Keine friedfertigen Frauen

Ein Reader untersucht die Rolle der Frauen in der "NS-Volksgemeinschaft"

Von Jonas EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bild der "friedfertigen Frau" im Nationalsozialismus ist ebenso falsch wie noch immer weit verbreitet. Das gleichnamige Buch von Margarete Mitscherlich, das die gewagte These aufstellt, Frauen seien aufgrund ihrer psychischen Struktur zum Antisemitismus gar nicht fähig, hat lange Zeit die Diskussion um die Rolle der Frau im Nationalsozialismus bestimmt. Aber bereits die Zahlen sprechen gegen Mitscherlichs Thesen: Im Jahr des Kriegsbeginns 1939 waren etwa ein Drittel der Frauen Mitglied in NS-Organisationen, sie waren ebenso Täterinnen wie Profiteure der NS-Vernichtungspolitik. Und auch im nationalsozialistischen Alltag spielten Frauen eine viel umfassendere Rolle als bislang beschrieben.

Diese Funktion der Frau im nationalsozialistischen Alltag untersucht der neueste Band der Reihe "Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus" unter dem Titel "Volksgenossinnen. Frauen in der NS-Volksgemeinschaft". Ausgehend von dem Begriff der "Volksgenossin" versucht das Buch, die Mobilisierung und Selbstmobilisierung von Frauen im Dienst der NS-Volksgemeinschaft anhand exemplarischer Themen zu durchleuchten. Dabei geht es beispielsweise um Integrationsangebote des NS-Staates an Frauen und die Frage, inwieweit eine solche Integration in nationalsozialistische Strukturen von den Frauen auch gefordert wurde: "Die 'Volksgemeinschaft', so ließe sich zugespitzt sagen, wurde im Krieg zu einer militarisierten Kameradschaft aus Männern und Frauen."

Nach 1945 dominierte die Darstellung einer weiblichen Unschuld, was die Herausgeberin Sybille Steinbacher in ihrer Einführung als ein Element des politischen und gesellschaftlichen Entlastungsdiskurses der 1950er-Jahre interpretiert. Wenn Frauen vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, so fielen die Strafen härter aus als bei männlichen Angeklagten, denen die gleichen Taten zur Last gelegt wurden: Diese Frauen hatten gegen die "weibliche Natur" verstoßen, was zugleich verurteilt wurde. Die Projektion des Bösen und Monströsen auf einige wenige Frauen konnte den aktiven Anteil der Frauen am nationalsozialistischen Regime lange verschleiern. Ähnlich übrigens wie das Fortweisen der eigenen Schuld nach der Verurteilung der Haupttäter durch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Das Bild der unschuldigen Frau hatte jedoch länger Bestand. Seit den 1960er-Jahren etablierte es sich in der feministischen Literatur, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinander setzte. Die Frau wurde als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft betrachtet, als von den männlichen Machthabern zu Aufseherinnen instrumentalisiert oder auf ihre Mutterrolle reduzierte "Gebärmaschinen". Und dies ungeachtet der Tatsache, dass Frauen nicht nur als KZ-Aufseherinnen und Denunziantinnen an der antisemitischen Ausgrenzung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden begeistert mitwirkten, sondern auch an der "Heimatfront" für die "Stabilisierung und Verteidigung des Deutschen Reiches" sorgten. Diese Realität der aktiven "Volksgenossin" versucht das vorliegende Buch herauszustellen, um dem Klischee der den Nationalsozialismus nur passiv, wenn nicht gar als Opfer erlebenden Frau etwas entgegenzusetzen.

Dabei versuchen die AutorInnen durch die Verknüpfung allgemeiner Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung mit Fragen zum "Dritten Reich" die Strukturen und Bedingungen weiblichen Handelns im NS herauszuarbeiten. Denn dass Frauen als "Volksgenossinnen" die soziale Konstruktion und Organisation der Geschlechterverhältnisse im NS aktiv mitgestalteten, kann inzwischen als erwiesen gelten. Sie entwickelten Initiativen und gestalteten sich Handlungsräume innerhalb der Prämissen der NS-Gesellschaftsordnung. Gleichzeitig setzte das NS-Regime die Geschlechterordnung gezielt ein, um seine politischen Ziele zu erreichen: "Die Nivellierung der Geschlechterdifferenz und die zunehmende Verflechtung der geschlechtsspezifischen Lebenswelten von Männern und Frauen bildeten im Zuge der Umformung der zivilen 'Volksgemeinschaft' zentrale Wesensmerkmale der nationalsozialistischen Kriegsgemeinschaft."

Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die AutorInnen dem Thema; während es im ersten Themenblock um die Vorgeschichte in der rechten Frauenbewegung in der Weimarer Republik geht, konzentriert sich der zweite Teil auf die Mobilisierung der Frauen in den Kriegsjahren, und der dritte beschreibt Fallbeispiele von Frauenkarrieren im Nationalsozialismus. Das Buch stellt in seiner Themenvielfalt neben Ljiljana Radonics Band "Die friedfertige Antisemitin" den bislang wichtigsten Beitrag zur Neubeschreibung der Rolle der Frau im Nationalsozialismus dar.


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Sybille Steinbacher (Hg.): Volksgenossinnen. Frauen in der NS-Volksgemeinschaft.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
238 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783835301887

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