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Jochen Hörischs Vorschläge zur Rettung der Universität

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der deutschen Universität geht es schlecht. Was Jahrzehnte der Unterfinanzierung noch übrig ließen, das wird nun durch Reformen abgeräumt. Verschulung erstickt jegliches Interesse an Inhalten, ausufernde Formalia verdrängen das wissenschaftliche Gespräch, die Reputation von Wissenschaftlern bemisst sich am Drittmittelverbrauch statt am Erkenntnisgewinn, und die geschäftige allseitige Evaluation, die die Effizienz steigern sollte, hält doch nur die Gutachter von Lehre und Forschung ab. Wenige politische Renommierprojekte verdecken den Blick auf die Lage: Ein paar wenige Eliteuniversitäten sollen als "Leuchttürme" fungieren, eine Metapher, die ebenso genau wie unfreiwillig auf Stürme und Dunkelheit verweist, die rings umher herrschen und an denen wohl kaum jemand ernsthaft etwas ändern möchte.

Jochen Hörisch nennt sein Buch, in dem er alle diese Fehlentwicklungen benennt, "Die ungeliebte Universität"; und in der Tat kann wohl niemand das, was da gerade entsteht, ins Herz schließen. Zu Recht aber verweist er darauf, dass der Mangel an Liebe nicht erst die Folge des Umbruchs ist, sondern ihm vielmehr vorausging. Professoren, für die die Arbeit an der eigenen Abteilung lästige Nebensache ist, gab es schon in den Jahrzehnten zuvor immer häufiger; ebenso wie Studierende, für die die Universität in ihrem Leben zweitrangig war, und das galt nicht nur für jene, die zum Geldverdienen gezwungen waren. All dies mag erklären, wie wenig Widerstand den jüngsten Reformen entgegengesetzt wurde - neben der Erlahmung durch jahrzehntelange Abwehrkämpfe, die Hörisch leider nicht erwähnt.

Wenn er im Untertitel dazu auffordert, die Alma mater zu retten, so ist die Formulierung keineswegs zufällig. Die Universität als nährende Mutter ist eine Metapher, die er sehr ernst nimmt. Sie führt ihn dazu, ein verdeckt erotisches Verhältnis ihrer Angehörigen zur Institution zu umreißen. Dass ein männerbündisches Element zu dieser Liebe gehört, ist mehr als nur angedeutet, steht aber konträr zu Hörischs überzeugenderem Argument, dass die besten US-amerikanischen Universitäten, an denen sich die deutschen Reformer zu orientieren vorgeben, weitaus mehr an humboldtscher Einheit von Lehre und Forschung kennen als die neuen, modularisierten Studiengänge. Gerade an diesen Universitäten ist die Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen fortgeschrittener als in Deutschland. Offensichtlich ist die emotionale Bindung an eine Institution möglich ohne jene geschlechtlichen Stereotypen, die Hörisch in den Eingangskapiteln recht breit darlegt. Dabei mögen Rituale helfen, eine stets neu und dabei affirmativ gedeutete Tradition sowie die Campus-Architektur US-amerikanischer Universitäten und nicht zuletzt das Geld; doch zu dem später.

Jedenfalls zeigt Hörisch überzeugend auf, wie in Deutschland die Bindung der Universität mit den an ihr lehrend und lernend Beteiligten verlorenging. Die Auseinandersetzungen um 1968 erscheinen dabei als letzter Triumph der Alma mater, weil es nämlich allen Beteiligten, vom "Bund Freiheit der Wissenschaft" über die linksliberalen Pragmatiker bis zu jenen Umstürzlern, die Marx an der Uni etablieren wollten, um die Hegemonie in der Institution ging. Seitdem aber hat sich vieles verändert. Gewinn der damaligen Auseinandersetzungen war die Öffnung der Hochschulen. Nun erst studierte ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung - mit allen Problemen für Betreuung und Niveau, die sich daraus ergeben.

Das ist einer der Gründe für die gegenwärtigen Schwierigkeiten. Hörisch spart auch nicht an Kritik an seinen professoralen Standesgenossen, die eine bis vor kurzem fast beispiellose Freiheit, die eigene Arbeit zu gestalten, nicht immer verantwortlich nutzten. Ein ausführliches Kapitel bevölkert er mit Negativtypen: mit dem begabten oder sich für begabt haltenden Lehrer, aus dessen Sicht die forschenden Kollegen Zeit verschwenden, ebenso wie mit jenen Forschern, für die Studierende nichts als Hindernisse auf dem Weg zur nächsten Publikation darstellen. Beide Haltungen gab es schon seit langem; Hörischs besonderer Zorn gilt allerdings dem Gremienprofessor, einem Typus, der sich erst mit der Demokratisierung und Bürokratisierung der Universität entfalten konnte. Der Gremienprofessor, mag er auch mit Wissenschaft nurmehr wenig zu tun haben, kennt jedes verwaltungstechnische Detail und nutzt diese Macht, seinen Kollegen das Leben schwer zu machen - besonders jenen angeblich seltenen, von Hörisch besonders geschätzten Dozenten, die voller Neugier auf intellektuelle Abenteuer Forschung und Lehre zu verbinden wissen und von den wenig anregenden Gremiensitzungen nichts wissen mögen.

Die Lage also ist schlecht, nicht ohne eigene Schuld der Universitäten, und dürfte sich so bald nicht bessern. Hörisch bietet dennoch in einem Schlusskapitel Lösungen an, und sie entsprechen der Ebene seiner Analyse. Die chronische Unterfinanzierung meint er mittels Studiengebühren abmildern zu können. Dafür nennt er mehrere Bedingungen: Die Gebühren sollen den Universitäten ungeschmälert zukommen, und ein Stipendien- und Darlehenswesen soll sicherstellen, dass jeder Begabte auch studieren kann.

Damit schlägt er sich, was die Härten angeht, auf die siegreiche Seite und es ist keine Macht in Sicht, die die Voraussetzungen sicherstellen könnte. Die Länderparlamente können die Finanzierung von Universitäten, die neue Geldquellen erschließen, jederzeit kürzen, und ein nennenswertes Stipendienwesen ist nicht in Sicht. Studierende, zumal jene aus ärmeren Familien, wären also Verlierer in einer nach Hörischs Vorstellungen reorganisierten Universität. Hörisch argumentiert zwar scheinbar sozial: Es studieren tatsächlich meist Kinder aus der Ober- und Mittelschicht, und die Ärmeren finanzieren mittels Steuern deren Ausbildung. Doch dürften Studiengebühren die Steuerlast nicht merklich senken und ärmere Familien mit begabten Kindern wären so mehrfach belastet. Eine Steuerpolitik, die sich am Reichtum orientiert, wäre die bessere Lösung.

Keineswegs mehr hat Hörisch dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu bieten. Eine wissenschaftliche Laufbahn stellt heute in der Tat ein hohes Risiko dar: Man bekommt entweder irgendwann eine Professur oder ist zu alt, um mit etwas Anderem anzufangen. So scheint es eine gute Lösung, den akademischen Mittelbau zu stärken. Tatsächlich entstehen derzeit Dozentenstellen, ähnlich wie Hörisch sie fordert: "zu zwar menschenwürdigen, aber doch so mäßigen Konditionen (Besoldung wie ein Oberstudienrat, hohes Deputat), daß er die Lust auf weitere Qualifikation und auf Fort-Bewerbungen nicht verliert." Bei diesen Stellen indessen dürfte man zwar intensiv Lust auf Besseres verspüren, doch mangels Zeit zur Forschung nicht mehr berufungsfähig sein.

Die neuen modularisierten Studiengänge haben aus Sicht von Nachwuchswissenschaftlern einen einzigen Reiz: dass nämlich die Module von irgendwem unterrichtet werden müssen. Dies durch eine de facto-Erhöhung des Lehrdeputats sicherzustellen, ist zwar im Interesse der Finanzministerien; doch ist nicht abzusehen, wie eine solche Verlängerung der Arbeitszeit arbeitslosen Promovierten und Habilitierten helfen könnte.

Auch Professoren müssten, ginge es nach Hörisch, Opfer bringen. Sein Vorschlag, dass die eine Hälfte der Lehre einem gemeinsam zu definierenden Kanon gewidmet sein sollte und die andere Hälfte eigenen Interessen, könnte tatsächlich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Gegenständen einer gemeinsamen Diskussion und den notwendigen Expeditionen ins Unbekannte sicherstellen. Sinnvoll wäre es auch, die Ausstattung mit Sach- und Personalmitteln alle paar Jahre je nach wissenschaftlichem Ertrag neu festzulegen und die räumliche Verbundenheit der Dozenten mit ihrer Universität finanziell zu fördern.

Richtig ist, dass das gemeinsame Gespräch das Zentrum der Universität ist. Wirklich schön wäre es deshalb, wenn, wie Hörisch es verlangt, Dozenten Kleingruppen von fünf bis zehn Studierenden über Jahre hinweg als Mentoren betreuen könnten - doch erfordert dies eine Personalstärke, die zumindest in Massenfächern in krassem Gegensatz zur Lehrbelastung des Mittelbaus steht, die Hörisch wenige Seiten zuvor gefordert hat. Wenig ist dagegen einzuwenden, wenn sich die Mitglieder einer Einrichtung im Semester ein oder zwei Mal treffen und sich unterhalten oder die festangestellten Dozenten öfters gemeinsam essen. Doch trifft sich gerade Hörischs letztgenannte Forderung mit seiner Abneigung gegen Gremiensitzungen. Diese "werden weitgehend abgeschafft. Denn man trifft sich ja sowieso zweimal wöchentlich oder häufiger beim Mittagessen im Faculty-Club, wo man anstehende Probleme in der gebotenen Gelassenheit erörtern kann."

Wahrscheinlich schadet das mehr als es hilft. Informelle Absprachen bergen ein noch weit höheres Konfliktpotential als öffentliche Verhandlungen in Sitzungen und dürften in der Folge zu Intrigen führen, die jenseits aller "gebotenen Gelassenheit" an Zeitaufwand noch das übertreffen dürften, was Hörisch für die Wissenschaft zurückzugewinnen hofft. Zudem unterstützt er mit seiner Forderung jene Entdemokratisierung der Universität, die er andernorts mit Blick auf die Machtfülle externer Berater zu Recht beklagt. Das ist der Blick des Professors, der sich von außen nichts sagen, von unten aber auch nicht dreinreden lassen will: Verlierer einer Entscheidungsfindung wären die Studierenden, deren politische Vertreter indessen vielerorts Hörischs beste Verbündete im Kampf gegen eine neoliberal deformierte Hochschule wären.

Von "Kampf" oder "neoliberal" zu schreiben, überschreitet allerdings den Horizont dieses Essays. Hörisch schreibt über den Niedergang der Universitäten, als handle es sich um ein auf diesen Bereich beschränktes Problem. Doch ist die blinde Zurichtung auf kurzfristige Marktmechanismen, jenseits jeder Frage nach sinnhafter Arbeit, überhaupt hegemonial. Für Universitäten ergeben sich dann wieder Entwicklungsmöglichkeiten, wenn die Dominanz betriebswirtschaftlicher Verengung aufgebrochen wird. Erst dann rückt wieder der wissenschaftliche Ertrag statt der messbaren Kennziffer ins Zentrum. Und um dahin zu kommen, verlangt es allerdings weit ungemütlichere Formen als ein Mittagessen im Faculty-Club. Hörisch benennt ein Problem, von dem die fröhlichen Reformer unserer Tage nichts wissen wollen. Zu seiner Lösung hat er wenig beizutragen, was sich nicht der Logik eben dieser Reformer unterwirft.


Titelbild

Jochen Hörisch: Die ungeliebte Universität. Rettet die Alma mater!
Carl Hanser Verlag, München 2006.
140 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446208054

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