Zwischen Katastrophe und Idylle

Göran Sahlbergs Roman über eine Kindheit in den 1950er-Jahren

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Junge von sechs Jahren ist der Protagonist von Sahlbergs Roman. Mit der Selbstbestimmtheit eines erfolgreichen Helden kann er formulieren, wie er sich sein Leben vorstellt. Prediger wie sein Vater will er werden. Einen Anzug will er haben und die Menschen will er bekehren. Anleitung gibt ihm sein Vater und eine an der Wand hängende schematische Darstellung des Glaubenssystems des Vaters. Sein Deutungshorizont ist als der eines sechs- oder siebenjährigen Kindes in den 1950er-Jahren, deutlich eingeschränkt. Aber das Hauptproblem stellt die ideologische Vorbelastung durch die Predigertätigkeit des Vaters da. Ein Gegengewicht setzt die warmherzige Mutterfigur. Sie verbietet ihrem Sohn, seine Schreibmaschine zu benutzen, entfernt deren Farbband und verhindert dadurch die Nutzung des Schreibgerätes zum Verfassen endloser Predigten. Sie schickt ihren Sohn hinaus zum Spielen - wie es für einen sechsjährigen Jungen angebracht zu sein scheint.

Alles ändert sich, als der Junge gegen "die Regeln" verstößt. Regeln, die aus dem Glaubenssystem des Vaters resultieren, aber für das Kind eine unvergleichlich größere Bedeutung haben: zehn Gebote, an die man sich unter allen Umständen zu halten hat. Aus Versehen "leiht" sich der Junge ein Fahrrad - das sowieso sein Geburtstagsgeschenk werden sollte - und aus einer Notsituation heraus muss er lügen. Ein Dieb und ein Lügner ist er plötzlich - es bleibt für den Jungen nur noch das Warten auf den Untergang, auf das absolute Inferno.

Der erwartete Untergang stellt sich anders als vermutet ein. Keine Feuersbrünste, keine Erdbeben, die Menschen werden nicht von der Erde hinweggefegt. Die Katastrophe kommt in diesem Sommer des Jahres 1955 von einer anderen Seite als erwartet. Plötzlich verschwinden die Eltern des Jungen, und er bleibt allein zurück. Seine Nachbarin Viola kümmert sich um ihn. Später stellt sich heraus, seine Mutter ist bei der - vorzeitigen - Geburt ihres zweiten Kindes gestorben und sein Vater hat diesen Schicksalsschlag nicht verkraftet und muss längere Zeit in einem Krankenhaus verbringen.

Die vereinzelten Besuche beim Vater werden seltsam distanziert geschildert. Das Leben konzentriert sich in der Welt des Jungen auf das Zusammenleben mit seiner neuen "Mutter" Viola. Diese ist von dem UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1905-1961) fasziniert, der in ihrem Heimatort seinen Urlaub verbringt und den sie wie einen Popstar verehrt. Mit den neuen Inhalten seines neuen Lebens konfrontiert, werden die ehemaligen Bestrebungen zur Predigerlaufbahn relativiert, ebenso wie die Unglücks- und Katastrophenvisionen.

Das Buch schildert eindrucksvoll die von den Maßstäben der Erwachsenen differierende Welt eines Kindes, die beängstigenden Wirklichkeitswahrnehmungen und die damit verbundenen Bewältigungsstrategien. Die manchmal seltsame Entwicklung der Handlung korrespondiert mit der kindlichen Weltwahrnehmung und zeigt dabei ungewöhnlichen Entwicklungslinien in den Figuren. Die gute Übersetzung und der flüssige Leseverlauf tragen das ihrige zu einem unterhaltsamen und ungewöhnlichen Buch bei, dem man seine Bedeutung Seite für Seite abgewinnen muss. Ein lohnenswertes Leseabenteuer mit einem Blick in die 1950er-Jahre, in dem man letztendlich sogar noch etwas darüber erfährt, was man unter dem "Bikini-Effekt" zu verstehen hat und was dieser mit den Menschen damals und heute zu tun haben könnte.


Titelbild

Göran Sahlberg: Sieben wunderbare Jahre. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Blessing Verlag, München 2008.
303 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673572

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