"Mit dem Leben wird die Revolte bleiben."

In einem Gesprächsband analysiert Karl-Heinz Dellwo seine RAF-Vergangenheit

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karl-Heinz Dellwo überfiel am 24. April 1975 gemeinsam mit Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Lutz Taufer, Bernd Rössner und Hanna Krabbe als "RAF-Kommando Holger Meins" die deutsche Botschaft in Stockholm. "Nicht unerheblich bewaffnet", so Dellwo, wollte man "die höhere Botschafterebene" als Geiseln nehmen und mit "dieser Aktion" 26 "politische Gefangene aus den Gefängnissen der BRD" befreien. Der "neue kollektive Anfang im revolutionären Kampf", als welchen das Kommando den Anschlag verstand, misslang. Das Kommando erschoss die Botschaftsmitarbeiter Andreas von Mirbach und Heinz Hillegaart. Die unbeabsichtigte Explosion eines mitgeführten Sprengsatzes tötete Ulrich Wessel und verletzte Siegfried Hausner so schwer, dass er wenige Tage später verstarb. Die schwedische Polizei befreite die zwölf verbliebenen Geiseln und nahm die übrigen Kommandomitglieder fest. 1977 wurden sie in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt. Karl-Heinz Dellwo wurde 1995 aus der Haft entlassen und lebt heute als Dokumentarfilmer in Hamburg.

Der Band "Das Projektil sind wir" geht zurück auf Gespräche, die die Journalisten Tina Petersen und Christoph Twickel mit Dellow geführt haben. Die Gesprächspassagen wurden in fünf chronologisch geordnete Kapitel gegliedert, die von Dellwos Kindheit und Jugend über die RAF-Mitgliedschaft, die Haftzeit bis in die Gegenwart reichen. Der Gesprächscharakter blieb dem Buch erhalten, wenn auch, worauf die Herausgeber in einem kurzen Nachwort hinweisen, manche Textpassagen von Dellwo "in seiner Bearbeitung" zu "tendenziell geschlossenen Abhandlungen" verändert wurden.

Dellwo ist einer der wenigen 'Täter' aus der Reihe der ehemaligen RAF-Mitglieder, der eine öffentliche Reflexion über die RAF nicht scheut. Das macht ihn für die Medien und eine interessierte Öffentlichkeit, die in einer Mischung aus Faszination und Grusel auf die Terrorismuszeiten der 1970er- und 1980er-Jahre schaut, interessant. Doch Dellwos Sicht der Dinge unterscheidet sich sehr von dem, was andere, wie der zuweilen als "Talkshow-Terrorist" charakterisierte Peter Jürgen Boock, öffentlich erzählen. Als Kronzeuge steht er nicht zur Verfügung. Aufklärung beispielsweise über konkrete Beteiligungen einzelner RAF-Mitglieder an bestimmten "Aktionen" ist von ihm ebenswenig zu erwarten wie wohlfeile Reueerklärungen.

Dafür aber bieten Dellwos wohlüberlegte Darlegungen einen Einstieg in die Denk- und Lebenswelten jener Menschen, die seit den ausgehenden 68er Jahren einen Radikalisierungsprozess durchliefen, der einige von Ihnen zu Terroristen werden ließ. Der eigene Lebenslauf dient Dellwo dabei als Anschauungsmaterial.

Dellwo entstammt nicht dem gern zitierten Millieu des protestantischen Bürgertums, in dem die Kinder den Aufstand gegen ihre Nazi-Väter proben. Es handelt sich bei ihm auch nicht um eins der 'Bürgersöhnchen', die auf der Universität Radikalität ohne Folgen lernten. Die Kinder- und Jugendzeit des 1952 geborenen Dellwo war dagegen gezeichnet von einem unsteten Leben in der Provinz. Oft zog die Familie um. Die materiellen Verhältnisse waren bescheiden, oft galten die Kinder in den Dörfern als 'asozial'. Doch in der Mühsal dieses Lebens in der Provinz schimmert der Glanz des außenseiterischen Abenteuertums. Die Unstetigkeit des Lebens birgt in der auf Ordnung, Normalität und Konformität ausgerichteten Bundesrepublik ein aufsässiges Moment, das den jungen Dellwo kennzeichnet, als er 1973 in die Hamburger Hausbesetzerszene geriet. In vielerlei Hinsicht entsprach der unbehauste Dellwo jenen jugendlichen Zöglingen, mit denen Ulrike Meinhof "Bambule" proben wollte.

Doch war Dellwo nicht derjenige, der darauf wartete, dass ihn andere an die Hand nahmen, um gesellschaftliche Veränderungsprozesse einzuleiten. "Wenn du ein revolutionäres Subjekt suchst", sagt er an einer Stelle, "musst du in den Spiegel schauen. Entweder du siehst es dort - oder eben nicht." Diese markante Aussage erläutert so nebenbei auch das zwangsläufige Scheitern vieler großbürgerlicher 'Universitätsrevoluzzer'. Im Falle Dellwo erklärt sie eine subjektive Konsequenz: eines Menschen, der sich auf die Suche begibt und in einer bestimmten historischen Situation meint, mit der terroristischen Radikalisierung einen Weg gefunden zu haben. Im Rückblick stellt er sachlich fest, dass dieser Weg der falsche war. Aber die ursprüngliche Suchbewegung stellt er nicht in Frage, zu ihr steht er.

Und genau hier liegt der bis heute relevante - und wenn man so will berunruhigende - Kern der klugen Überlegungen Dellwos. Er begründet einen bedeutsam wahren Kern der Anziehungskraft der RAF: die Erfahrung, dass man "einmal im Leben Subjekt in seiner eigenen Geschichte und in der Gesellschaft werden kann. Das ist die Kraftquelle für revolutionären Kampf". Und er vergleicht dies, ebenso zutreffend wie 'unverschämt', mit der Erfahrung der DDR-Oppositonellen: Auch sie hatten "die Erfahrung eines Aufbruchs gemacht".

Gerade um dieser berunruhigenden Einsicht der permanenten Möglichkeit eines revoltierenden Aufbruchs zu entkommen, schätzt man solche RAF-Analysen, die weniger eine latente 'Gefahr' beschreiben, als vielmehr die RAF-Gewalt als Ergebnis einer entgleisten Gruppendynamik, als eine Art Unfähigkeit des Lebens betrachten. Das mag manches erklären, indes nicht alles. Davon erzählt Dellwo: "Mit dem Leben wird die Revolte bleiben."


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Karl-Heinz Dellwo: Das Projektil sind wir. Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen.
Edition Nautilus, Hamburg 2007.
221 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783894015565

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