Schockierende Einsicht

Ein Buch über Silvio Berlusconi beschreibt die italienische Normalität

Von Philipp SchmerheimRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Schmerheim

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Medientycoon Silvio Berlusconi ist jüngst zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten Italiens gewählt worden. Grund genug, noch einmal das 2006 erschienene Buch "Berlusconi Zampano. Die Karriere eines genialen Trickspielers" zur Hand zu nehmen, das dem geheimnisumwitterten Aufstieg des Napoleon aus Arcore zum reichsten und mächtigsten Mann Italiens nachspürt.

Die Italienkenner und Journalisten Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti haben sich mit ihrem politischen Enthüllungsbuch ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollen zeigen, dass der Aufstieg Silvio Berlusconis weder eine Anomalie innerhalb des italienischen Systems darstellt noch das Resultat der harten Arbeit eines Selfmade-Manns ist. Vielmehr erscheint Berlusconi hier als das Produkt einer zutiefst korrumpierten italienischen Gesellschaft, in der Politik, Kirche und organisierte Kriminalität stillschweigend alle Schaltstellen der Macht in Politik und Wirtschaft untereinander aufgeteilt haben. Dies ist die eigentlich schockierende Einsicht dieses Buches, weniger die offenkundig kriminelle Energie, mit der Berlusconi seine wirtschaftlichen und politischen Interessen verfolgt.

Anhand des caso Berlusconi wirft das 599 Seiten dicke Buch auch "ein Licht auf die Gefahren [...], welchen die noch relativ jungen Demokratien Europas ausgesetzt sind, die sich noch keineswegs zur 'europäischen Demokratie' entwickelt haben." Berlusconi stehe stellvertretend für eine neue Elite, die sich die "Bruchstellen des neuen europäischen Raums" zunutze mache und die Grauzone nutze, "die all denen Freiräume eröffnet, welche Fernsehen, Zeitungen, Banken, Versicherungen, Meinungsforschungsinstitute, Werbeagenturen, Parteien, politische Strömungen und vieles mehr kontrollieren".

Das Buch hat somit eine dreifache Funktion: es entfaltet die für italienische Verhältnisse einmalige Erfolgsgeschichte eines Immobilienhais und Medienzaren im Rahmen eines komplexen Sittengemäldes der italienischen Nachkriegsgesellschaft und -politik, stellt Italien dabei allerdings auch als Vorreiter einer unheilvollen Entwicklung dar, deren Übergreifen auf die europäische Ebene verhindert werden muss.

In enormer Fleißarbeit haben die Autoren Gerichtsakten, Zeugenaussagen, Geschäftsberichte, Interviews mit Betroffenen und andere verfügbare Dokumente zusammengetragen, um zu zeigen, wie untrennbar selbst Mafia und Vatikan über diverse Offshore-Gesellschaften und Mittelsmänner zumindest finanziell miteinander verflochten sind.

Die ersten der insgesamt 18 Kapitel beleuchten den wirtschaftlichen Aufstieg des jungen Berlusconi. Der hochintelligente geborene Unternehmer steigt nach seinem exzellenten Studienabschluss in die Immobilienwirtschaft ein und plant in Mailand große Projekte, darunter die Trabantenstadt Milano 2. Als diese Projekte Millionengräber zu werden drohen, weil niemand die Immobilien kauft, findet Berlusconi jeweils in letzter Minute Pensionsfonds, die seine Wohnungen en bloc aufkaufen. Pinotti und Gümpel legen nahe, dass sich diese Transaktionen aus Berlusconis Mitgliedschaft in der mittlerweile verbotenen faschistischen Geheimloge "Propaganda Due" erklären lassen - zu den Mitgliedern gehörten Männer in den Schlüsselpositionen der italienischen Gesellschaft, darunter der ehemalige italienische Ministerpräsident Bettino Craxi. Craxi war auch bis zu seiner Entmachtung der Schutzpatron von Berlusconis Aktivitäten als Fernsehunternehmer.

Der frühere Internatsschüler Silvio Berlusconi kann sich somit von Anfang an auf seine exzellenten Kontakte verlassen. Auch sein Vater Luigi Berlusconi, Direktor der kleinen Mailänder "Banca Rasini", hat Gümpel und Pinotti zufolge seinen Anteil am Erfolg des Sohns, wie im vierten Kapitel dargelegt wird. Die Autoren versuchen zu belegen, dass die "Banca Rasini" vor allem für die Mafia Geld gewaschen hat. Die beiden Journalisten vermuten auch, dass Berlusconi die Anschubfinanzierung für seine unternehmerischen Aktivitäten aus Mafiakreisen erhielt. Berlusconis zumindest indirekte Kontakte zur organisierten Kriminalität sind gerichtlich belegt: Sein engster Vertrauter Marcello Dell'Utri wurde 2006 in erster Instanz wegen Kontakten zur Mafia zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, ein ehemaliger Stallmeister in Berlusconis Villa in Arcore, Vittorio Mangano, kommt aus Mafiakreisen und weilte offenbar zum Schutz von Berlusconis Familie auf dem Grundstück. Berlusconis Kontakte zur organisierten Kriminalität erscheinen in Gümpels und Pinottis Perspektive als wirtschaftlich motiviert: Der Unternehmer Berlusconi arbeitet mit jedem zusammen, der ihm unternehmerischen Erfolg garantiert. Und ohne die Mafia geht in Italien nichts.

Umfang und Detailreichtum des Buches machen es den Lesern nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Insbesondere in den Kapiteln, die sich mit dem unüberschaubaren Geflecht von Offshore-Gesellschaften und Beteiligungen in Berlusconis Unternehmens-Imperium auseinandersetzen, verlieren selbst Italienkenner den Überblick. Bezeichnend dafür ist, dass Gümpel und Pinotti im Anhang die Lebensläufe von 42 ausgewählten (!) Personen zusammenfassen. Hier hätte eine zusätzliche grafische Aufarbeitung der geschilderten Strukturen die Lesbarkeit und Verständlichkeit gefördert.

Gelungener, weil kompakter als die Darstellung der finanziellen Grundlagen von Berlusconis Fininvest-Imperiums sind die Kapitel, die das ausgeklügelte System der Richterbestechung und der Medienmanipulation beschreiben. So zeichnet Kapitel 17 ein erschreckendes Bild des Systems der Richterkorruption, das Berlusconis mittlerweile verurteilter Stammanwalt Cesare Previti jahrzehntelang gepflegt hat. Bei wichtigen Gerichtsverfahren wurden stets die jeweils entscheidenden Richter geschmiert oder durch Fahrensmänner ersetzt. Gümpel und Pinotti belegen dies am Beispiel des römischen Richters Renato Squillante, der wegen Bestechlichkeit zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. In den Kapiteln 12 und 15 beschreiben Gümpel und Pinotti zudem, wie Berlusconi wieder und wieder geltendes Medienrecht aushebelte, um sein Medienmonopol aufrechtzuerhalten und auszubauen.

Zu den gelungensten Kapiteln des Buches gehört das elfte, in dem der absurd anmutende Fall des Fernsehunternehmers Francesco di Stefano geschildert wird. Di Stefano hatte 1999 auf legalem Wege die Sendefrequenzen für seinen Sender "Europa 7" erworben, die bis zu dem Zeitpunkt illegal, dass heißt ohne offizielle Zuteilung, von Silvio Berlusconis Sender "Retequattro" belegt waren. Obwohl zahlreiche Gerichte Di Stefanos Ansprüche als rechtens anerkennen, wartet er bis heute auf die faktische Zuteilung der Sendefrequenz. Die Konsequenz: Er kann nicht auf Sendung gehen, obwohl er eine Sendelizenz hat. Auch dies wirft ein Licht auf die Machtposition Berlusconis in der italienischen Politik. Weitere Kapitel widmen sich Berlusconis Verbindungen zu dubiosen Geschäftsmännern und Politikern im Nahen Osten, seinen Kontakten nach Lateinamerika, insbesondere Venezuela.

Die Hauptaussagen der Autoren sind deutlich: Berlusconis Erfolg hat viele Väter - politische Schutzmänner, den Vatikan und Mafiabosse -, die hinter den Kulissen enger zusammenarbeiten, als dies für eine Demokratie tragbar ist. Gümpel und Pinotti legen nahe, dass der fast zeitgleiche Aufstieg Berlusconis, die Anerkennung der religiösen Sekte "Opus Dei" von Seiten des Vatikans und der Mord an den Vatikanbankern Roberto Calvi und Michele Sindona miteinander verwoben sind. Zahlreiche Mitglieder der Geheimloge "Propaganda Due" spielen auch eine bedeutende Rolle bei "Opus Dei", den Gümpel und Pinotti als ultrakapitalistisch charakterisieren. Den Autoren zufolge ist der Aufstieg von "Opus Dei" mit der Vatikanbank-Affäre um Carlo Calvi und Michele Sindona verknüpft. Sie glauben, dass "die Banken des Opus Dei [1982] jene 250 Millionen Dollar aufbrachten, die nötig waren, um die Vatikanbank damals vor der Insolvenz zu bewahren". Im Austausch für die finanzielle Rettung erkannte der Vatikan die sektiererische Organisation als Institution innerhalb des Vatikans an. Gümpel und Pinotti glauben, "dass mit dem Auftreten Berlusconis die Allianz zwischen Kirche und Großkapital historisch und theologisch zementiert wird".

Der Aufstieg Berlusconis und vergleichbarer Oligarchen in Russland zeigt den Autoren zufolge, dass die klassische Unterscheidung zwischen 'links' und 'rechts' in der Politik nicht mehr funktioniert und die neuen Oligarchen mit einer Mischung aus "Raubtierkapitalismus, [...] messianischen Komponenten und Pseudowerten" operieren. Gümpel und Pinotti stellen eine totale Abwesenheit von "ethischen Normen" fest. Die neuen Oligarchen treiben die Aufweichung der klassischen "Gewaltenteilung der liberalen Demokratien" zwischen Legislative, Judikative und Exekutive voran. Vor allem zeigen sie: Mit finanziellen Mitteln und Medienmacht lassen sich politische Strömungen erzeugen, die auch Wahlen zumindest massiv beeinflussen können.

Das Urteil Gümpels und Pinottis über den Zustand Italiens ist niederschmetternd: "[Unsere Recherchen] zeigen das Land als Experimentallabor für jegliche Art der Wirtschaftskriminalität. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Möglichkeiten, der Ausbreitung organisierter Wirtschaftskriminalität wirksam Einhalt zu gebieten, mittlerweile mehr als beschränkt sind. Dies umso mehr, da die Wirtschaft mit ihren rücksichtslosen Durchsetzungsmechanismen eng verbandelt ist mit [...] einer 'Kirchenmacht, die von der Säkularisierung mittlerweile völlig entheiligt ist'."

So prägnant dieser Schluss des Buches ist, so wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Rest des Buches durch das Lektorat gestrafft worden wäre. Als pointierter Überblick über Berlusconis Leben ist das Buch in dieser Form leider nicht geeignet - für Kenner der Materie und für Leser, die sich detaillierter über den 'Fall Berlusconi' informieren wollen, ist "Berlusconi Zampano" jedoch zu empfehlen.

Titelbild

Udo Gümpel / Feruccio Pinotti: Berlusconi Zampano. Die Karriere eines genialen Trickspielers.
Übersetzung der im Originaltext italienischen und englischen Teile von Elisabeth Liebl.
Riemann Verlag, München 2006.
600 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3570500713

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