Peter und Karli

Richard Plants Detektivgeschichte für junge Leser:innen „Die Kiste mit dem großen S“ erscheint als Neuedition

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kinderroman Die Kiste mit dem großen S des deutsch-US-amerikanischen Schriftstellers Richard Plant (1910-1998) ist erstmals 1936 in der Schweizer Ausgabe, ein Jahr später in der niederländischen Fassung erschienen und trug damals den Zusatztitel Ein Roman für die Jugend. Nun bringt der Gans Verlag den Roman in einer Neuedition heraus und hat den Begriff „Jugend“ durch „Kinder“ ersetzt. Es handelt sich um eine der wenigen editorischen Überarbeitungen eines Kriminalromans für junge Leser:innen, in der die vier Kinder Hanneli, das Nüßchen sowie die Zwillinge Mutz und Peter unerwartet auf sich allein gestellt sind. Die Eltern fahren zu einem Kuraufenthalt und Haushälterin Berta muss wegen eines Blinddarmdurchbruchs plötzlich in die Klinik. Die Kinder informieren ihre Eltern bewusst nicht und meistern ihren Alltag allein. Als Glühbirnen aus einer Kiste im Keller verschwinden, erwacht mitten in dieser einigermaßen behüteten Welt ihr detektivisches Gespür. Die Kinder wollen den Dieb ausfindig machen und schmieden gemeinsam einen Plan.

Spätestens hier werden sich einige an Erich Kästners ersten Kinderroman Emil und die Detektive (1929) erinnert fühlen. Auch im Erzählstil und in den aussagekräftigen Illustrationen des Grafikers Leo Meters gibt es einige Gemeinsamkeiten. Dies spricht jedoch nicht gegen, sondern für den Roman, der trotz des Settings eines fiktiven Ortes in der Schweiz und dem zeithistorischen Kontext, der nichts von den nationalsozialistischen Machenschaften im Nachbarland erahnen lässt, etwas Universales hat und somit für Kinder im 21. Jahrhundert zugänglich ist. Hervorzuheben ist insbesondere die ausgesprochen subtil eingewobene Liebesgeschichte zwischen Peter und seinem Mitschüler Karli. Ungeachtet des Alters des Textes funktioniert der Roman als Detektiv- und versteckte Liebesgeschichte.

Richard Plant findet einen feinfühligen Erzählton. Er nimmt seine Leser:innen an die Hand, indem er einige Handlungen der Kinder deutet: „Warum aber, so muß jeder fragen, warum läuft Karli Schmid vor dem armen Peter davon, der sich doch nur entschuldigen will? Weil Karli Schmid gar nicht auf den Gedanken kommt, daß Peter alles wieder gut machen will.“ Gemessen an heutigen Lektüreerfahrungen mutet die Erzählstimme hier allzu erklärend an, doch lässt sich in den Kinderromanen Kästners, die zu Klassikern geworden sind, ein vergleichbarer Duktus finden.

Die Neuedition erweitert den Roman um Einblicke um den wiederentdeckten Schriftsteller Richard Plant. Zum einen kommt dessen Nichte Barbara Meter zu Wort, die persönliche Erinnerungen an ihren Onkel teilt. Sie schildert unter anderem, dass ihr Vater, Leo Meter, Illustrator des Buches war und sich hatte von Künstlern wie Otto Dix inspirieren lassen. Zum anderen steuert Raimund Wolfert eine aufschlussreiche Kurzbiographie Plants bei. Er schildert etwa die schwierige Beziehung zu dessen Vater Theodor Plaut, der seinen Sohn wegen seiner Homosexualität abgelehnt hatte. In den USA gelang es Plant später, sich als Schriftsteller, Filmkritiker und Dozent zu etablieren, bevor er sich verstärkt in den 1970er Jahren als Aktivist für die Homosexuellenbewegung einsetzte.

Mit einer editorischen Notiz rundet Ulrich Leinz die Edition ab, die um einen Cover-Abdruck der niederländischen Ausgabe (De Kist met de grote S), veröffentlicht 1937 in Rotterdam, bereichert wird. Das Buch erschien damals noch unter Plants bürgerlichem Namen Richard Plaut. Zwar hat die Neuedition die Illustrationen Meters aus der niederländischen Ausgabe abgedruckt, den Text aber aus der Schweizer Erstveröffentlichung aufgenommen.

Beinahe schon nostalgisch wirkt die Beibehaltung der alten Rechtschreibung. Selbst das „ß“ findet in der Schweizer Ausgabe noch Verwendung, bevor es dann von der Erziehungsdirektion des Kantons Zürich 1938 abgeschafft wurde. Der Verlag hat allerdings leider eine gründliche Textkorrektur versäumt, obgleich „offensichtliche Fehler stillschweigend verbessert“ worden seien. In der Neuedition wiederholen sich Zeichenfehler insbesondere im Rahmen der wörtlichen Rede. Ins Auge fallen zudem die fälschliche Kleinschreibung bei einigen Satzanfängen sowie ein unmotivierter Tempuswechsel am Ende des Romans. Wünschenswert wäre auch die eine oder andere Anmerkung zur Rezeptionsgeschichte gewesen. Eine spannende Frage dürfte viele nach der Lektüre des Romans und den Beiträgen von Meter, Wolfert und Leinz umtreiben: Wie wurde die Liebesgeschichte zwischen Peter und Karli beim Schweizer Lesepublikum wahrgenommen? Ein paar bittere Wermutstropfen für die ansonsten gelungene Neuedition, in der man nicht nur den Kinderroman, sondern auch den Autoren Richard Plant wiederentdeckt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Richard Plant: Die Kiste mit dem großen S. Ein Roman für Kinder.
Gans Verlag, Berlin 2023.
210 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783946392309

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