In Dänemark weltberühmt
Henrik Pontoppidans Erzählungen und Feuilletons in „Kaum ein Tag ohne Spektakel“
Von Werner Jung
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Obwohl Henrik Pontoppidan in Dänemark weltberühmt ist“, schreibt der Kulturwissenschaftler und Leiter des Pontoppidan Centers der Süddänischen Universität Nils Gunder Hansen in seinem Nachwort, „muss man festhalten, dass sein Werk es schwer hatte, außerhalb der Grenzen Dänemarks zu reüssieren“. In der Tat: Wer kennt, geschweige denn liest hierzulande noch den dänischen Realisten Pontoppidan?!
Das war nicht immer so. Für den jungen Philosophen und Literarhistoriker Georg Lukács zählt Pontoppidans bekanntester Roman Lykke Per (dt. Hans im Glück), einer von insgesamt drei Romanen, die Pontoppidan neben einer Vielzahl von Erzählungen sowie Beiträgen fürs Feuilleton geschrieben hat, zu den herausragenden Romanen aus der Epoche des Realismus. Dabei spricht Lukács nicht nur von der „großen Meisterschaft Pontoppidans“. Er erwähnt außerdem auch die geradezu singuläre, „isolierte[] Stellung dieses Werkes inmitten der modernen Romane“: weil der Protagonist beispielhaft für dasjenige steht, was Lukács in seiner Theorie des Romans als sogenannten „abstrakten Idealismus“ bezeichnet. Hierunter versteht er die Tendenz, der Wirklichkeit mit abstrakten und deswegen uneinlösbaren Forderungen gegenüberzutreten.
Ob Lukács damit tatsächlich den Kern von Pontoppidans in der Tradition des Entwicklungs- und Erziehungsromans stehenden Textes getroffen hat, mag dahingestellt bleiben; auf jeden Fall aber hat er die enorme Bedeutung des dänischen Schriftstellers gesehen – noch ehe dieser 1917 (gemeinsam mit Karl Gjellerup) den Literaturnobelpreis erhalten hat.
Der Pastorensohn Henrik Pontoppidan wurde 1857 in Ostjutland geboren. Einer Region in der er auch aufgewachsen ist, und die in seinem literarischen Kosmos immer wieder unter dem Namen des fiktiven Dorfes Lillelunde auftaucht. Nach abgebrochenem Ingenieurstudium arbeitete er als sogenannter Heimvolkshochschullehrer und als Journalist. Ab 1881 schrieb er Erzählungen, die, wie auch seine Feuilletonbeiträge, in Dänemarks renommiertesten Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind. Die nun vorliegende verdienstvolle Auswahlausgabe druckt (erstmals in deutscher Übersetzung) zwölf Erzählungen sowie acht Beiträge fürs Feuilleton, die oft auf persönliche Erlebnisse und existenzielle Befindlichkeiten zurückgreifen.
Von besonderer Bedeutung ist der kleine Prosatext Selbstgespräch am 11. März 1897, den die Herausgeber zu Recht ans Ende ihrer Sammlung gestellt haben und in dem der heutige Leser wie in einer Nussschale die Fin-de-siècle-Wehmut gespiegelt sieht. Ein Text auch, aus dem Namen wie Ibsen und Strindberg, aber auch Schnitzler oder Freud, und nicht zu vergessen die Theorien des Philosophen und Soziologen Georg Simmel aus allen Ecken und Enden aufscheinen. Es geht um die Ich-Erkundung und Identitätsfindung – und die Fragwürdigkeit einer so gravierenden Annahme wie der vermeintlichen Stabilität einer Existenz. Nein, so Pontoppidan, nachdem er diverse Möglichkeiten (s)eines Ichs vorgestellt hat. Sicherheit gebe es nirgendwo. Die Vorstellung eines Ichs mit einer unverwechselbaren und stabilen Individualität sei bloß eine Schimäre. Und doch – und darin liegen nicht zuletzt die Aufgabe und Bestimmung des Schriftstellers und Künstlers – müsse man sich immer wieder und lebenslang ein Bild oder eine Vorstellung von sich selbst machen:
und damit auch von den anderen Menschen, von der Geschichte und den unsichtbaren Dingen. Ich weiß, es gibt nichts Wahnsinnigeres. Denn mit jedem Tag, der vergeht, werde ich mir immer fremder. Und doch kann ich nicht aufhören zu hoffen. Und doch suche ich weiter.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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