Auf der Suche nach einer gelingenden Verständigung

Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun erarbeiten im Dialog „Die Kunst des Miteinander-Redens“

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rassistische Hetze im Internet, verbale Aggression in Talkshows, Beleidigungen am Rednerpult im Landtag, hasserfüllte Gespräche und sexistische Posts in den sozialen Medien – die öffentliche wie auch die private Kommunikation scheinen in der sich immer weiter beschleunigenden Welt zu verrohen. Wie kann dennoch eine Verständigung gelingen? Dieser Frage gehen der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Psychologe Friedemann Schulz von Thun in ihrem neuen Buch Die Kunst des Miteinander-Redens – Über den Dialog in Gesellschaft und Politik nach, das selbst aus einem Dialog besteht.

Mehrere Jahre trafen sich die beiden Wissenschaftler, diskutierten über die Dilemmata der Kommunikation und bearbeiteten die Transkripte für ihr Buch. Sie erkannten die Dynamik der Polarisierung „von der privaten Streitigkeit bis hin zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung rund um die Flüchtlingsdebatte“, analysierten sie und nahmen dabei das bekannte Kommunikationsmodell des Wertequadrats in die Hand. Im Wertequadrat können Positiv-Werte ihren „Unwerten“ gegenübergestellt werden. Indem man sich der Extrempunkte und der Ergänzungsbedürftigkeit der Auffassungen bewusst wird, könne man mit der richtigen Mischung aus Annäherung und Abgrenzung gegen die Eskalation einer Debatte vorgehen, schreiben Pörksen und Schulz von Thun. Denn die Sachebene werde nicht verlassen. Eine polarisierende Zuspitzung auf der Sachebene habe hingegen den Vorteil, „dass sie einen Gegensatz erst prägnant werden lässt“, was für die Demokratie wichtig ist. So erarbeiteten die Autoren im Gespräch eine neue Ethik des Miteinander-Redens, die auf der richtigen Mischung aus Konfrontations- und Gesprächsbereitschaft fußt und die im Privaten wie im Öffentlichen angewandt werden kann.

Wie aktuell das im Buch vorgestellte Wertequadrat zur Analyse der Krisen- und Katastrophenkommunikation ist, konnte während der sich im März 2020 zuspitzenden Corona-Krise verfolgt werden. Politiker der Bundesregierung und der Landesregierungen betonten den besonnenen Umgang mit der Bedrohung, entlarvten zugleich dramatisierende Behauptungen im Internet und gingen aktiv gegen diese vor. In einem seltenen parteiübergreifenden Schulterschluss wurden schnelle Unterstützungsmaßnahmen sowohl für das Gesundheitswesen als auch für die am Beginn einer Rezession stehende Wirtschaft beschlossen und umgesetzt. Journalisten nahmen sich, ganz im Sinne von Pörksen, „Zeit zur Klärung der tatsächlichen Sachverhalte“. Journalisten haben das von Schulz von Thun erklärte Dilemma „zwischen Aktualität und Sorgfalt“ erkannt. Medien berichten in der sich beschleunigenden Krise übereinstimmend von einer hohen Nachfrage der Bürgerinnen und Bürger nach objektiven und gesicherten Informationen. Hysterie wurde genauso wie Bagatellisierung – die Risiken des Wertequadrats der Krisenkommunikation – von Politik und Medien weitestgehend vermieden. Dies deutet auf eine hohe demokratische Vitalität hin, denn „die Art und Weise des Sprechens und Streitens ist der entscheidende Gradmesser“ hierfür laut Pörksen.

Doch Schulz von Thun mahnt, dass integrale Lösungen – im Buch anhand der Suche von CDU und SPD nach einem Kompromiss im Streit um die Grundsteuer erläutert – erschwert werden, „wenn die Medien sie im Frame Gewinner-Verlierer auswerten und darstellen“. Die Politik reagiere hierauf mit Inszenierung. Schulz von Thun unterscheidet eine „Souveränität erster Ordnung“, die darauf abziele, eine perfekte Inszenierung der eigenen Person zu erreichen und keine Fehler oder Blöße einzugestehen, und eine „Souveränität höherer Ordnung“, nach der eine menschliche Schwäche eingestanden werden könne. Pörksen unterstreicht: „Machtpolitisch könnte einem […] die Offenbarung von Schwäche enorm schaden.“ Er gelangt zu dem Fazit, dass Kommunikation unter den Bedingungen der digitalen Vernetzung kaum kontrollierbar sei. Wer sichtbar werde, der werde auch verwundbar. Und wer sich authentisch gebe, der werde auch angreifbar.

Kompromissbereitschaft könnte dann, statt als integrale Leistung gewürdigt zu werden, als Schwäche ausgelegt werden. Welche Folgen der hieraus resultierende enorme Druck haben kann, der auf den Schultern derjenigen liegt, die in der Politik Verantwortung tragen, erschütterte unmittelbar nach den erwähnten Beschlüssen der Politik in der Corona-Krise Öffentlichkeit und internationale Medien. Matthias Drobinski zitiert in einem bemerkenswerten Artikel der Süddeutschen Zeitung Pörksens Thesen und stellt einen Bezug zum Tod des hessischen Finanzministers Dr. Thomas Schäfer her. Die Corona-Krise treibe das Dilemma von Politikern im Medienzeitalter, zugleich authentisch und fehlerfrei sein zu müssen, auf die Spitze: „Gerade dann, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich am meisten den fehlerlosen Politiker wünschen, muss der, will er sie nicht anlügen, ihnen sagen: Wir werden Fehler machen, egal, was wir tun.“ Damit meint Drobinski, dass die, die in dieser Krise Verantwortung für unser Land tragen, entscheiden, ob sie mit harten Maßnahmen die Gesundheit der Bürger schützen und dabei eine schwere Rezession, Arbeitslosigkeit und Verschuldung in Kauf nehmen, oder ob sie nachgeben, Ausgangssperren lockern und möglicherweise eine höhere Anzahl von Todesfällen akzeptieren. Dr. Thomas Schäfer schrieb in einem seiner letzten Tweets: „Wir können nicht zaubern, sondern nur das Menschenmögliche tun, um Schaden von unserem Land abzuwenden.“ Drobinski urteilt, dies könnte das Vermächtnis des Staatsministers sein

Pörksen weist sehr deutlich darauf hin, welche im Buch herausgearbeiteten Ideale „kaum leistbare“ Kräfte voraussetzen. Beide Autoren sehen den Weg als Ziel und einigen sich auf die Notwendigkeit des Strebens nach dem Ideal einer „Gleichzeitigkeit von personenbezogener Wertschätzung, sachbezogener Kritik und eigener Standpunktsetzung“. Vergessen sie dabei, dass auch rechtliche Rahmenbedingungen Schutz garantieren? Im gesamten Buch werden sie nie thematisiert. Das verwundert. Schließlich schuf der Staat insbesondere mit der Datenschutzgrundverordnung einen Rahmen, der die von Pörksen und Schulz von Thun zitierten voyeuristischen Posts – „ein Festival ständiger Indiskretion“ – oder aus Sensationslust produzierten, journalistischen „Grenzüberschreitungen“ sowie sogar gezielt in die Welt gesetzte Lügen stark eingrenzt. Noch immer kann sich jeder als Sender betätigen und Informationen unmittelbar an eine unüberschaubar große Empfängermenge verbreiten, jedoch sind die Konsequenzen längst deutlich und drastisch geworden. Deswegen sind auf verschiedenen Ebenen möglicherweise Veränderungen erkennbar. Eltern wollen ihr Kind schützen und lassen erfolgreich veröffentlichte Fotos aus Social-Media-Kanälen entfernen. Fotografen müssen das Recht am eigenen Bild respektieren und können ohne schriftliche Einverständniserklärungen kaum noch Fotos von Veranstaltungen anfertigen. Beleidigende Tweets werden zur Anzeige gebracht. Ein Eindruck eines handlungsunfähigen Staates, der Hass und Hetze ohnmächtig gegenübersteht, wäre daher falsch.

Doch auch ohne diesen rechtlichen Rahmen zu bedenken, entsteht im fesselnden Dialog von Pörksen und Schulz von Thun das Modell einer regulierbaren, „fruchtbaren Streitkultur“. Die Hoffnung der Autoren, dass die Zusammenführung der medienwissenschaftlichen und der kommunikationspsychologischen Perspektive einen Gewinn für den Leser darstellt, hat sich erfüllt. Dialogbereitschaft und Konfliktfähigkeit können eingeübt werden, ist die positive Botschaft einer sehr wichtigen Debatte; obgleich es kein Universalrezept für die Konfliktlösung gibt. Es braucht „Respekt vor dem Menschen, auch wenn er irrt“. Nicht zuletzt hallt der Apell der Autoren nach, dass man auch in Zeiten ständiger Unterbrechungen und soghafter Ablenkungen durch ständig neue Ereignisse seinen Gesprächen die Gelegenheit geben muss, „inspirativ und Resonanz erzeugend zu werden“. Diese Gelegenheit sollte der Leser auch dem Buch geben. Es lohnt sich.

Titelbild

Bernhard Pörksen / Friedemann Schulz von Thun (Hg.): Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik.
Carl Hanser Verlag, München 2020.
224 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446265905

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