den Figuren schnell den Überblick verliert. Ein Personenglossar wäre eigentlich unabdingbar gewesen, das immerhin hätte Nils Minkmar von George R.R. Martin lernen können. Nachhilfe in Sachen Actionszenen braucht der SZ-Redakteur allerdings nicht. Es gibt zwar nur eine in Montaignes Katze, aber die ist durchaus ordentlich erzählt.
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