Theater zwischen Literatur und Kommerz

Ein Sammelband zur Bühnenkunst um 1800

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Sammelband zum Unterhaltungstheater um 1800 vereinigt zehn Aufsätze, die zusammengenommen eine Neubewertung der Theaterlandschaft zwischen 1770 und 1820 versuchen. Die Herausgeber formulieren anspruchsvoll ihr Ziel: "Der vorliegende Band hat das Ziel, das Genre und die Konzeption des Unterhaltungstheaters um 1800 neu zu profilieren. Zu diesem Zweck gehen die einzelnen Studien dem produktiven Beitrag des Unterhaltungstheaters zum politischen Diskurs des späten 18. Jahrhunderts nach, untersuchen die Bühnenunterhaltung als reflexives Medium sozialer Wirklichkeiten, beleuchten den Beitrag von Autorinnen zum Genre wie die Gender-Debatte auf der Unterhaltungsbühne und akzentuieren das Unterhaltungstheater im Kontext der ästhetischen Debatten um 1800."

Um sich über die Einhaltung der Aufgabenstellung des Bandes zu informieren, stellen die Herausgeber dem Leser nach dem Inhaltsverzeichnis und vor dem Textteil eine "Ausführliche Inhaltsübersicht" zur Verfügung. Hier kann sich der Interessierte kurz über die Inhalte der Aufsätze informieren um abzuschätzen, inwieweit es sich um einen für ihn lesenwerten Artikel handelt. Hier kommen die Herausgeber ihrem selbstgestellten Anspruch sehr nahe und jeder Leser des Bandes wird denselben schon aufgrund einer solchen Orientierungshilfe zu schätzen wissen.

Der ganze Band ist in vier übergeordnete Abschnitte aufgeteilt: "Rebellion, Revolution und der Beitrag des Unterhaltungstheaters zum politischen Diskurs um 1800", "Bühnenunterhaltung als reflexives Medium sozialer Wirklichkeiten", "Väter, Mütter, Töchter und Familien, oder: Oikos und Gender auf dem unterhaltenden Theater" und "Poetik und Poetologie des Unterhaltungsdramas im Wandel". Im ersten Beitrag versucht Norbert Otto Eke den um 1800 in den gesellschaftlichen Diskursen verwendeten "Schreckensbildern" näher zu kommen, analysiert dabei unter anderem Kotzebues nicht so bekanntes Stück "Die Negersklaven" (1796) und kommt nach ausführlicher Diskussion der Feind- und Schreckensbilder zu einer überraschenden Erkenntnis, wenn er Grabbes Positionen in Bezug auf verwendete Feindbilder hinzuzieht: "Damit aber hat das Schreckbild des 'schwarzen Mannes' dem Grunde nach ausgedient [...]. Was der europäischen Kultur im Spiegel des Fremden [...] entgegentritt ist das Selbstbild - als Feind." In dem Essay Roidners über "Joseph Marius Babos scheiternde Rebellen" wird auf die Privatisierung politischer Konflikte eingegangen, bei Jung Kotzebues "Kleinstädter" diskutiert, und Johannes Birgfeld setzt sich mit den Modernisierungsprozessen auseinander, die sich im Unterhaltungstheater widerspiegeln.

Der dritte Abschnitt beginnt mit einer Untersuchung von Ifflands Dramen im allgemeinen und den Kommunikationsprozessen innerhalb der Stücke im besonderen. Martin Kagel betrachtet Leben und Werk von Marianne Ehrmann unter der Perspektive geschlechtsspezifischer Erziehung, und der Abschnitt schließt mit einem Beitrag über "Johanna Franul von Weißenthurn und das Lustspiel um 1800" von Elin Nesje Vestli. Im letzten Teil wird Ludwig Achim von Arnims "Das Loch, oder: das wiedergefundene Paradies" nutzbringend und treffend in Hinblick auf die Verbindung von Unterhaltungskultur und politischen Inhalten untersucht, ein querschnittartiger Aufsatz zur "Rekomisierung und Entdidaktisierung" in der Komödie um 1800 von Stephan Kraft, sowie eine von Conter vorgelegte Untersuchung zu August Klingemann, der unter dem Einfluss frühromantischer Theoreme eine Neubegründung des Unterhaltungsdramas versucht, beschließen den Band.

Ist man vielleicht zuerst ob der Vorsätze der Herausgeber skeptisch, erfüllt der Band doch, was die beiden im einleitenden Beitrag zum "Unterhaltungsstück um 1800" formulieren: "Beleuchtet werden die mit dem Wandel der Theaterlandschaft einhergehenden Chancen zur Etablierung für schreibende Frauen ebenso wie die Rolle, die dem Unterhaltungsstück bei der Bewältigung der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche um 1800 zukommt". Dass der Band zusätzlich noch über weite Strecken gut zu lesen ist und mit interessanten Perspektiven aufwartet, nimmt man bei der Lektüre gern zur Kenntnis.

Sehr nutzbringend wäre allerdings - vor allem wegen der nicht jedem unbedingt bekannten Literaten - ein Personenregister gewesen. Der Band beantwortet nicht alle gestellten Fragen der Herausgeber, aber er zieht ein Fazit zum Forschungsstand und zeigt auf die noch zu leistende Forschungsarbeit zum Unterhaltungsstück um 1800. Aber genau dieser Aufgabe nimmt sich die Reihe an, in der die Publikation erschienen ist. Es ist eine nutzbringende Lektüre für den Kultur-, Medien- und Literaturwissenschaftler - vor allem, wenn man sich für Unterhaltungsliteratur in all ihren Schattierungen interessiert.


Titelbild

Johannes Birgfeld / Claude D. Conter (Hg.): Das Unterhaltungsstück um 1800. Literaturhistorische Konfigurationen - Signaturen der Moderne.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2006.
272 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 386525005X

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