Vom Ende der Utopien

Thomas Körner gewährt mit seinem 'dramatisierten' Essay "Das Grab des Novalis" Einblick in ein 7.000-seitiges Großprojekt

Von Andrea NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Körners neunteiliger Fragmentroman "Das Land aller Übel" ist mittlerweile auf 7.000 Seiten angewachsen. Seit Ende der 1960er-Jahre bemüht sich der 1942 in Breslau geborene Schriftsteller um eine Analyse der verstaatlichten Utopie der DDR. Sein monumentales Romanprojekt führte er auch nach seiner Flucht in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1979 weiter.

Ein Ausschnitt dieses Textes, mit 230 Seiten im Grunde nur ein Bruchstück, ist unter dem Titel "Das Grab des Novalis" in der Reihe "Die verschwiegene Bibliothek" erschienen. Mit dieser Edition versuchen die Herausgeber Joachim Walther und Ines Geipel Texte unbekannter Autoren zugänglich zu machen, die zu DDR-Zeiten nicht veröffentlichen konnten oder sollten.

Gewiss ist es nicht Körners Absicht, ein breites Publikum zu erreichen, und man weiß nicht recht, was man mit diesem Text, laut Nachwort ein "dramatisierter Essay", anfangen soll. Körner reiht verschiedene Fragmente und Szenen aneinander und benutzt Klingsohrs Märchen aus Novalis' frühromantischem Roman "Heinrich von Ofterdingen" als Hintergrundfolie für seinen gedanklichen Entwurf. Das schwer zu entschlüsselnde "Märchen" hat seine Exegeten immer wieder zu neuen, unterschiedlichen Deutungsfindungen aufgerufen. Körner lädt die Figuren aus Klingsohrs Märchen mit neuen Bedeutungen auf, versetzt sie in die DDR und lässt seinen Text um sie kreisen. "Der Text liefert die ausgeführten Teile einer radikalen Dekonstruktion, die sich im Kopf des Lesers zum Schauspiel fügt. Es ist ein Kopf-Theater, das Mitarbeit verlangt", erklärt das Nachwort. Mit dieser philosophisch-literarischen Dekonstruktion versucht Körner "ins Innere der Weltanschauung vorzustoßen" (so das Nachwort) und darzustellen, was es bedeutet, Gefangener in einem geschlossenen System zu sein, in dem eine Ideologie die Regeln des Zusammenlebens definiert. Er versucht, Zugriff zu gewinnen auf die Staatssprache der kommunistischen Diktatur, auf ihre Propaganda, auf jene Sprachregelungen, mit denen Diktaturen versuchen, die Gedanken zu kontrollieren. So zeigt Körner, dass Vorsicht geboten ist, wenn im Namen von Ideen, im Namen des Zeitgeists, das Denken und Sprechen in Grenzen gebannt werden sollen.

Gegen den Zeitgeist arbeitete Thomas Körner viele Jahre an. Der Autor, der sich in der DDR gegen die staatstragende Utopie des Kommunismus wandte, weist entschieden darauf hin, "daß Utopien keineswegs menschenfreundliche Projektionen sind, obwohl sie sich so gerieren". Er übt Kritik am "Diktum der Linken, Utopien seien a priori gut" und betont, dass das Warten auf eine Vollendung der Utopie nur in Agonie enden könne. Körners Buch enthält geistreiche Sentenzen und originelle Gedankensplitter. "Dummheit ist die einzige Tradition, die Sicherheit gibt." Beinahe wünscht man sich, der Autor hätte sich auf die Form des Aphorismus beschränkt.

"Das Grab das Novalis" enthält differenzierte, kluge Analysen, denen man eine angemessene Würdigung wünschen würde. Leider ist dieses ambitionierte Buch so sperrig, so wenig auf Lesbarkeit angelegt, dass es den Weg zu einer breiteren Leserschaft wohl so schnell nicht finden wird. Gedankenverloren kreist es um sich selbst, arbeitet sich manisch an seinem Thema ab, verzichtet auf eine nachvollziehbare Ordnung und kerkert sich ein in seine eigene Ideenwelt. Es präsentiert eine ungebändigte Menge an Betrachtungen, die einen vor der Lektüre zurückschrecken lässt und vor allem ein mit Ratlosigkeit gepaartes Erstaunen hervorruft. Denn der Text erwartet von seinem Leser ein Übermaß an Deutungsarbeit. Dies spricht nicht unbedingt gegen das Buch, sondern mag sogar intendiert sein. Schade ist jedoch, dass der Text nicht zu vermitteln versucht, warum diese Anstrengung für den Leser lohnenswert wäre.


Titelbild

Thomas Körner: Das Grab des Novalis. Dramatisierter Essay. Fragment von der Weltansschauung.
Mit einem Nachwort von Joachim Walther.
Edition Büchergilde, Frankfurt a. M. 2007.
252 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940111388

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