Die verkehrte Krone

Über Juden in der deutschen Literatur – Franz Kafka (1995)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Die Söhne und Enkel jener, die nach Jahrhunderten dem Getto entkommen waren, sehnten sich nach einer Heimat, nach einem Hafen. Einer von ihnen, Gustav Mahler, sagte knapp, er sei „dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude unter allen Nationen der Erde“. Zugleich wurde diese Generation jüdischer Intellektueller, deren Existenz die Religion nicht mehr zu prägen vermochte, von der Heimatlosigkeit in einem anderen Sinne verunsichert und gepeinigt. Keiner hat das treffender artikuliert als der unglückliche deutsche Dichter, der die Heimatlosigkeit der Juden zum Thema seines Werks, eines Jahrhundertwerks, erhoben hat: Franz Kafka.

In einem Brief an seinen Freund Max Brod spricht Kafka 1921 von dem „Verhältnis der jungen Juden zu ihrem Judentum“ und von „der schrecklichen inneren Lage dieser Generation“. Er erkannte sie klar und deutlich: „Weg vom Judentum … wollten die meisten, die deutsch zu schreiben anfingen, sie wollten es, aber mit den Hinterbeinchen klebten sie noch am Judentum des Vaters und mit den Vorderbeinchen fanden sie keinen neuen Boden. Die Verzweiflung darüber war ihre Inspiration.“

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