Auslotung des Geistesbezirks - Das "Thomas Bernhard Jahrbuch 2004" versammelt Forschungsarbeiten und Symposiumsbeiträge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Jahr 2002 erscheint in regelmäßigem Turnus das "Thomas Bernhard Jahrbuch", das jeweils aktuelle Forschungsarbeiten vorstellt, die zum großen Teil mit der Unterstützung des Thomas-Bernhard-Archives in Gmunden/Oberösterreich entstanden. Ferner finden sich im "Jahrbuch" ausgesuchte Beiträge verschiedener Tagungen oder Veranstaltungen wie etwa den Bernhard-Tagen in St. Veit im Pongau.

Der Jahresband 2004 enthält als Schwerpunkt repräsentative Beiträge des Symposiums "Thomas Bernhard - Dichter und Polemiker", das im November 2003 in Zagreb/Kroatien stattfand und das sich in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Theater- und Kulturzentrum das Ziel gesetzt hatte, die Rezeption Bernhards in Kroatien und dem ehemaligen Jugoslawien zu untersuchen und weiter anzuregen. In einem einleitenden Vortrag legt der an der Universität Zagreb lehrende Professor Dragutin Horvat dar, welche Ursachen die eher bescheidene wissenschaftliche wie kulturelle Aufnahme Thomas Bernhards im Lande hatte - erstaunlich ist dies gerade auch ob der Tatsache, dass der Autor selbst in zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren immer wieder dort weilte und große Teile der "Auslöschung" in Istrien schrieb.

Drei weitere Beiträge befassen sich in interkultureller Perspektive mit dem Theaterstück "Heldenplatz", das im Rahmen der Tagung seine kroatische Erstaufführung erlebte - und der russische Literaturwissenschaftler Michail Rudnitsky plädiert nicht ohne selbstironische Töne für eine stärkere Beschäftigung mit Bernhard in Russland. Den ersten Teil des Jahrbuchs bilden wie gewohnt weitere Beiträge, die zum Teil in Gmunden entstanden. Den Stellenwert des Grotesken in Thomas Bernhards Erzählung "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie" lotet etwa Peter Schallmeyer in seinem informativen Beitrag aus und beschäftigt sich unter anderem auch mit der Gratwanderung vieler Bernhard-Protagonisten auf der "Kippkante" zwischen Genialität und Wahnsinn. Drei Aufsätze beschäftigen sich mit der "Wahlverwandtschaft" zwischen dem Autor und dem französischen Schriftsteller Hervé Guibert, den Gemeinsamkeiten mit der Theaterkonzeption Elfriede Jelineks und der Poetologie des Essens und Trinkens bei Bernhard und Arno Schmidt; Alexandra Barbara Scheu untersucht in ihrem Beitrag den Sprach- und Identitätsverlust anhand des Romans "Auslöschung". Und so bietet auch der Jahresband 2004 einen ebenso fundierten wie abwechslungsreichen Überblick über die aktuelle Forschungslage zu einem der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur.

A.S.


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Martin Huber / Manfred Mittermayer / Wendelin Schmidt-Dengler / Svjetlan L. Vidulic (Hg.): Thomas Bernhard Jahrbuch 2004.
Böhlau Verlag, Wien 2005.
187 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3205773551

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