Der Strohblaubart

"Frauengeschichten": Hermann Brochs Briefe an seinen Analytiker Paul Federn im amerikanischen Exil

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im amerikanischen Exil träumte Hermann Broch einmal, er befände sich im Wiener Café Central und spielte mit seinem Analytiker Paul Federn Schach. In aussichtsreicher Stellung erwartet er den Zug seines Gegners. Dieser murmelt aber nur fortwährend: "Warum will er (Broch) seine Dame nutzlos opfern? Das lasse ich nicht zu".

Der österreichische Erzähler und Essayist unterrichtete seinen Analytiker brieflich von dem Traum; er selbst sah in ihm eine "Satire auf die Analyse". Leider erfolgte Federns Deutung mündlich und ist somit verloren; anders als die Briefe Brochs, die dieser dem Arzt zwischen 1939 und 1949 schrieb. Paul Michael Lützeler hat jetzt im Broch-Archiv der Yale University diese Briefe wieder ausgegraben und vorzüglich ediert. Viele von ihnen tragen einen ausgesprochenen Bekenntnischarakter und sind - von Ausnahmen abgesehen - eher von biografischem als von literarischem Interesse.

Paul Federn war einer der bedeutendsten Schüler Freuds; er und der notorisch psychoanalysegläubige Broch kannten sich schon aus Wien. Doch erst im amerikanischen Exil entwickelte sich zwischen den beiden eine Freundschaft, die über das normale Arzt-Patienten-Verhältnis hinausging. Zunächst tauschten sie vor allem Manuskripte ihrer neuesten Arbeiten aus. Die Bandwurmsätze im Roman "Der Tod des Vergil", an dem Broch gerade schrieb, erinnerten Federn respektlos an "Klapperschlangen". Bald aber wurde der 15 Jahre ältere Analytiker, der wie ein biblischer Patriarch wirkte, für Broch so etwas wie ein verständnisvoller Beichtvater.

Brochs Schach-Traum, den der Autor selbst über zig Seiten hinweg auszulegen versuchte, mag Federn vielleicht gar nicht sonderlich deutungsbedürftig erschienen sein. Denn wie sein Abbild im Traum war auch er dagegen, dass Broch seine Damen - der Plural ist richtig - opferte. Während Broch, dieser große Polygamist wider Willen, sie am liebsten alle losgeworden wäre, riet der Analytiker dem Autor, sich zu seinen Schwächen zu bekennen, wie aus einem der Briefe an den Arzt hervorgeht.

"Lieber verehrter Freund [...] Natürlich habe ich das Kommen zu Ihnen eingestellt, und daran ist meine Neurose, die mich wieder in die Bigamie geführt hat, allein schuld: ich leide so furchtbar unter diesen Komplikationen (die überdies viel zu zeitraubend sind), daß ich die Bigamie tunlichst in eine Nullogamie verwandle und meine New Yorker Fahrten auf ein Minimum einschränke [...]. Sie raten den einen Neurosenteil, die Bigamie, zu bejahen, während ich bereit bin, mich mit dem andern, also meinen vertrackten Arbeitsbedingungen abzufinden, d. h. mich an den Schreibtisch anzugatten."

Da Broch nichts so kostbar war wie seine (Arbeits-)Zeit, waren seine Schreiben an den "verehrte[n] liebe[n] Herr[n] Doctor" häufig ein Ersatz für reale Analysestunden. Sie sind aber auch eine Art Ergänzung der "Psychischen Selbstbiographie", die Broch 1942 verfasste. In dieser Schrift versuchte der Autor, seinen Neurosen selbst auf die Schliche zu kommen. Dass er sich zeitlebens als Mann minderwertig, ja impotent fühlte, lag, wie er glaubte, daran, dass er einst von seiner Mutter abgelehnt worden war. Diesen Komplex überkompensierte er jedoch, indem er eine Beziehung nach der anderen anfing. Da Broch als Industriellensohn außerdem mit einem extremen Pflichtbewusstsein geschlagen war, war er kaum in der Lage, eine einmal begonnene Verbindung wieder zu lösen. So entwickelte sich, zumal in den letzten Lebensjahrzehnten Brochs, ein umfangreiches Beziehungsnetz, an dem seine literarische Arbeit, aber auch er selbst zu ersticken drohte. Seine Favoritinnen in den Jahren des Exils waren die Lektorin Ruth Norden, die Bildhauerin Irma Rothstein, die beiden amerikanischen Schriftstellerinnen Frances Colby und Jean Starr Untermeyer, die Sozialarbeiterin Jadwiga Judd und die Graphikerin Annemarie Meier-Graefe, genannt Bouchi. "Über die Anfänge meiner kompletten Impotenz bei [Bouchi] sind Sie orientiert. Das wird nun noch ärger, also zu 120% komplett. U.z. einfach weil diese unablässige Insistenz und Erpressungen - sie hat sich z.B. ein derart abgeschiedenes Häuschen, fast im Dschungel, ausgesucht, daß man sie von Rechtswegen nicht allein dort lassen darf - mich in einen konstanten Zorn bringen, der nahezu Haß genannt werden kann, und da ist man wahrlich nicht liebesgeeignet [...]. Ich bin mit der festen Absicht einer endgültigen Auseinandersetzung hingefahren, aber die Ansätze dazu sind bald verpufft: unter dem Anwurf, daß das der Dank für zehnjähriges treues Warten sein soll, breche ich unweigerlich zusammen. Und so habe ich mich am Ende eben in die Arbeit geflüchtet; ich habe die sechs Tage, die ich dort war, täglich 12 Stunden gearbeitet und mich um nichts weiter gekümmert; ich bin nicht einmal schwimmen gegangen, und die Nächte blieben keusch."

Broch überreichte seine "Psychische Selbstbiographie", diese schonungslose Selbstabrechnung, nicht nur seinem Arzt, sondern auch zweien seiner Freundinnen, vermutlich, um sie mit seiner Diagnose vom langsamen "Selbstmord aus Gewissenskonflikt" in die Flucht zu schlagen. Da die erhoffte Wirkung ausblieb, gerieten viele Briefe an Federn zu Lageberichten in einem tragikomischen Mehrfrontenbeziehungskrieg. Zerrissen zwischen den Ansprüchen seines Gewissens und Harems, seines Werkes und Triebes, wollte er mal erbarmungslos seinen "Hexenkessel säubern", mal solide werden und eine der Frauen ehelichen.

Glücklich ist der Neurotiker erst, nachdem er sich 1948 bei einer seiner Freundinnen, seiner Übersetzerin Jean Starr Untermeyer, die Hüfte gebrochen hat. "Flucht in die Krankheit", schreibt er seinem Analytiker triumphierend und preist sich als "Strohblaubart". Im Krankenhaus, monatelang bis zum Becken eingegipst, hat er endlich die ersehnte Ruhe und kann die Nächte durchschreiben.

Doch diese Situation förderte auch neue Ängste. Denn da "Bouchi" verkünden ließ, ihn zu heiraten, fürchtete der ans Bett Gefesselte, die eifersüchtige "Untermeyerin" könnte davon erfahren und ihn ermorden wollen, - und alarmierte seinen Arzt: "Montag Abend rief sie an, u.z. mit einer Stimme, die - ich weiß was ich sage - bloß als die anderen Mörderin bezeichnet werden kann. Dass sie nämlich eine Mörderin ist, steht für mich außer Frage; sie hat unzweideutigerweise ihren Sohn in den Selbstmord getrieben, und jetzt, dem Lebensende entgegen gehend, wird der Wunsch nach dem tragischen Abgang immer intensiver. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie über kurz oder lang mit einem Revolver im Handtascherl erschiene, und da ich mit meinen Gipsbeinen nicht davonlaufen kann, bin ich ein wenig besorgt [...]. Ich überlegte mir - wie ich es schon seit Jahren tue - ob man ihr die Mordabsicht nicht doch endlich direkt ins Gesicht hinein sagen soll, aber ich hielt mich wieder zurück; es ist eine Therapie, die man dem Analytiker überlassen muß."

Ob solche Befürchtungen begründet waren, sei dahingestellt. Zweifelhaft erscheint freilich auch Paul Michael Lützelers relativierende Vermutung, Brochs Damen hätten es allein schon als Auszeichnung empfunden, der "Romanspinnerei Broch & Co., einer Gesellschaft mit äußerst beschränkter Haftung", behilflich sein zu können. Den Ausgang dieser Schachpartie mit zu vielen Damen erlebte Federn nicht mehr, er starb 1950. Annemarie Meier-Graefe gelang es tatsächlich, Broch zur Heirat zu bewegen. Trotz ihrer "hohen hausfraulichen Gaben" wäre ein Zusammenleben mit ihr die "Hölle", hatte Broch dem Arzt noch geschrieben. Dazu sollte es nicht mehr kommen: Während "Bouchi" in Südfrankreich auf ihn wartete, erlag Broch am 30. Mai 1951 kurz vor der Abreise nach Europa einem Herzschlag. Es wird wohl eine Flucht in den Tod gewesen sein.


Titelbild

Hermann Broch: "Frauengeschichten". Die Briefe an Paul Federn.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
256 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783518418901

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