Frisch wie Dieter Wedel

Kurzer Prozess: Georg M. Oswalds Bücher sind literarische Nullrunden. Auch die Justiz-Posse "Vom Geist der Gesetze"

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Popliteratur ist keine Antifaltencreme", schrieb Kollegin Tessa Müller auf "lit07.de", nachdem sie über die Geburtsdaten "junger" Literaten stolperte: Wladimir Kaminer ist 40, Franz Dobler sogar 48. Thomas Meinecke kam 1955 zur Welt, auch "Fräuleinwunder"-Autorinnen Karen Duve und Felicitas Hoppe sind beinahe 50. Noch immer als ostentativ "junge" Schreiber vermarktet, bespielen diese Leute denselben Markt, der längst von zwanzig, dreißig Jahre jüngeren Autoren beansprucht wird.

Der Name "Georg M. Oswald" kam mir 2005 erstmals unter, auf einer Lektüreliste für die Uni, im Seminarplan zwischen Melanie Arns (geboren 1980) und Benjamin Lebert (1982). Die Veranstaltung hieß "Junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur", dabei war Oswald schon damals jenseits der 40. Tagsüber als Jurist in München tätig, Romandebüt 1995, für die Feuilletons firmiert er als "Autor der Single-Generation", und ist dabei längst Familienvater. Im Herbst erschien Buch Nummer sechs, "Vom Geist der Gesetze", ein satirischer Gesellschaftsroman. Bei Amazon.de einmal mehr zu finden im Register "junge Literatur, deutschsprachig".

"Wen das stört", schreibt Kollegin Müller versöhnlich, "der ist noch nicht mit der Zeit gegangen. Hat man sich erst einmal darauf eingestellt, dass Popliteraten ältere Herren mit zuckenden Augenbrauen sind, können sie doch gerne Stones-like ihr ganzes Leben lang weiter rocken und texten. Denn: Wen stören schon Mick Jaggers Falten?" Das stimmt. Nur ist Georg M. Oswald nicht eben Mick Jagger. Sondern geht eher Richtung Guido Westerwelle: statt zu rocken, spielt er Keyboard. Furiose Schnitte. Kluge Bilder. Große Worte. Fiese Spiele. Raffinierte Zitate. Alles - alles! - was junge deutsche Schreiber in den letzten zehn Jahren immer besser, immer rückhaltloser, härter zeigen, schreiben, zaubern: in Georg M. Oswalds Sprache findet nichts davon statt. Seine Bücher sind nicht einmal schlecht. Oder ärgerlich. Sondern schlicht: uninteressant.

"Vom Geist der Gesetze" - ursprünglich der Titel eines kulturphilosophischen Essays von Montesquieu - erzählt auf 350 Seiten von sieben, acht Männern aus München, für deren Karrieren und Reputation ein eigentlich banaler Autounfall alle Karten neu durchmischt: Strafverteidiger Heckler, Nachwuchsjurist Spring, Drehbuchautor Richter, Landtagsabgeordneter Schellenbaum, Chauffeur Raab, Winkeladvokat Gärtner, Oberstaatsanwalt Wolf. Wie in einem TV-Format gibt es fünf Akte: "Begegnungen", "Kanäle", "Anklagen", "Prozesse", "Urteile". Wie in einem TV-Format gibt es drei, vier klischierte Nebenrollen für die Frauen: die männermodernde Scheidungsanwältin, die naive Gattin des Lokalpolitikers, die zynische freie Journalistin und - natürlich - auch eine blutjunge Anwältin frisch von der Uni, die mit dem 64-jährigen Chef der Kanzlei in die Kiste springt. TV-Figuren. TV-Konflikte.

Pate standen dabei staubige Produktionen wie RTLs hölzernes Gerichtsdrama "Im Namen des Gesetzes", Dieter Wedels Klischee-beladene, gesellschaftskritische Fernseh-Mehrteiler ("Der große Bellheim", "Die Affäre Semmeling"), "Tatort"-Episoden, bei denen die "Bild + Funk" von "glänzenden Fassaden" schreibt und einem "Sumpf aus Korruption". Georg M. Oswald fährt Figuren und Konflikte auf, kritisch wie Sat.1, mutig wie Bayern 3, frisch wie das ZDF. "Wie auf die Bühne einer Verwechslungskomödie führten zwei Türen in Ludwig Hecklers Büro", beginnt der Roman. Und bis zuletzt will man wissen: Ist das ein Foreshadowing, ein Wink mit dem Zaunpfahl? Der poetologische Verweis: Geht es um Rollen, Lügen, um Spiele? Das Gericht als (immer auch: medialer) Zirkus?

Wie ironisch sind Oswalds Phrasen gemeint? "Sie fand es prickelnd, dass ihr beim Liebesspiel ein brisantes politisches Ereignis eingeflüstert wurde", "Ihr Reichtum machte sie arrogant, ihre Intelligenz aufsässig, ihre Schönheit hochmütig. Sie glich ein wenig den bösen Prinzessinnen im Märchen, und weil ihr das nicht entging, trug sie Haar und Kleidung gerne schwarz."

Die Klischees, die durch "Vom Geist der Gesetze" humpeln, sind dummerweise so klischiert, dass von satirischer Entlarvungsabsicht keine Rede sein kann: "'Mensch, komm, Richter, alte Pfeife, lass uns einen fetten Oschi durchziehen. Du wirst sehen, das ist die Inspiration für dich. Danach werden dir die Fingerchen über die Tasten hüpfen, dass es nur so eine Freude ist.'" Meine Fresse. Meint er das ernst?

Oswald zeigt korrupte Politiker, verarmte Drehbuchautoren, aalglatte Juristen. Überzeichnet, aber nicht besonders kritisch. Platt, aber nicht besonders lustig. Zu simpel, um als Gesellschaftskritik zu rütteln und zu schütteln. Zum Schluss, nach der Verkündung des Schuldspruchs, treffen sich alle wichtigen Figuren in einer großen öffentlich-rechtlichen Talkshow wieder. Dort taucht auch Stella Wittenberg auf, "die grande dame des Vorabendprogramms", um ihren TV-Vierteiler "Unschuldig verurteilt" zu promoten: "[Wittenberg hatte] eine Chefarztgattin gegeben, die zu Unrecht für die Mörderin eines Mannes gehalten wird, nur weil sie, die Alleinerbin, sehr bald nach dessen Tod einen viel jüngeren Mann heiratet, und schon gerät sie, angeschwärzt von durchtriebenen, bösartigen Kleingeistern, ernstlich in Verdacht und wird sogar verurteilt. Sie aber zerbricht nicht an der Haft im Frauengefängnis, sondern kämpft um die Wiederherstellung ihres Rufes und die Wiederaufnahme des Verfahrens, und es gelingt ihr schließlich, die eifersüchtige ehemalige Geliebte ihres neuen, jungen Gatten als die Drahtzieherin hinter der Verschwörung auszumachen und zu überführen. Die Fernsehwelt war sich einig: 'Unschuldig verurteilt' war ein Triumph."

Oswald führt eine (Medien-)Realität vor, zweieinhalb Nummern zu simpel, in einer Sprache, zweieinhalb Nummern zu schlapp. Er echauffiert sich über die Scheuklappen der Zeitungen, die Formelhaftigkeit der Massenunterhaltung, und steckt dabei zu selbst viel zu tief im Mief dieser Formate fest: "Wir haben unsere Sätze gesprochen, als wären wir Figuren in einem Drehbuch", beschwert sich Drehbuchautor Richter über den Allesfresser Boulevard, der jede unbequeme Wahrheit, jede Katastrophe und Abweichung vom Status Quo sofort in schlichte Häppchen stückelt: "Wir haben immer die gleichen Jobs, die immer zu wenig Geld bringen. Haben wir uns das wirklich alles selbst ausgedacht? Ist es wirklich unsere Saat, die da aufgeht, oder hat uns das jemand anderes in die Gehirne gepflanzt? Für Letzteres spricht doch die Tatsache, dass wir uns so langweilen. Und wir haben uns vor zwanzig Jahren genauso gelangweilt wie jetzt. So wie Schauspieler, die dazu verdammt sind, immer dieselbe Rolle zu spielen, jeden Tag aufs Neue."

Fast könnte das alles funktionieren: Die überdeutlichen Konstellationen, die plumpe Gesellschaftskritik sind gar nicht so sehr das Problem. Man kann Romane schreiben über korrupte Lokalpolitiker und altersgeile Kanzleichefs. Man kann auch Drehbuchautoren an den Kneipentresen setzen und über die Formelhaftigkeit der Realität jammern lassen. Doch dazu müssten die Figuren die Klischees verstehen, in die sie abzurutschen drohen. Dazu müsste der korrupte Lokalpolitiker mehr sein wollen als ein korrupter Lokalpolitiker, und der altersgeile Kanzleichef alles, nur kein altersgeiler Kanzleichef.

Wenn sich in "Vom Geist der Gesetze" Klischees über die klischierte Klischiertheit von Klischees mokieren, tut das nicht weh. Wenn Unterhaltungs-Fließband-Autor Oswald Fließband-Szenarien baut, in denen sich Figuren an Unterhaltung vom Fließband stören, bleibt die Kritik der Zweidimensionalität des Genres (und seiner Sprache) verhaftet: Als würde "Lindenstraße"-Biedermann Hans Beimer auf eine Seifenkiste steigen und erklären, dass es den Vorabend-Formaten an gesellschaftlicher Sprengkraft fehlt, weil jede Vorabend-Version von Sprengkraft immer nur die Vorabend-Version des wahren Lebens treffen kann. Das ist wahr. Aber zweieinhalb Nummern zu simpel. Zweieinhalb Nummern zu schlapp. Man muss schon sehr tief weggedämmert sein, um in "Vom Geist der Gesetze" einen Weckruf zu hören. Man muss sehr alt und müde sein, um Oswald für sehr frisch und jung zu halten.


Titelbild

Georg M. Oswald: Vom Geist der Gesetze. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498050375

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