Hauptsache, es rockt

Rob Sheffield stellt in "Love is a Mixtape" die Zeitmaschine an

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist unmöglich, mit einem ersten Satz so viele Gefühle auszulösen, wie es beispielsweise die Eagles mit den ersten drei Akkorden von "Hotel California" schaffen. Schrift taugt dafür einfach nicht, und diese Erkenntnis transportiert einen schon dicht ins Zentrum der quasimagischen Fähigkeiten von Musik. Musik ist aus Erinnerungen gemacht, nicht nur der Erinnerung an die Musik, sondern an die Zeit, als dieses eine Lied, diese drei Minuten dreißig Sekunden rauf und runter liefen. Literatur erzählt einem eine Geschichte. Musik erzählt einem die eigene Geschichte. Das kann mitunter schmerzhaft sein, und Rob Sheffield exerziert das in "Love is a Mixtape" durch. Da stirbt die große, alles beherrschende Liebe des Protagonisten Rob plötzlich und jung an einer Lungenembolie, und alles, was von ihr bleibt, sind Mixtapes. Rob hört sie alle durch, jedes Lied ein Stich mitten ins Herz. Natürlich erzählt jedes Lied auch ein Stück der Lebensgeschichte Robs und seiner Frau, und das wäre dann auch schon das Buch: Robs Leben erzählt anhand von Mixtapes, die zwischen 1979 und 2002 aufgenommen worden sind, der Soundtrack eines Lebens, mit all seinen tragischen und glücklichen Momenten.

Das ist klassischer Pop, und Rob Sheffield weiß, was er tut. Da nimmt man sich als Vorbild einen Nick Hornby, der ja mit "High Fidelity" das wahrscheinlich erste Mixtape-Buch vorgelegt hat. Nur, dass Rob Sheffield sehr viel programmatischer vorgeht: Jedem Kapitel ist eine Mixtape-Playlist vorangestellt, deren Lieder - es sind insgesamt 523 - immer ein bestimmtes Lebensgefühl transportieren, sowohl der Protagonisten als auch des Zeitgeistes in Pop-Zeitrechnung. Dass Rob Sheffield sowohl Radiomoderator als auch "Rolling-Stone-Redakteur" ist, hilft. Dass er außerdem Teile seines eigenen Lebens einarbeitet, macht die Nähe zum Popsong noch größer. Das Leid, dass er empfindet, als seine Frau stirbt, ist nicht ausgedacht - Rob Sheffields Frau starb tatsächlich plötzlich an einer Lungenembolie. Dass in einem solchen Fall Leonard Cohens "Famous Blue Raincoat" die erste Musikwahl ist, überrascht nicht weiter.

Die Playlists der Mixtapes sind alle so: Mit Liebe und Verstand zusammengestellt, passend, von einem Menschen mit angenehm unprätentiösem Musikgeschmack ausgewählt, der auch vor "Mmmbop" der Hansons nicht halt macht. Was auch für den Schreibstil gilt: Unprätentös, poppig, mal ironisch, mal pathetisch. Hauptsache, es rockt.

Auch wenn der Roman in der Lebensrealität Rob Sheffields wurzelt: Dass es nicht um die Geschichte geht, wird schnell klar. Es geht um die Musik. Darum, was sie einem persönlich bedeuten kann. Denn Musik transportiert immer zwei Dinge: Persönliche Erinnerungen und den Zeitgeist, in dem sie entsteht, den sie weitertransportiert. Und auch darum geht es: Was Musik für ein Lebensgefühl in einer bestimmten Popperiode bedeuten kann. Die 1970er - Jahre und ihre Drogen. Die schrecklichen 1980er - Jahre mit ihren genialistischen Ausbrechern wie Madonna. Die lauten Neunziger mit ihrem Grunge. Die 2000er - Jahre mit ihrem elaborierten Laborpop. In diesem Sinne ist "Love is a Mixtape" auch eine Reportage darüber, wie es sich anfühlt, mit einer bestimmten Musik aufzuwachsen, wie es sich anfühlt, in einer bestimmten Zeit zu leben, über die Wechselwirkungen, die Popmusik mit den Menschen eingeht. Gleichzeitig ist "Love is a Mixtape" auch wieder ein Fundstück, wie ein altes Mixtape, dass man bei einem Umzug wiederfindet. Stilistisch, inhaltlich, konzeptuell: Dieses Buch zu lesen ist, als hätte jemand die Popliteratur in die Nick-Hornby-Douglas-Coupland-1990er - Jahre zurückgespult, so dermaßen bekannt ist das alles. Das ist natürlich einerseits enttäuschend, weil es in dem gesamten Buch nicht eine neue Idee gibt. Aber andererseits ist es ein wenig, als würde man diesen einen Song noch einmal hören. Veraltet zwar, aber kuschelig.


Titelbild

Rob Sheffield: Love is a Mix Tape. Eine Geschichte von Liebe, Leid und lauter Musik.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
288 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783462039412

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