Einsamer Kampf zur Rettung des Planeten

Eine anrührende Vater-Sohn-Geschichte voll Intensität erzählt Richard Powers in seinem jüngsten Roman „Erstaunen“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Bücher, bei denen möchte man einfach nicht, dass sie zu Ende gehen. Zum einen, weil sie herzergreifend und phänomenal gut geschrieben sind – zum anderen, weil man schon fast von der ersten Seite an weiß: Das kann nicht gut ausgehen. Der Roman Erstaunen von Richard Powers ist eine der Neuerscheinungen im Jahr 2021, auf die beides zutrifft.

Dafür, dass es nicht gut ausgehen kann, gibt es gleich zwei gewichtige Gründe. Da treffen wir in dem 9-jährigen Protagonisten Robin auf einen kleinen Jungen, der sich mit aller Kraft für ein Umdenken der Menschen in der Klimakatastrophe einsetzt und die Politik dazu bringen will, endlich etwas zu tun, anstatt Kinder wie ihn die Folgen dessen ausbaden zu lassen, was menschliche Ignoranz und Gier dem Planeten angetan haben. – Natürlich wissen wir als Leser, genau wie sein Vater, dass in den USA unter Donald Trumps Ägide niemand auf seine mahnenden Worte hören wird.
 
Erschwerend kommt hinzu, dass Robin zudem den Verlust seiner Mutter verkraften muss, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Mit seinem Einsatz für die Umwelt möchte er ihr Vermächtnis erfüllen, da sie bis zu ihrem Tod als unermüdliche Aktivistin bei einer NGO im Einsatz war. Aber gleichzeitig ist sein Tun auch der verzweifelte Versuch, ihr nahe zu sein – war sie doch einer der wenigen Menschen, bei denen er überhaupt Nähe zu lassen konnte.

Sein Vater, ein Astrobiologe, weiß das nur zu genau und unterstützt ihn deshalb voll und ganz in seinem Engagement. Er sieht in Robin nicht, wie alle anderen, eine autistische Persönlichkeit „im Spektrum“, sondern eine sensible, überaus talentierte und intelligente kleine Person, die weniger an einer „Krankheit“ als an der Mittelmäßigkeit und dem Unverständnis der Menschen zu scheitern droht. Er versucht alles, um seinem Sohn trotz Asperger-Diagnose das Leben so leicht und  schön wie möglich zu machen, auch wenn sein unkonventioneller Umgang mit ihm dazu führt, dass Schulleitung und Jugendamt ein strenges Augen auf die beiden haben.

Obwohl er sich ohne seine Frau vollkommen unzulänglich fühlt, sorgt er für Robin nicht nur für unvergessliche Abenteuer auf fiktiven Reisen durch das Universum, sondern auch für Trips in wilde, raue Naturlandschaften, wo sie beide dank der Abwesenheit anderer Menschen einfach mal tief durchatmen können. Dieses Glück ist ihnen aber nicht dauerhaft beschieden, sodass der Vater nach hartem Ringen mit sich dafür sorgt, dass Robin an einem neurowissenschaftlichen Forschungsprojekt teilnimmt. Die erstaunlichen Erfolge, die dabei erzielt werden, führen dazu, dass Robins „Verwandlung“ bei Fachleuten und in den Massenmedien für Furore sorgt. Nichtsdestotrotz wird das Forschungsprojekt dank Präsidialbeschluss eingestellt, da Trump die Wissenschaft ebenso verachtet wie unabhängige Medien. So ist am Ende alles schlimmer als zuvor und die Einnahme von Psychopharmaka scheint für Robin letztendlich unausweichlich.

Brillant erzählt, in mitreißenden Bildern und klugen Dialogen lässt uns Powers die ebenso innige wie schwierige Beziehung zwischen Vater und Sohn nachempfinden. Wir leiden mit beiden angesichts ihrer tiefen Verlassenheit – und freuen uns mit ihnen, wenn der hochbegabte, aber dennoch kindliche Robin mal wieder hinreißende, entlarvende Erkenntnisse über die Beziehungen von Menschen und Tieren, die Politik oder das Universum zum Besten gibt.

Sein ehrlicher, unverfälschter Blick auf die USA der Ära Trump, seine Verzweiflung über den Niedergang des blauen Planeten durch die Gattung Mensch und sein Tatendrang lassen beim Lesen Scham aufkommen dafür, dass man selbst nicht permanent auf den Barrikaden steht, um das Unausweichliche vielleicht doch noch zu verhindern. Gleichzeitig macht die Lektüre wütend darüber, dass hochintelligente und zutiefst moralische Menschen wie Robin ausgegrenzt werden, während die Gesellschaft von ökonomischer Rücksichtslosigkeit und politischer Kurzsichtigkeit geprägt ist. So präsentiert Powers in seinem Roman nicht nur eine ergreifende Vater-Sohn-Geschichte voll tiefer Emotionalität, sondern zeichnet zudem eine treffende Momentaufnahme des dumpfen, polarisierenden Klimas der Trump-Ära, dessen Folgen die USA noch lange zu tragen haben werden.

Titelbild

Richard Powers: Erstaunen. Roman.
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
320 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783103971095

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