Parodie zwischen Tradition und Innovation

Margaret A. Roses und Nikola Roßbachs Studien über eine diskreditierte Textsorte

Von Almut VierhufeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Vierhufe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die literaturwissenschaftliche Forschung zum Phänomen Parodie setzte erst verspätet ein. Lange galt die Parodie als unvermeidliches, doch nicht ernst zu nehmendes Nebenprodukt innerhalb der Literaturgeschichte, das bar jeder Qualität Meisterwerke der Kunst und Literatur der Lächerlichkeit preisgab. Verkannt wurde in solchen Urteilen stets die spezifische Form und Funktion der Parodie: Sie konkurriert nicht mit dem literarischen Kanon, sondern bezieht als legitimes Mittel indirekter Literatur- und Kunstkritik Stellung im ästhetischen Meinungskampf.

Margaret A. Rose, durch mehrere Publikationen ausgewiesene Spezialistin auf dem Gebiet der Parodie, konzentriert sich in ihrem Essay "Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit" auf die verschiedenen Formen parodistischen Schreibens von der Antike bis zur Gegenwart und lenkt dabei den Blick auf die Vielfältigkeit und Omnipräsenz von allgemein als "intertextuell" bezeichneten Verfahren in Literatur, bildender Kunst und Film. Das Ziel ihres Essays ist nicht nur eine knappe, konzentrierte, den neuesten Forschungsstand berücksichtigende Darstellung von Parodie- und Intertextualitätstheorie, sondern auch die auf Beispiele gestützte Einführung eines neuen Begriffs, den der "Interbildlichkeit". Parodiekonzepte, literarische Intertextualität und der Zusammenhang dieser beiden Termini sind in der Forschung gut dokumentiert. Mit dem Begriff "Interbildlichkeit" will Rose eine terminologische Lücke füllen. Nicht "intertextuell", sondern "interbildlich" sind für sie alle diejenigen Bezüge und Verweise, die sich nur in der bildenden Kunst beziehungsweise im Film finden oder Text- und Bildwelten mischen, gleichgültig ob sie Kritik, Hommage oder stilistische Variation signalisieren. Bisher fiel auch dieses Verfahren unter den Begriff der "Intertextualität". Rose geht es in ihrem Essay somit weniger um konkrete Text- beziehungsweise Bildinterpretationen als vielmehr um theoretische Begriffsab- und -eingrenzungen, die ein terminologisches Rüstzeug für die Analyse der Vernetzung künstlerischer Werke ergeben sollen.

Sie rekapituliert Geschichte und Theorie der Parodie von der Antike bis zur Gegenwart anhand der Forschungsliteratur und gibt knappe Hinweise zur Etymologie, vor allem aber zu Begriffs-, Form- und Funktionswandel der Textsorte mit Beispielen aus über 2.000 Jahren Literaturgeschichte. Der Schwerpunkt des Überblicks liegt auf der Intention und Rezeption parodistischer Texte und erklärt sich aus der Definition, Parodie vorrangig als Katalysator im Prozess literarischen Wandels zu begreifen. Diese Funktion der Parodie griffen grundlegende Studien zur Intertextualitätstheorie des 20. Jahrhunderts (russischer Formalismus, Julia Kristeva, Michail Bachtin) auf, die in der schlichten wie provozierenden These gipfelten, alle Literatur sei per se intertextuell und könne nur als ein vielfältiges, kunstvolles Beziehungsgeflecht gelesen und verstanden werden. Für intertextuelle Bezüge sind Komik und Kritik, wie Rose ausdrücklich betont, nicht mehr konstitutiv: Verweise auf andere Texte müssen weder eine persiflierende noch eine (literatur)kritische Intention besitzen, auch wenn verfremdende Techniken immer auch als Kritik interpretiert werden können.

Mit zahlreichen Beispielen für Text-Bild-, Bild-Bild-Verschränkungen und Genre-Überschneidungen dokumentiert Rose "interbildliche" Prozesse, also Vernetzungsstrategien, die sich nicht (allein) auf sprachliche Zeichen beschränken. Berühmte kunsthistorische Beispiele für selbst- beziehungsweise fremdreferenzielle Interbildlichkeit, auf die Rose bereits in früheren Studien verwies, sind Velázquez "Las Meninas" (1656/57) und Picassos Variationen auf "Las Meninas" (1957), aber auch Magrittes provozierend-verwirrende, mit semiotischen (Abbild-)Theorien spielende Text-Bild-Verknüpfung "Les deux mystéres" (1966).

Das ist alles nicht neu und somit muss die Studie, die sich freilich auch ausdrücklich als "Essay" mit den entsprechenden textsortenspezifischen Kriterien versteht, vor allem als knapper Forschungsüberblick der Parodie- und Intertextualitätstheorie gelesen werden, der ganz prononciert die imitierenden und gleichzeitig verfremdenden künstlerischen Verfahren in den Dienst eines kulturellen Erneuerungsprozesses stellt. In dieser konzisen, mit illustrativen, auch aktuellen Beispielen ausgestatteten Darstellung liegt der Nutzen dieser Studie. Problematisch bleibt die Einführung des neuen Begriffs "Interbildlichkeit", der zwar terminologische Präzision, nicht aber analytische Transparenz fördert und dort irreführend wird, wo er ausdrücklich auch die verschiedenen Formen von Sprachbildern in literarischen Texten meint: Hier greifen Begriffe der klassischen Rhetorik und der Stilistik immer noch am besten.

Nicola Roßbach widmet sich in ihrer Habilitationsschrift "Theater über Theater. Parodie und Moderne 1870-1914" der Parodie auf Drama und Theater, die besonders um 1900 in den Kulturmetropolen Berlin, München und Wien die traditionelle und experimentelle Theater- und Bühnenlandschaft spiegelt und begleitet. Ziel der Arbeit ist es, anhand von exemplarischen Analysen repräsentativer Formen der theatralen Parodie die Frage zu klären, ob und mit welchen Mitteln Dramen- und Bühnenparodien Einfluss auf literarische Entwicklungen genommen haben und welche Rolle ihnen im Entstehungsprozess des modernen Dramas und Theaters zukommt - ein Desiderat der (theaterhistorischen) Forschung. Bereits das Quellenkorpus von insgesamt 600 Parodien, das Roßbach ihren Untersuchungen zugrunde legt, lässt vermuten, dass hier nicht nur Aufschluss über parodistisch vermittelte Traditionsbewahrung und -pflege beziehungsweise literarische Innovationsschübe gegeben wird. Den Leser erwartet ein weites Spektrum an Formen und Funktionen literarischer Prozesse, die beispielhaft die gemeinhin als literarisch-kulturelle Zeitenwende und Umbruchszeit etikettierte Epoche um 1900 dokumentieren. Denn in Parodien spiegeln sich eben nicht nur textimmanente Prozesse, sondern - ihrer Natur als Rezeptionsphänomen gemäß - die verschiedenen Aspekte künstlerisch-ästhetischer Fehden und literarischer Gruppen- und Parteibildungen.

Der theoretisch-terminologischen sowie literar- und kulturhistorischen Einordnung und Systematisierung des Materials dienen die ersten drei Kapitel, in denen Roßbach die Forschungsliteratur über Parodietheorien, -konzepte und -modelle referiert, kritisch hinterfragt und die - im weitesten Sinne - geistesgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und Voraussetzungen des untersuchten Zeitraums vorstellt. Die zu detaillierte Explikation der verschiedenen Parodiebegriffe trägt freilich den methodischen und theoretischen Ansprüchen einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit Rechnung und ist, wie leider so oft, eine abstrakte, terminologische Debatte, die nicht in die Textanalysen eingebunden wird. Neue Erkenntnisse oder gar einen eigenen, für die Analyse erarbeiteten Parodiebegriff liefert sie nicht. Fazit der theoretischen Präliminarien ist, dass den Interpretationen ein weiter Parodiebegriff angemessen wird, der genug Spielraum lässt, auf die vielfältigen inhaltlichen, formal-stilistischen und pragmatischen Aspekte der Quellen einzugehen. Mit dieser Voraussetzung wird Roßbach, wie auch die Analysen zeigen, der Heterogenität ihres Materials gerecht und vermeidet zugleich vorschnelle Urteile über Intention und Tendenz der Parodien.

Ebenso vorbereitend wie das theoretische Kapitel ist die Darstellung der historischen Hintergründe und Voraussetzungen für den "Boom" (offenbar ein Lieblingswort der Verfasserin) von Theaterparodien um 1900. Die Gründe für die Entwicklung des literarischen Pluralismus sind gut erforscht und dokumentiert; Roßbach resümiert die Ergebnisse der Forschung zu Schreib- und Lesesozialisation im 19. Jahrhundert, zu allgemein soziologischen und gesellschaftlichen Bedingungen (zunehmende Alphabetisierung, Wandel der Bevölkerungsstruktur, die rasante Entwicklung des Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes durch technische Neuerungen). Relevant für das Erkenntnisinteresse der Untersuchung ist die Dokumentation über die verschiedenen Publikations- und Aufführungsorte der theatralen Parodien: Der historischen Situation gemäß konzentriert sich Roßbach auf die kulturellen Zentren um 1900 und gibt einen Einblick in die vielfältige Theater-, Kabarett-, Bühnen-, Brettl-Landschaft sowie in die Vielzahl von Witz- und Karikaturblättern, Anthologien, Reihen und feuilletonistischen Beilagen renommierter Tages- und Wochenzeitungen, die als Foren parodistischer Literatur- und Theaterkritik bekannt sind.

Souverän meistert Roßbach die Schwierigkeit, dem umfangreichen Quellenkorpus gerecht zu werden, wenn für die exemplarischen Analysen repräsentative und aussagekräftige Parodien ausgewählt werden müssen. Sie orientiert sich an ausgewählten Analysekriterien, die stets am Material geprüft und hinterfragt werden: Die Systematik bleibt flexibel, unterwirft die Quellen nicht einem vorgefertigten Interpretationsschema und bannt somit die Gefahr vorschneller Urteile über die oft nur vermeintliche Sprengkraft parodistischer Persiflagen im Prozess literarisch-kultureller Erneuerung.

Zwei Textkategorien stehen im Mittelpunkt: Parodien auf das traditionelle, "alte" Theater (etwa Rührstücke, Lust- und Singspiele, Räuber- und Ritterdramen, Geschichtsdramen) und Parodien auf innovative, "moderne" Literatur und Theater: Naturalismus und Symbolismus. Berücksichtigt werden nicht nur Parodien mit nachweislich kritischer oder satirischer Tendenz, sondern auch die viel zahlreicheren Ulk- und Nonsenseparodien. Denn gerade die weniger kunstvollen Parodien stellen mit unermüdlicher Redundanz typische Mängel und Schwächen der Vorlagen zur Schau und unterminieren damit den gängigen, in Stereotypen festgefahrenen Literatur- beziehungsweise Theaterkanon. Entgegen der oft beschworenen progressiven Tendenz der Parodie, Altes zu verdammen und Neues zu propagieren, zeigt Roßbach, dass auch mit der literarischen Avantgarde nicht zimperlich umgegangen wurde. Besonders die sprachlichen Experimente naturalistischer Bühnen- und Dramenkunst erfreuten sich großer Spottlust: Stammeln, Stottern, Stöhnen, Rülpsen kommentierten das Bemühen der Avantgarde um realistische Gestaltung von Stil und Sprache. Ihre Analysen berücksichtigen alle Ebenen parodistischer Karikatur auf inhaltlicher, formaler und pragmatischer Seite. Selbst die für Theaterparodien wichtigen para-, nonverbalen und selbst "olfaktorischen" (!) Aspekte werden anhand von Regieanweisungen oder zeitgenössischen Aufführungsberichten nachgezeichnet und für die Interpretation nutzbar gemacht.

Die Analysen zeigen, dass im Nebeneinander von altem und neuem Theater auch die Parodieproduktion zwischen Tradition und Innovation pendelt. Sie reagiert seismografisch auf alle kulturellen Entwicklungen, ohne sich allein einer einzigen Richtung zu verschreiben. Das traditionelle Theater wird genauso verhöhnt wie der frühe und späte Naturalismus (Hauptmann, Sudermann, Holz, Schlaf - nicht zuletzt, besonders als Rezeptionsereignis, Ibsen), der wiederum vom literarischen Symbolismus (hier vor allem Maeterlinck und dessen deutsche Rezeption) abgelöst wird. Roßbach beweist, dass Parodien auf die unterschiedlichsten, sich ablösenden, wechselseitig durchdringenden und ineinander verschlungenen, zum Teil parallel verlaufenden Strömungen des Theaters der beginnenden Moderne keineswegs entweder konservative oder progressive Intentionen verfolgen. Die vermeintlich bewahrenden, modernefeindlichen Reaktionen weisen oft bereits über "das Neue" hinaus, indem sie nicht rückwärtsgewandt auf überkommenen Inhalten und Formen beharren, sondern in und mit ihrer Kritik bereits wiederum mechanisierte Verfahren transparent machen und dadurch einen stetigen theatergeschichtlichen Reflexionsprozess begleiten, zum Teil sogar initiieren.

Allein die Fülle der Namen (und deshalb wäre ein Namenregister dringend erforderlich gewesen) der heute größtenteils völlig unbekannten, in ihrer Zeit jedoch prominenten und viel gespielten Vorlagen, die Reihe der talentierten Parodisten, die bisher wenig oder gar nicht untersuchten, zum Teil unveröffentlichten Parodien, die erwähnten Institutionen, wie etwa das zu seiner Zeit berühmt-berüchtigte Berliner Parodie-Theater, das ständig von Zensur und Obrigkeit überwacht und drangsaliert wurde, zeigen, welch bedeutendes Material Roßbach gesammelt, eruiert und ausgewertet hat. Alle Parodien sind bibliografisch mit kurzen Bemerkungen zur Vorlage und zur Intention in einem Anhang erfasst, ebenso mit jeweils biografischer Skizze die einzelnen Parodisten.

Roßbachs Arbeit ist Dokumentation, Darstellung und Interpretation der Parodie auf Drama und Theater um 1900 - profund recherchiert und analysiert, reich an Einsichten und nicht zuletzt in sicherem, gut lesbarem, zuweilen sogar schwungvollem Stil geschrieben, bei dem auch einige Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten in der Verarbeitung der Sekundärliteratur, an manchen Stellen auch allzu plakative und vereinfachende Zusammenfassungen historischer Zusammenhänge nur wenig ins Gewicht fallen.


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Margaret A. Rose: Parodie, Intertextualität, Interbildlichkeit.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
123 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3895285234

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Titelbild

Nikola Roßbach: Theater über Theater. Parodie und Moderne 1870-1914.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
491 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3895285439

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