I.2. Texttypen und Schreibweisen

Leseprobe

Von Rüdiger ZymnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rüdiger Zymner

2.1 Rahmenbedingungen

Nicht alle Texttypen sind zugleich auch literarische Gattungen. Telefongespräche als Textsorten der mündlichen Kommunikation sind es beispielsweise nicht, jedenfalls kümmern sich Literaturwissenschaftler gewöhnlich nicht um die Textsorte ›Telefongespräch‹ wie um eine literarische Gattung, weil und solange das Telefongespräch nicht als Literatur betrachtet wird. Anders verhält es sich mit Romanen, Komödien oder Gedichten, aber auch mit Aphorismen, Essays oder Autobiografien – teils, weil diesen Texttypen traditionell zugestanden wird, zur Literatur (gar der ›schönen‹) zu gehören und daher als ›literarisch‹ bezeichnet werden zu können, teils, weil sie erst neuerdings aus unterschiedlichen Gründen dazu gerechnet werden.

Ähnlich liegen die Dinge bei den sogenannten ›Schreibweisen‹, die selbst keine literarischen Gattungen oder Texttypen sind, aber Texttypen und Gattungen oder wenigstens doch einzelne Texte prägen können. Schreibweisen sind die medienspezifischen – auf Schrifttexte bezogenen – Ausprägungen allgemeiner, gestaltgebender oder prägender Verfahren, die an und für sich auch in anderen medialen Kontexten vorkommen können. So ist die Parodie beispielsweise nicht allein ein Verfahren in Schrifttexten, sondern auch in Bildern, in der Musik oder in theatralischen Vorführungen. Und als medienspezifisches Verfahren in der Literatur ist die Parodie andererseits in allen möglichen Texttypen oder Gattungen anzutreffen. Ähnliches gilt für die Kontrafaktur, den Manierismus oder auch für die Satire bzw. das Satirische – und grundlegend nicht zuletzt für das Narrative, das Dramatische und das Lyrische: Alle diese Verfahren zeichnen sich durch bestimmte Charakteristika aus, ohne damit und dadurch notwendig eine bestimmte Gattung zu bilden. Den satirischen Roman kennen wir ebenso wie das satirische Drama und das satirische Gedicht, das lyrische Drama ebenso wie die dramatische Geschichte.

Literarische Gattungen und Schreibweisen sind ein zentraler Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft. Gattungszuschreibungen und Schreibweisenbestimmungen gehören zu den ubiquitären literaturwissenschaftlichen Prozeduren, mit denen Literaturwissenschaftler ihren Gegenstandsbereich ordnen, sich in ihm orientieren und ihn im Kontext ihres Faches kommunizierbar (nicht zuletzt: lehr- und lernbar) machen. […]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.