Bilder aus einer inszenierten Welt

Ein neuer Fotoband über Nordkorea überrascht mit fantastischen Motiven und skurrilen Zitaten

Von Maik SöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik Söhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nordkorea - war da nicht was? Ja, doch, Steinzeitkommunismus, Nahrungsmangel als Waffe gegen Unliebsame, Gerüchte über verschwundene und gefolterte Dissidenten, Atomtests. Man kann nicht sagen, dass Nordkorea in den Nachrichten nie vorkäme. Aber so, wie es vorkommt, will daraus bisher einfach kein Gesamteindruck entstehen. Es bleibt vielmehr bei nebulösen Eindrücken, denen man nicht so recht zu trauen vermag. Woran liegt das?

Christian Kracht bietet im Vorwort des neuen Buches "Die totale Erinnerung" eine Antwort auf diese Frage an. "Das Bild Nordkoreas, das wir uns machen, ist dadurch geprägt, dass wir aus diesem Land so wenige Bilder haben", schreibt er, bevor die Regisseurin und Autorin Eva Munz und der Designer und Fotograf Lukas Nikol diesem Bildermangel ein Ende bereiten. Auf mehr als 100 Fotos zeigen sie uns Ausschnitte aus der Architektur und der Lebenswelt eines weithin unbekannten, schlecht beleumdeten Landes und vor allem von seiner Hauptstadt Pjöngjang.

Es ist kein neutraler Blick, der Kracht, Munz und Nikol leitet, sondern ein vom Staat erzwungener. Darauf macht Kracht, den man bisher nur als Popliteraten und Medientausendsassa kannte, im Vorwort aufmerksam: "Die paar tausend ausländischen Touristen und die vereinzelten ausländischen Journalisten und Geschäftsleute, die jährlich nach Pjöngjang kommen dürfen, werden von einer Vielzahl von Aufsehern begleitet, beschützt und gelenkt - ihr Blick wird gesteuert -, sie sehen nichts, was ihnen nicht vom Regime gezeigt wird." Und wo der Staat alle nur denkbaren Bereiche in sich vereint, also so total ist wie in Nordkorea, da kommt man am Staats- und Parteichef Kim Jong Il erst recht nicht vorbei.

Kracht, Munz und Nikol haben aus diesem Zwang das Beste gemacht. Die aufgenommenen Bilder sind im Buch arrangiert rund um Aussprüche Kim Jong Ils, der als leidenschaftlicher Freund der Filmkunst gilt. Das erste Foto zeigt den Präsidenten hinter der Kamera, ergänzt wird es durch sein Zitat: "Ein Film beginnt mit den Details, aber am Ende nimmt er große Formen an. Das ist auch im allgemeinen Leben so."

Wir sehen Denkmäler, Stadtansichten, Landschaftsaufnahmen, Propagandaplakate und begeisterte Volksmassen, aber ganz nebenbei sickern immer mehr Bilder aus der Alltags- und Arbeitswelt ein: Junge Leute in einer Bar, medizinisches Fachpersonal, Studenten, graue Wohnblöcke. Fast jedes dieser Fotos ist an Zitate aus Kims Büchern gekoppelt und macht damit deutlich, dass alles inszeniert und choreografiert ist.

Das Bild einer harmlosen Flusslandschaft samt Park bietet für sich genommen nur fließende Ruhe und Beschaulichkeit. Daneben steht Kim Jong Ils Satz: "Damit wahrhafte Bilder entstehen, müssen im Brennpunkt der Aufnahme Menschen und ihre Lebensverhältnisse sein. Bilder sind eben eine Wiedergabe des menschlichen Daseins. Achtet man nicht darauf, sind diese Aufnahmen wertlos." Aber man sieht auf dem Bild gar keinen Menschen. Ist es also wertlos? Das Zitat geht weiter: "Wirklich schöne Bilder werden nur dann gemacht, wenn der Kameramann auch die Natur und andere Dinge einbezieht." Da haben wir ja noch mal Glück gehabt.

Kims Sätze sind so allgemein und didaktisch zugleich, dass die Inszenierung das gesamte Buch lückenlos prägt. Das kann man als Schwäche begreifen, da Lebendigkeit und Spontaneität auf der Strecke bleiben. Man kann darin aber mit guten Gründen auch eine Stärke sehen, die jeder bessere Katalog und jedes halbwegs gut sortierte Museum bietet: Übersicht, Klarheit, Ordnung - erzeugt im Bewusstsein, dass Objekte nun einmal angerichtet und auf eine bestimmte Art präsentiert werden müssen, um zu wirken. Die Werbung in der westlichen Welt funktioniert ähnlich.

Zu Recht spricht Kracht im Vorwort immer wieder von Simulationen und Projektionen, die das Regime dem ausländischen Beobachter anbietet, und die von den Fotografen freudig angenommen werden, um dann doch wieder mit eigenen Simulationen und Projektionen darauf zu reagieren. Es entsteht ein dialektisches Versteckspiel zwischen objektiver Vorgabe und subjektiver Annahme, oder anders gesagt: zwischen Macht und Kunst.

Das kann man jedem einzelnen der Bilder ansehen und auch deswegen bleiben sie nachhaltig im Gedächtnis, bilden, passend zum Buchtitel, eine "totale Erinnerung". Doch die nebulösen Eindrücke über dieses Land können selbst die besten Bilder nicht verdrängen. Das könnte nur eine Öffnung zur Welt.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien bereits im Amnesty-Journal. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Eva Munz / Christian Kracht / Lukas Nikol: Die totale Erinnerung. Kim Jong Ils Nordkorea.
Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2006.
136 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3807710205

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