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Erich Fried, gezeichnet von Loredano (2002)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Von ihm war gelegentlich, zumal in den siebziger Jahren, ebenso im Bundestag die Rede wie in den Landesparlamenten – allerdings stets in einem wenig schmeichelhaften Zusammenhang. Auch mußten sich mit ihm, Erich Fried, ordentliche Gerichte befassen. Daß man seine Arbeiten in Schullesebücher aufgenommen hat, ist nicht ungewöhnlich: Dessen konnten und können sich andere zeitgenössische Lyriker ebenfalls rühmen. Frieds Gedichte wurden aber – und das ist nicht mehr alltäglich – aus manchen Lesebüchern auf höhere Weisung wieder entfernt. In Bremen gar hat ihm ein törichter Politiker den großen Gefallen getan, öffentlich die Verbrennung seiner Verse zu fordern – effektvoller hätte man Fried und seinem Werk kaum dienen können.

Aus Wien, wo er 1921 geboren wurde, floh er im Frühjahr 1938 nach England. Als man ihn in London, im Komitee, das sich der jüdischen Flüchtlinge aus Österreich annahm, nach seinen beruflichen Plänen befragte, verblüffte er die amtlichen Betreuer mit der knappen Auskunft, er sei entschlossen, „ein deutscher Dichter“ zu werden. Man hielt den Siebzehnjährigen für nicht zurechnungsfähig oder zumindest für infantil. Aber vielleicht zeugte diese Antwort des jungen Fried nicht nur von rührender Naivität, sondern auch von der Lust an der Provokation. Er hat jahrzehntelang in England gelebt und ist 1988 während eines Aufenthalts in Deutschland gestorben. Er war weder ein Österreicher noch ein Engländer oder ein Deutscher. In London hatte er ein Haus, doch zu Hause war der unruhige Geist nicht dort. Wo also? Vielleicht war er es unterwegs, auf zahllosen Reisen quer durch die deutschsprachigen Länder, stets seinen Zorn und seine Empörung in Vers und Prosa offerierend.

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Aus: Marcel Reich-Ranicki: Mein Freund Erich Fried, nur für Online-Abonnenten