Lindahls Traum

Richard Starks unglaubliche Fallstudie

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man mag den neuen Roman "Fragen Sie den Papagei" von Richard Stark für einen Krimi halten, in Wirklichkeit handelt es sich aber um eine kasuistische Studie in Sachen Crimen. Was geschieht? Parker, der an einem Banküberfall beteiligt war, trifft auf der Flucht Lindahl. Lindahl hat eine Rechnung mit der Rennbahn offen und plant, sie auszurauben, aber ist zu feige, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Welch gute Idee also, sich der Mitarbeit eines Profis zu versichern, mit dem die Rache nicht nur in Gedanken durchgespielt, sondern auch Realität werden kann. Sie muss kalt genossen werden, aber sie will genossen sein.

Parker stimmt dem zu, denn was bleibt ihm anders übrig. Er ist auf Lindahl angewiesen, weil der ihn vor den sich rasch nähernden Verfolgern rettet. Allerdings stellt sich schnell heraus, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht, denn in dem Moment, in dem Lindahl Parker schützt, kann auch dieser nicht mehr zurück. Wie sollte Lindhal der Polizei erklären, wie Parker in sein Haus gekommen ist? Wie sollte er plausibel machen, dass er ihn für einen alten Freund ausgegeben hat? Wie sollte er klar machen, dass er nicht mit ihm unter einer Decke steckt?

Das Ganze wird noch in dem Moment potenziert, als Lindahl und Parker sich unter die freiwilligen Suchtrupps mischen, die nach Parker suchen. Jetzt hat Lindahl sich endgültig auf die Seite Parkers geschlagen. Komplizierter wird das noch dadurch, dass Parker und Lindahl mit Thiemann in eine Trupp gesteckt werden und Thiemann auf der Pirsch einen streunenden alten Mann erschießt, weil er ihn irrtümlich für einen der fliehenden Bankräuber hält. Die drei vertuschen den Mord - aber der Vorfall bleibt im Raum.

Hat Stark damit sein ursprüngliches Ensemble bereits mächtig unter Strom gestellt, setzt er im Folgenden noch eins drauf. Denn das ungleiche Brüderpaar Cory und Cal hat in Lindahls Besuch den fliehenden Bankräuber erkannt und versucht daraus Profit zu ziehen.

Die Situation gerät also merklich außer Kontrolle, und so wird der Coup, den Lindahl und Parker planen (der Raub der Einnahmen der Rennbahn), immer weniger wahrscheinlich.

Das Chaos, der Showdown mit Duell und niederstürzenden Revolverhelden scheinen vorgezeichnet. Doch Stark tut einem den Gefallen nicht, denn sein Held Parker ist vielleicht kein wirklich erfolgreicher Bankräuber - der Ausgangscoup ist ein Desaster -, aber er ist ein Profi und weiß, was er will. Chaos jedenfalls ist schlecht für's Geschäft. Je weniger das eine, desto mehr vom anderen. Leute erschießt man, wenn es nicht anders geht respektive wenn die Kosten niedriger sind als der Nutzen. Das mache die Bullen erst richtig wild, kommentiert Parker gelegentlich seine Philosophie.

Ein solch sachlicher Held braucht Kontrolle und sucht Kontrolle. Alles soll so geschehen, wie er es arrangiert. Störungen werden neutralisiert oder in den Ablauf so gut wie möglich integriert. Nur dass sich dynamische Systeme nicht besonders gut kontrollieren lassen, sondern dazu neigen, widersprüchliche und vor allem widerstreitende Faktoren zu generieren. Mit anderen Worten, sie eskalieren. Das muss auch Parker erkennen - oder vielmehr, er scheint der einzige zu sein, der von vorneherein damit rechnet, dass nichts so störungsfrei läuft, wie es einmal auf den Weg gebracht worden ist.

Der Überfall auf die Rennbahn? Wer kann schon damit rechnen, dass einer der Wachleute sich - kurz vor der Pension - noch von seinem alten Arbeitsplatz verabschieden will und einen Rundgang macht? Der Mörder Thiemann? Parker hat ihn dazu überredet, die Leiche zu verstecken, damit niemand zu genau nachfragt und er so gegebenenfalls entdeckt wird. Immerhin müsste er sich irgendwann ausweisen, und dann wäre es vorbei. Auch sollte keinen Selbstmord begehen, weil das ebenfalls die Neugierde der Polizei wecken würde. Aber dass Thiemann auf die Idee kommt, Parker, der nicht einmal der einzige Zeugen seiner Untat ist, aus dem Weg zu räumen, wer käme darauf? Auch dass die beiden dämlichen Brüder Cory und Cal, als sie Parker erkennen, nicht zur Polizei gehen, sondern sich an seine Fersen heften und versuchen, an die Beute aus dem Banküberfall zu kommen, überrascht.

Viele Spieler, viele verschiedene Interessen und Kompetenzen - und das Chaos beginnt. Aber Parker tut genau das Richtige. Seine Unternehmungen sind stets darauf gerichtet, die unheilvollen Folgen der Aktivitäten seiner Mitspieler so klein wie möglich zu halten, und sei es auch nur für wenige Stunden. Das reicht ihm, um aus dem misslungenen Banküberfall einen gelungenen Überfall auf die Rennbahn zu machen. Dabei steht ihm Lindahl zu Seite, der - trotz seiner Amateurhaftigkeit und seiner schlechten Nerven - bis zum Ende dabei bleibt und nur noch dafür sorgen muss, dass Parker mit der Beute davon kommt.

Ein interessantes, ein aufregendes Spiel, das uns Stark hier vorführt.


Titelbild

Richard Stark: Fragen Sie den Papagei. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008.
253 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054462

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