Exemplarisches Leben
Zum 20. Todestag Jörg Fausers
Von Ambros Waibel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls Jörg Fauser in der Frühe des 17. Juli 1987 auf der A94 in München starb, war dem Klischee vom Tod on the road nur schwer zu entgehen. Ein Ex-Junkie, ein Kampftrinker, einer der für Männermagazine schrieb und seinen letzten vollendeten Roman "Kant" zum Vorabdruck dem Zeitgeistheft "Wiener" überließ - so einer, nicht wahr, musste doch quasi nachts um vier nach einem mehrstündigen Geburtstagsbesäufnis vor einen LKW laufen (und dazu - na klar - kam er gerade aus dem Puff)!
Das war doch ein verdienter Abgang für einen, den selbst der dünkelhafteste Kulturbeamte seit seiner Marlon-Brando-Biografie "Der versilberte Rebell" (1978) und dem Roman "Der Schneemann" (1981) nicht mehr ignorieren konnte, ihm um so nachdrücklicher ein begrenztes Spielfeld zuweisend: Als Autor zwischen Männersolidarität und Milieu, Stehausschank und Bratkartoffelmief - nicht umsonst war Fauser seit der "geistig-moralischen Wende" SPD-Mitglied.
Fausers Tod war für seine Verächter und Belächler die Bestätigung, dass sie selber es richtig gemacht hatten und weiterhin gnadenlos richtig machen würden auf dem Marsch durch die Besoldungsordnungen oder beim Rückzug ins makrobiotische Idyll.
Die Tragik dieses frühen Verschwindens begriff dagegen einer, den die gleichen Gestalten auch nur mit der Pinzette oder unter der Bettdecke anfassten: Charles Bukowski. In einem Brief an seinen Übersetzer Carl Weissner, den engsten Freund Jörg Fausers, schrieb er: "Es ist verdammt bitter, mit 43 abtreten zu müssen, besonders für einen Schriftsteller. In dem Alter hat man genug erlebt und Material gesammelt, dass man sich einen großen Brocken vornehmen kann...".
Genau dieser, der "große Brocken", lag zu diesem Zeitpunkt auf Fausers Münchner Schreibtisch, der unvollendet gebliebene Roman "Die Tournee". Im August 2007 erscheint das Fragment im Rahmen der neuen Werkausgabe des Alexander-Verlags.
Jörg Fauser stand mit 43 Jahren nicht am Ende, sondern erst am Beginn einer Karriere als Schriftsteller und Journalist, die mit einer Rezension für die "Frankfurter Hefte" ihren Anfang genommen hatte. Von 1963 bis 1976 schrieb Fauser dreizehn Beiträge für die Zeitschrift, meist über Lyrik, die er allerdings nicht in seine glänzenden Essay-Sammlungen "Der Strand der Städte" (1978) und "Blues für Blondinen" (1984) übernahm. Gleiches gilt für die in heute unbezahlbaren little mags wie "UFO" und "Gasolin 23" veröffentlichten Texte. Dauerhaft Gültiges publizierte Fauser ab 1974 im Rundfunk, in der "Basler Zeitung", in "lui" und beim Berliner "Tip", wo er 1981 Redakteur wurde. Ab 1985 leitete er dann zusammen mit Reinhard Hesse die Zeitschrift "TransAtlantik".
Fauser hatte schlicht früher als die subventionierten Literaturverwalter verstehen und umsetzen müssen, "daß der Journalismus allen Bemühungen zum Trotz, ihn naserümpfend von den vermeintlich unvergänglichen Werken der Dichter und Denker abzugrenzen, längst die einzig noch existierende Literaturgattung darstellt, weil sich das Publikum mit Recht lieber an Zeitungen und Zeitschriften hält, statt den ereignisarmen Mitteilungen einer ökonomisch zurückgebliebenen und politisch reaktionären Gilde unverdiente Aufmerksamkeit zu schenken." (Wolfgang Pohrt)
Der Ereignisarmut einer Jugend in der westdeutschen Nachkriegs-"Specköde" (Fauser im Gedicht "An London", FH 7/1964) war der in Frankfurt aufgewachsene Fauser früh entflohen, auf Reisen durch Europa, bei längeren Aufenthalten im "Swinging London" und einem Jahr in Istanbul. In London schloss er sich anarchistischen Gruppen an, lernte Veteranen des spanischen Bürgerkrieges kennen und schätzen.
Auf der Suche nach existentieller Erfahrung und verbotenen Abenteuern geriet er in durchaus ästhetizistischer Nachfolge William S. Burroughs' - den er für "twen" auch interviewte - auf einen schmalen Grat: Junkie als Lebensform. Die eigene Haut als Schriftsteller zu Markte tragen: Für den deutschen Beatnik Jörg Fauser wurde der Rohstoff Leben in den sechs Jahren seiner Opiat-Abhängigkeit knapp, und der Tod ist die Erfahrung, die man nur einmal machen kann. Er verließ die Überholspur der Selbstzerstörung und reihte sich bei den Vertretern der Volksdroge Alkohol ein. Zeugnisse der Jahre als Konsument und Dealer harter Drogen sind der cut-up Roman "Top-Hane" (1972), der Gedichtband "Die Harry Gelb Story" (1973) sowie aus abgeklärter Rückschau der große Roman "Rohstoff" (1984), sein Meisterwerk.
Der Absprung gelang Fauser 1971/72 dank einer von Burroughs empfohlenen Apomorphin-Kur; weil er leben, und das hieß für ihn: weil er als Schreiber leben wollte. Schließlich entdeckte er - hier ganz auf der Linie der zerfallenden Studentenbewegung - in den (Bornheimer) Stehausschänken Menschen, die ihn interessierten. Anders als viele seiner akademischen Generationsgenossen suchte der dezidierte Anti-Student Fauser jedoch die Gesellschaft der verlumpten Kleinbürger nicht, um sie für die Lehren der großen Vorsitzenden zu begeistern. Mit seinem Leitbild Hans Fallada - Totschläger, Morphinist, Alkoholiker, SPD-Mitglied - kam er zu der Überzeugung, unten lasse es sich auch leben. "Das Leben hat alles, was gebraucht wird": Die besten Stories seiner Sammlung "Mann und Maus" (1982) haben diesen angenehm aufmerksamen Gestus. Fauser erschließt in ihnen der Literatur Menschen und Orte jenseits des abgegrasten Juste-milieu.
Schon zu den Früh- und Hochzeiten der Apo hatte Fauser nicht recht Anschluss gefunden an die Macher, Schnellen und Schönen rund um SDS, K1 und Spontis, er blieb unter ihnen "die unterbelichtete triste Vorstadtmoräne." Zwar lebte er jeweils ein halbes Jahr in Berliner Kommunen (1968/69) und in einem besetzten Haus im Frankfurter Westend (1971/72), seine künstlerische Persönlichkeit war da jedoch schon durch Einflüsse geprägt, die mit der Politisierung oder gar Abschaffung der Kunst, wie sie propagiert wurden, nichts zu tun hatten. Die deutschen Expressionisten, Gottfried Benn und dann vor allem Jack Kerouac hatten dem frühreifen und von seinen in jeder Hinsicht integeren Eltern geförderten Heranwachsenden schon Ende der 1950er-Jahre das Lebensziel gewiesen: Schriftsteller zu werden. Denn Schriftsteller "erstritten Freiheit und Gerechtigkeit, sie schilderten die Leiden der Menschen, aber auch ihre Überwindung, durch Tapferkeit und Liebe, und sie führten ein exemplarisches Leben."
Fauser mag es mit diesem Leitbild um 1968 ähnlich zumute gewesen sein wie jungen Erwachsenen in den 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die mit ihrem Willen, in einer Wirklichkeit, die ihnen bedrohlich und verlogen genug erschien, nach Wahrheit zu suchen, auf gerade hochtourig laufende postmoderne Philosophen stießen, die ihnen zynisch-gelangweilt mitteilten, dass es Wirklichkeit eigentlich und Wahrheit schon gleich gar nicht gäbe; und nicht selten waren das die selben Leute, die Fauser einst politisch irrelevanten Romantizismus vorgeworfen hatten.
Fauser musste also warten und lernen. 1974 zog er nach München, fand langsam den Einstieg in den Journalismus. Seine in den siebziger Jahren entstandenen Schriftsteller-Porträts sind Sternstunden des Genres. Zeitgenossen wie Hans Frick und Karl Günther Hufnagel, Lebensvorbildern wie Hans Fallada und Joseph Roth, vor allem aber den anglo-amerikanischen Klassikern eines hard-boiled Realismus wie Nelson Algren, Raymond Chandler, Chester Himes und Ross Thomas erwies er seine Referenz. Fauser war offen für alle neuen literarischen Entwicklungen, insbesondere die der überlegenen US-amerikanischen Kultur und blieb dabei kindlich-stur der Poesie treu, "auf der Suche nach der verborgenen Wahrheit."
Und das ist vielleicht - vom "fürchterlichen, unbezwingbaren Drang nach Konformität" (Pier Paolo Pasolini) der Warengesellschaft einmal abgesehen - der schöne Grund, weswegen die Gemeinde seiner Fans nachwächst, bis hin zu einem schon unheimlichen Level: "Warum lieben eigentlich alle (völlig zurecht) Jörg Fauser?", fragte etwa "jetzt.de" im Juni diesen Jahres. Im Juli 2004, anlässlich Fausers 60. Geburtstags, konnte Willi Winkler noch auf den Erwachsenenseiten der SZ titeln: "Busen, Bier und Pommes: Der Schriftsteller Jörg Fauser wäre heute vergessen - wenn er noch lebte". Dass Fauser einmal mehr Leser finden würde als den "einen oder anderen hebephrenen Jüngling", hielt Winkler damals für ausgeschlossen; und obwohl er sich ausgiebig bei der von Matthias Penzel und dem Rezensenten verfassten Biografie bediente (selbstverständlich ohne sie zu erwähnen), gelang es ihm zu schreiben, "komisch, es gibt keine Markenartikel, keine Logos, keine Statussymbole in Fausers Texten"; dies, nachdem sich die Rezensentin der "FAZ" 1981 die Mühe gemacht hatte, aufzuzählen, wer im "Schneemann" HB, Lord Extra, Rothhändle oder Reval raucht (wobei sie Rothman's King Size und Gauloises wegließ) und rührend festhielt: "Viele Markennnamen sind mir hier zum ersten Mal begegnet". Winkler hatte sich bei seiner lächerlichen Analyse offensichtlich auf Moritz Baßlers Untersuchung "Der deutsche Pop-Roman: Die neuen Archivisten" verlassen, in der von einer "Stuckrad-Barre-Technik" der Beschreibung mittels Markennamen die Rede ist, welche die deutsche Literatur vor 1990 nicht genutzt habe. Fauser kommt in Baßlers Abhandlung nicht vor. Von Ausnahmen - stellvertretend: Helmut Bednarczyk und Lutz Hagestedt - abgesehen, sind die wichtigen Arbeiten zu Fauser vor 2004 allesamt im Ausland erschienen.
Dabei besteht heute, da Jörg Fauser durch das Engagement einzelner in den Kanon der deutschen Literatur Eingang gefunden hat, überhaupt erst die Möglichkeit, seine Person und sein Werk kritisch zu betrachten.
Eine Spur, die sich zu verfolgen lohnte, wäre diese: "Es gibt Literaten, die Drogen nehmen. Warum tun sie das? Auch sie tun es, glaube ich, um eine Leere zu füllen, wobei es sich in ihrem Fall sicher nicht um eine kulturelle Leere handelt, sondern um einen Mangel an schöpferischer Kraft und Phantasie. Die Droge dient bei solchen Menschen dazu, Begabung durch Verzweiflung zu ersetzen, und Stil durch Manier. Das sei kein Werturteil, sondern nur eine Feststellung. Es gibt ganze Epochen, in denen die größten Künstler verzweifelte Manieristen sind." (Pier Paolo Pasolini, Lutherbriefe)
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