Der Leser bleibt draußen

Warum Curtis Sittenfelds Debüt tatsächlich "Eine Klasse für sich" ist

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viel ist seit Erscheinen von Curtis Sittenfelds Debütroman "Eine Klasse für sich" (amerikanischer Originaltitel: "Prep") über dieses Buch geschrieben worden. Die amerikanische Presse hat J. D. Salingers "Der Fänger im Roggen" zum Vergleich herangezogen, die New York Times hat es als eines der zehn besten Bücher des Jahres 2005 bewertet. Die deutsche Kritik hat nach Erscheinen der Übersetzung im Bücherherbst 2006 soviel Lob gerne mit dem Hinweis abgeschwächt, dass die Bezüge zu "Der Fänger im Roggen" nun auch nicht so groß seien. Der Vergleich mit einem anderen hochgepriesenen Buch aus dem letzten Jahr, "Ich bin Charlotte Simmons" von Tom Wolfe, bringt tatsächlich mehr Aufschluss über das vorliegende Werk. Tom Wolfe lässt seine hochintelligente Heldin Charlotte die moralische Verdorbenheit der Elite-Universität Dupont sezieren, deren Sog sie am Ende erliegt. Er nutzt dabei die Gewohnheit des Lesers, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren und führt durch Charlotte Simmons Scheitern vor, dass er sich einen anderen, objektiveren Leser wünscht, der sich nicht einfach nur in einer Geschichte verlieren will.

Sittenfelds Heldin Lee Fiora ist wie Charlotte Simmons eine Außenseiterin in ihrem Umfeld. Gleich einem Resümee erzählt die erwachsene Lee von den vier Jahren ihres Lebens zwischen 14 und 17, in denen sie das Elite-Internat Ault in der Nähe von Boston besucht hat; ebenfalls ein Tummelplatz der Reichen und (vielleicht) Schönen. Anders als Charlotte Simmons versucht Lee Fiora von Anfang an dazu zu gehören, doch scheitert sie in ihrem Bemühen um Assimilation an sich selbst und ihrem "Underdog-Bewusstsein", das sie immer mit sich herumschleppt. Lee wird nicht etwa zurückgestoßen; sie schließt sich selbst aus und verbringt diese vier Jahre ihres Lebens als Beobachterin ihrer Mitschüler.

Auch bei Sittenfeld versucht der Leser sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Und vordergründig wird es ihm leicht gemacht, ist Lee Fiora als Arme unter Reichen doch eine Figur, der alle Sympathien gelten. Es scheint so einfach, Lees Leben mit ihr zu teilen, auch als sie am Ende des Buches die beengte Welt von Ault verlassen hat und dem Leser verrät, was all ihre Mitschüler in ihrem "Erwachsenenleben" tun. Aber was macht eigentlich Lee Fiora? Die Protagonistin bleibt die Antwort schuldig - und so drängt Sittenfeld den Leser am Ende des Buches zu erkennen, dass er zwar viel über Lees Mitschüler erfahren hat, aber nach rund 500 Seiten immer noch nicht weiß, was für ein Mensch Lee Fiora eigentlich ist. Verdutzt entdeckt er, dass er sich mit Lees Mitschülern in eine Reihe stellen kann, denen das ganz genau so ging.

Und das ist die eigentliche Klasse des Romans. Was Wolfe so vehement fordert: dass man sich als kluger Leser nicht mit den Hauptfiguren identifizieren dürfe, paradoxiert Sittenfeld so gekonnt, dass dem Leser am Ende des Romans nur festzustellen bleibt, dass er es gar nicht kann.


Titelbild

Curtis Sittenfeld: Eine Klasse für sich. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Verena von Koskull.
Aufbau Verlag, Berlin 2006.
532 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3351030800

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch