Kollaps beim Anblick des Männerslips

Brigitte Kronauers Roman "Teufelsbrück"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Frau mittleren Alters steht in einem Hamburger Einkaufszentrum vor einem Schaufenster und schaut sich Männerslips an. Dann bricht sie zusammen und wird vom attraktiven Leo aufgefangen. Nun lässt sich trefflich darüber philosophieren, ob die kurze Absenz der Schmuckdesignerin Maria Fraulob vom Anblick der männlichen Unterwäsche mit "lebensecht gewölbtem Mittelstück" ausgelöst worden ist.

Die Protagonistin Maria lebt nämlich allein (Mann und Kind sind verstorben) und sehnt sich nach einer Romanze. Die bekommt sie von Autorin Brigitte Kronauer auch schnell beschert, denn die exaltierte Zara, Lebengefährtin ihres "Retters", lädt sie unverzüglich zum Besuch in ihrer exotisch anmutenden Villa ein. Trotz dieser etwas unkonventionellen Form des Kennenlernens kommt die Handlung äußerst vielversprechend aus den Startblöcken.

Maria blüht immer dann auf, wenn sie sich mit der Elbfähre von Finkenwerder nach Teufelsbrück in Richtung Altes Land übersetzen lässt, wo Zara und Leo - zwischen Volieren, Schuhsammlungen und Bibliotheken - ihr ausschweifendes Leben führen. Man ahnt es früh, dass Maria ein Auge auf Leo geworfen hat, der mit dubiosen Finanzaktionen seinen Lebensunterhalt bestreitet. Doch damit nicht genug im amourösen Verwirrspiel: auch Buchhändlerin Sophie macht Leo den Hof. Und dann tummelt sich da auch noch ein Gedichte schreibender Küster namens Specht, der es auf die Ich-Erzählerin abgesehen hat, aber einen Korb erhält und daraufhin dem Wahnsinn verfällt. Diese Art der Fünf-Eck-Liebesbeziehung würde jeder Doris Dörrie-Komödie zu hoher Ehre gereichen, doch Brigitte Kronauer als Komödiantin? Das scheint kaum vorstellbar.

Was sich da dem Leser anfangs als Humoreske präsentiert, verwandelt sich zusehends in eine streng komponierte Beschreibungsprosa mit bitterernster Intention. Die erotischen Sehnsüchte der Maria Fraulob stehen zwar im Mittelpunkt, sind aber nur eine Facette des Romans, denn der gesellschaftlichen Schicht der nicht mehr ganz jungen, flippigen "Möchtegern-Uppertens" setzt die 60-jährige Autorin in diesem Roman ein geradezu entlarvendes Denkmal.

Bestechend, wie genau Brigitte Kronauer beobachtet und diese Wahrnehmungen bis ins kleinste Detail hinein beschreibt. Ob Kleidungsstile, Wohnungseinrichtungen, Bewegungen und Körpersprachen einzelner Figuren oder das bunte Treiben im Elbe-Einkaufszentrum wo Maria einen kleinen Laden betreibt: Das geschieht so präzise, dass man schon beinahe geneigt ist, von einer Observationsprosa zu sprechen.

Doch diese schriftstellerische Stärke Kronauers ist gleichzeitig die Schwäche des viel zu lang geratenen Romans der in sich selbst erstarrt. Die Autorin tritt erzählerisch auf der Stelle und serviert statt Bewegungen nur noch gestochen scharfe Standbilder.

Was so schwungvoll mit dem Zusammenbruch und den Ausflügen in die Villa begann, verliert sich zusehends in einer zähen Aneinanderreihung von Einzelbildern, zum Beispiel einer Art Fallstudie der verschiedenen Arten von Bärten. Das ist weder Beobachtung noch poetische Verwandlung der Realität, sondern verbale Lufttrommelei.

Brigitte Kronauer, die sprachlich zu den absoluten Stilistinnen der Gegenwartsliteratur zu zählen ist, hat sich einen Stoff zugemutet, der für ein solch opulentes Werk nicht ausreicht. "Teufelsbrück" auf die Hälfte seines Umfangs reduziert, hätte ein großes Lesevergnügen werden können.

Titelbild

Brigitte Kronauer: Teufelsbrück.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2000.
507 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3608930701

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