Haben Sie Gott singen hören?

Friedrich Ani hat einen interessanten Kommissar, aber sein zweiter Roman misslingt trotzdem

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ja, es ist alles wahr: Polonius Fischer ist ein interessanter Mann, eine sperrige, ungewöhnliche Figur in der deutschen Krimiszene. Ein Menschenfischer in der doppelten Bedeutung: ein ehemaliger Mönch, der bei der Kriminalpolizei ein paar Privilegien genießt und seine Verhöre lieber als Gespräche verstanden haben möchte. Fischer ist eher an Moral interessiert, an den wahren Hintergründen, an den menschlichen Tragödien.

Sein seltsam direkter, beichtstuhlartiger, psychologisch-mystischer Zugang zu den Verdächtigen und Zeugen zeigt sich auch in seinem neuen Roman, "Hinter blinden Fenstern". Viele mögen das nicht, finden es übertrieben und unglaubwürdig. Aber darauf kommt es gar nicht so sehr an. Es sind dann doch immer wieder andere Ausblicke auf die menschliche Natur, auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, auf die Normalität, hinter der so oft eine große Unnormalität steht, eine bedrohliche Unordnung, die nur doch gewaltige und oft gewaltsame Anstrengungen unter Kontrolle gehalten werden können. Aber "hinter blinden Fenstern" passiert immer auch das blinde Wüten, herrscht die abgrundtiefe Verzweiflung und kann sich nur durch Gewalt und Chaos äußern.

Im zweiten Fall des Polonius Fischer geht es um zwei Tote und eine Verschwundene. Cornelius Mora ist ein kleiner Ladenbesitzer, der sich gerne auspeitschen ließ. Und nun hängt er gefesselt und blutig an einem Kreuz und ist tot. Und so ist es passiert: Während Mora von seiner Frau träumt, die er in einem Bahnhof sieht, holt Clarissa zum drittenmal aus: "Da löste sich die Fessel an seiner rechten Hand - Clarissa hatte keine Erklärung dafür, auch später nicht, alles war wie immer gewesen, die Knoten wie immer, der Ablauf wie immer -, und sein Kopf fuhr herum, sein Oberkörper kippte zur Seite. Und er streckte den Hals, weil sein Schreien noch nicht zu Ende war. Das begriff sie. Aber die Gerte trieb ihren Arm nach vorn, sie hatte keine Kraft, den Schwung zu bremsen, keine Kontrolle. Mit unbändiger Wucht traf die Spitze der Gerte seine Halsschlagader. Und wie aus einem geplatzten, prallgefüllten Ballon spritzte das Blut aus ihm heraus, ihr mitten ins Gesicht. 'Halt den Zug auf', schrie er mit röhrender Stimme. Dann gurgelte es in seinem Hals, und ein roter Schwall schoss aus seinem Mund." Ein Unfall?

Oder doch kein Fall für die Mordkommission? Erst als ein Obdachloser erschlagen in einer Mülltonne gefunden wird, als sich der AMM-Klub der Wohnanlage einmischt (AMM: "Der Aufmerksame Mitmensch" mit Hang zum Blockwart-Dasein), als ein sechzehnjähriges Mädchen irgendwo in dieser Gegend für über acht Monate verschwindet, beginnen sich die Fälle miteinander zu verknüpften. Da lernt man dann eine ganze Menge von Leuten kennen, einen arbeitslosen Schauspieler, der nur noch Bob-Dylan-Musik hört, einen Kaufhausdetektiv, der vor sich hin buddelt, beobachtet und sich versteckt, Ehepaare, die sich nichts mehr zu sagen haben.

Leider ist Ani diesen vielen Erzählsträngen nicht gewachsen. Etwas arg chaotisch wirbeln sie durcheinander, springen durch die Zeiten, verzwirbeln sich und gehen mitunter etwas durcheinander und sogar verloren. Diese Ebenen, diese vielen Personen mit ihren heftigen Schicksalen, diese Orte und Zeiten wollen sich nicht so recht miteinander verknüpfen, vor allem am Anfang ist alles sehr unzusammenhängend.

Spannend wird es nur in einzelnen Szenen: Als etwa Fischer zu dem arbeitslosen Schauspieler geht und mit ihm über die Welt, das Versagen und Bob Dylan redet: ",Modern Times' las Fischer. Auf dem Schwarzweißcover blinkten Großtstadtlichter hinter einem unscharfen vorüberfahrenden Auto, einem Taxi vielleicht. 'Glauben Sie an Gott?', fragte Madaira. Überrrascht lächelte Polonius Fischer. 'Ja', sagt er. Madaira nahm ihm die Schachtel aus der Hand. 'Ja. Aber haben Sie ihn schon einmal singen hören?'" Das ist schlichtweg genial (werden alle Dylan-Fans sagen). Aber diese wie auch andere Verhör-Szenen habe eine große Menschlichkeit, eine Sensibilität, die man in deutschen Krimis nur selten findet. Hier ist Ani auf der Höhe seines Könnens, gerade weil er oft das Elend der Menschen nicht erklärt, nicht darüber theoretisiert, sondern die Situation beschreibt und den Menschen erzählen lässt. In vielen Windungen kommt dann häufig etwas zutage, was ihn aus der Bahn geworfen hat, was ihn lebendig, fast zu einem Mitmenschen werden lässt. Gerade mit solchen absurden Skurrilitäten wie bei Madaira.

Was die Lektüre aber auch zu einer zeitweisen Qual werden lässt, sind nicht nur die vielen unverbundenen und lose herumhängenden Handlungsfäden, sondern es ist vor allem auch Anis Hang zum Pathetischen, zum Welthaltigen, zum Höchstaussagekräftigen. Und da vergreift er sich so oft in der Formulierung, dass es schon mal zum augenrollenden Buchzuklappen kommt vor lauter unfreiwilliger Komik. "Die Stille, die folgte, war wie ein Donner zwischen ihnen", schreibt er einmal. Das ist wie aus dem ersten Schreibheft einer Sechzehnjährigen. Oder: "Ihr Schweigen war eine Lüge." Oder: "Für ihre Ahnungslosigkeit und ihren blinden Blick würde sie sich bald bis in ihre Träume hinein schämen." Oder: " [...] bis zu jener Nacht, in der ein Gefühl von maßloser Menschenlosigkeit ihm den Verstand geraubt und seinen Glauben zerschmettert hatte". Oder: "Und der Rest der Menschheit in dieser Welt aus Leere stammelte Entsetzen und tauschte Spekulationen wie Kinder ihre Spielkarten auf dem Pausenhof." Das soll mystisch sein, bedeutungsschwer, ist aber purer Kitsch, den ein Lektor, wenn es denn einen gegeben hätte, gekürzt haben müsste.

Dummerweise zieht sich Ani auch von seiner skurrilen, seltsamen, anrührenden Hauptperson, Kommissar Polonius Fischer, zurück. Dabei hätte er gerade mit ihm und seinen seltsamen, an Fred Vargas erinnernden Untersuchungsmethoden eine gute Ausgangsfigur für eine starke Krimireihe. Und so kann der neue Roman von Ani, trotz aller Welthaltigkeit, trotz der Kritik an der für Menschen so unfreundlichen Welt mit ihren Überwachungskameras und Spitzelmethoden, trotz der vielen verschiedenen Geschichten, die Ani erzählt, nur als misslungen bezeichnet werden.


Titelbild

Friedrich Ani: Hinter blinden Fenstern. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.
316 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054042

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