Zuwenig des Guten
Angelika Stuckes Trilogie ,mordender Frauen'
Von Alexander Martin Pfleger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAller guten Dinge sind bekanntlich drei, die Dreizehn hingegen gilt gemeinhin als Unglückszahl. Hält man indes drei in dezentem Schwarz gehaltene und mit teils an Edward Hopper, teils an Georg Grosz gemahnenden Covern der New Yorker Künstlerin Catherine Cole versehene Taschenbücher mit jeweils 13 Kurzkrimis in Händen, so möchte man dies zunächst als eindeutig positives Omen deuten. Von Verlagsseite ist zu hören, dass es sich hierbei um eine "Trilogie mörderischer Frauen" oder auch "mordender Frauen" handle, und die Titelwahl der Einzelbände lässt die Erwartungen an den Inhalt entsprechend wachsen - "Gute Motive" (2005), "Gute Gründe" (2006), "Gute Argumente" (2007). Das lässt auf ironische Leichtigkeit schliessen, auf ein gewitztes Spiel mit der Bereitwilligkeit des Lesers, sich zum Komplizen meuchelnder Ich-Erzählerinnen machen zu lassen und deren Beweggründen, die sicher größtenteils der Sphäre des Idiosynkratischen entstammen dürften, eine Art subversiver, wenn nicht gar anarchischer Berechtigung zuzubilligen.
Man denkt an bedeutende Vorbilder wie Jack Ritchie, Stanley Ellin, John Collier, Henry Slesar, Roald Dahl oder Patricia Highsmith und setzt seinen Fuß mit den besten Erwartungen auf diese 39 Stufen, wird jedoch allzu rasch ernüchtert. Vorrangig haben wir es hier mit weitgehend spannungsarmen, voraussehbaren, kompositionell zumeist anspruchslosen und stilistisch überwiegend unscheinbaren, in Nachlässigkeiten und Gemeinplätzen versackenden Darstellungen strafrechtlich relevanter Geschehnisse zu tun. Abgesehen von der gewiss nicht unbedingt entscheidend zu nennenden Tatsache, dass nicht in allen Geschichten Frauen morden oder aus der Perspektive einer Frau erzählt wird, erweist sich in den meisten der hier versammelten Texte der uneingestandene Anspruch der Autorin, gewichtige Themen wie Alter, Krankheit, Vereinsamung, Rechtsradikalismus, Tierquälerei, religiöse Heuchelei und Gewalt in der Ehe im Rahmen einer witzigen Pointenstory abzuhandeln, als äusserst problematisch. Das alles verlangt nach sorgfältiger, um nicht zu sagen: gewissenhafter Gestaltung. Halbheiten können sich hier im wahrsten Sinne des Wortes als tödlich erweisen.
"Eine zündende Idee" aus "Gute Argumente" ist ein entsprechendes Beispiel: Die Geschichte handelt von einer Frau, die Zeugin eines rassistischen Übergriffs durch eine Neonazi-Bande wird und nichts unternimmt. Später jedoch, von ihrem schlechten Gewissen gequält, kundschaftet sie das Versteck der Skinheads aus, räuchert es samt Bewohnern aus und lässt das Ganze wie einen Unfall aussehen. Gut gemeint, gewiss - aber was soll man damit anfangen? "Gewitterstimmung" aus demselben Band, eine Geschichte über Schlägereien und Morde in einem Altenheim, verübt durch eine Krankenschwester, deren Kochkünste Beschwerde erregten, zeugt von höchst deplaziert anmutender Komik - das Lachen über solcherlei Klamauk kann einem durchaus im Halse stecken bleiben, auch ohne an aktuelle Vorkommnisse zu denken. "Ganz nebenbei" wiederum erstickt förmlich in Belanglosigkeit: ein Görlitzer Girlie reisst Richtung München aus, um dort einem von ihr angeschwärmten Pop-Star zu begegnen, bestiehlt einen freundlichen Autofahrer, bringt einen potentiellen Vergewaltiger mittels Pfefferspray von seinem Vorhaben und der Straße ab, was für diesen tödlich endet, fährt schwarz mit dem ICE und wird schließlich bei dem Versuch, sich ihrem Idol zu nähern, von Ordnungshütern überwältigt und nach Hause verschickt - wo, bitteschön, liegt da der Witz?
Überraschende Wendungen trifft man nur selten an. "Der Schlitzer" aus "Gute Motive" weiss in dieser Hinsicht schon eher zu überzeugen - das Erschrecken über die Machenschaften eines unheimlichen Pferdemörders und das über die Bereitschaft einer militanten Tierfreundin, notfalls auch über menschliche Leichen zu gehen, halten sich hier die Waage. Auch "Die Schwestern" wäre hier zu nennen - eine von jenen Geschichten, bei denen man sich in seinen Erwartungen nicht von der Erzählperspektive (erste Person Singular) täuschen lassen sollte! Und nicht zu vergessen "Der Transport" aus "Gute Gründe" - hier wird eindrucksvoll demonstriert, dass man sich sehr viel unnötige Arbeit erspart, wenn man nicht gleich in jeder Leiche, auf die man stößt, ein Mordopfer zu sehen geneigt ist.
Motivisch sind viele dieser Geschichten durch den Bereich des Essens miteinander verbunden. Immer wieder spielen Giftstoffe, die man nicht herausschmeckt und die sich nach Eintritt des Ablebens im menschlichen Körper verflüchtigen, oder sich verteufelt ähnlich sehende Pilz- und Knollenfruchtsorten eine entscheidende Rolle. Das kann in den Händen einer Meisterin immer wieder zu verblüffenden Variationen desselben Themas führen - im Falle der vorliegenden Geschichten gelingt dies leider nur gelegentlich.
Angesichts der Menge der versammelten Texte fragt man sich, wie diese drei Bände zustandegekommen sind. Die Autorin soll bislang nur Kurzgeschichten in spanischen Zeitschriften veröffentlicht haben - genau diese neununddreißig? Oder sah sie sich aus publikationstaktischen Gründen dazu gezwungen, die Zahl entsprechend aufzustocken, um dem eingangs angedeuteten Zahlenspiel oder ähnlich gearteten Assoziationen gerecht zu werden? Es ist in der Tat bedauerlich, nein, katastrophal, dass man sich heutzutage kaum noch mit einzelnen Kurzgeschichten einen Namen zu erschreiben vermag und auch auf diesem Gebiet dazu genötigt ist, in größeren Volumina zu rechnen und somit Gefahr läuft, mit viel Leerlauf die wahren Talentproben zu überspielen.
Denn dass Angelika Stucke über eine nicht unbeträchtliche Begabung verfügt, kann man nicht ernstlich bestreiten, auch wenn sie bislang zuwenig davon präsentierte. Hält man sich ihre gelungensten Geschichten vor Augen, kann man deutlich erkennen, dass sie meistens genau weiß, wie die Dinge laufen müssten, ihr aber häufig die Ausführung missrät, weil sie sich zuviel vornimmt, dem sie sich dann nicht gewachsen zeigt.
Die meisten ihrer Geschichten fangen gut an, halten aber kaum, was die Anfangssätze versprechen. In diesem Zusammenhang sollte unbedingt noch auf "Neumond" aus "Gute Argumente" verwiesen werden, ihren vielleicht ambitioniertesten Text. Diese Geschichte eines merkwürdigen Zusammenspiels von Rachegelüsten und Schuldgefühlen weist in der Tat die nötige Ernsthaftigkeit und Sorgfalt auf, die die Behandlung eines solchen Themas erfordert, krankt jedoch an ihrer Überkonstruiertheit, welche die angestrebte Pointe nur erahnen lässt, und - erneut - an zahllosen stilistischen Unzulänglichkeiten, angesichts derer man sich fragt, ob sie als Resultat eines mangelhaften Lektorats oder mangelnder Selbstzensur der Autorin interpretiert werden sollten. Das ist um so bedauerlicher, da sie hier stellenweise haarscharf am Meisterwerk vorbeischrammt.
Wie auch immer - am besten versuchen wir, guten Mutes in die Zukunft zu blicken. Verlagsangaben zufolge schreibt Angelika Stucke zur Zeit an ihrem ersten Roman, "Gute Absichten" - hoffen wir, dass es nicht dabei bleibt und die Autorin uns dieses Mal ein wirklich vollendetes mörderisches Mahl auftischen möge. Über die nötigen Zutaten verfügt sie ja bereits, lediglich die Zubereitung ließ allzu häufig zu wünschen übrig. Apropos "Auftischen" - das Dessert hatte heute so einen sonderbaren Beigeschmack...
Angelika Stucke: Gute Gründe. 13 Kriminalgeschichten
Bookspot Verlag, München 2006
121 Seiten, 9,95 EUR
ISBN 3937357165
Angelika Stucke: Gute Argumente. 13 Kriminalgeschichten
Bookspot Verlag, München 2007
148 Seiten, 9,95 EUR
ISBN 3937357203