Polarisierender Boom

Ein von Paula-Irene Villa herausgegebener Sammelband über Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst regt zu neuen Überlegungen und Einsichten an

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schlägt man ein Buch auf, erwartet man wohl kaum, im ersten Satz empfohlen zu bekommen, doch lieber erst mal ein bisschen Fernsehen zu schauen. Genau diesen Vorschlag aber unterbreitet Paula-Irene Villa den Lesenden in der Einleitung des von ihr herausgegebenen Sammelbandes über "Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst". Genauer gesagt empfiehlt sie, sich ein wenig durch die Nachmittagssendungen der Privaten zu zappen. Dort gebe es reichlich Anschauungsmaterial zum Thema des von ihr herausgegebenen Buches mit dem Titel "Schön normal".

"Menschen machen Diät, stylen sich, werden operiert - alles, um sich zu verwandeln in die, die sie sein wollen sollen". All dies wird in den als einstimmendes Anschauungsmaterial anempfohlen Sendungen thematisiert, dargestellt und nicht zu letzt beworben. Und darum geht es auch in dem vorliegenden Sammelband. Die "Manipulationen am Körper" beziehungsweise die "Bearbeitung[en] des Körpers" reichen von Kleiderwahl und Friseurbesuch bis hin zu Schamlippenverkleinerungen und Vaginaverengungen. Ein breit gefächertes Spektrum, dessen Übergänge vom einen Ende zum anderen jedoch nicht etwa in noch so zahlreichen Abstufungen erfolgen, sondern auf eine oft schillernde Art ineinander fließen, sodass exakte Grenzziehungen und Scheidungen schwerlich möglich sind: Weder hinsichtlich der Technologie der Eingriffe sowie ihres ästhetischen und medizinischen Charakters, noch ethische oder andere Fragen betreffend. In dem vorliegenden Band geht es allerdings nicht so sehr um die "(wichtigen!) bioethischen Implikationen im engeren Sinne" sondern vornehmlich um die "alltagsrelevante normative bzw. diskursive Konstitution und mediale Rahmung von Körpermanipulationen einerseits und um die entsprechenden Praxen sowie ihre Deutungen andererseits."

All diesen Manipulationen am Körper, legt Villa in der Einleitung dar, sei gemein, dass sie zugleich "Arbeit am Selbst" seien. Denn es gehe "nicht primär oder allein um die 'äußeren Werte', sondern um die Verkörperung von sozialen Normen". So ziehe sich als "roter Faden" die Annahme durch das Buch, dass "die vermeintlich äußerliche Körperarbeit immer und unausweichlich Arbeit am sozialen Selbst" ist. (Hinter-)Grund hierfür sei, dass "wir alle" uns "täglich" abmühten "unsere Verortung im sozialen Raum für uns und für andere sichtbar - möglichst kompetent - zu verkörpern."

Das scheint zwar plausibel, muss jedoch in zweierlei Hinsicht korrigiert beziehungsweise präzisiert werden: Zum einen zielen die Körpermanipulationen ebenso wie alle anderen Momente jedes Auftretens nicht darauf, unsere tatsächliche soziale Position sichtbar zu machen, sondern vielmehr darauf, als diejenigen wahrgenommen zu werden, als die wir wahrgenommen werden wollen. Zwischen beidem können beträchtliche Unterschiede bestehen. Immerhin spricht auch Villa noch auf der gleichen Seite selbst von "anerkennungswürdigen sozialen Positionen", deren Verkörperung angestrebt werde. Das räumt allerdings noch nicht den zweiten Einwand aus. Denn all dies muss nicht notwendig und immer auf 'die anderen' schlechthin zielen, sondern richtet sich meist primär an die je eigene peer group oder Subkultur. Nur sie verstehen es, bestimmte Makeup-, Kleidungs- und andere Körpercodes in ihren Ausdifferenzierungen zu lesen. Hieran schließt sich ein weiterer gegen Villas Ausführungen zu erhebender Widerspruch an. "Die Menschen wollen" durchaus nicht "alle" "normal sein". Wäre dem so, hätte es weder Hippies, noch die Punks gegeben. Auch nicht die Bohème des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Und auch nicht die absurd überdimensionierten Brüste mancher Pornodarstellerinnen.

Die Ambivalenzen der Arbeit am Körper, etwa die "Gleichzeitigkeit von individueller Autonomie, z. B. auf der rhetorischen oder diskursiven Ebene" einerseits und andererseits die "Beherrschung des Individuums, etwa auf der praxeologischen oder narrativen Ebene" und das Spannungsfeld zwischen deren "kreativen und selbstermächtigenden Potenziale[n]" und der mit ihr einhergehenden "Unterwerfung unter gnadenlose Normen" erklingen als "basso continuo" der Beiträge, die zeigen, "dass die 'Arbeit am Selbst' mitnichten eine rein subjektive, individuelle 'Privatangelegenheit' von souveränen, handlungsrationalen, freien und selbstbewussten Menschen ist".

Wie Villa in der Einleitung behauptet und die Beiträge zeigen, greifen "Empörung" und "Abwehraffekte" angesichts der Vielschichtigkeit sowie der mannigfaltigen Ursachen, Aspekte und Wirkungen auch von ästhetisch begründeten "Technologien des Selbst" zu kurz. Wenn Villa diese Abwehraffekte allerdings mit dem Prädikat bildungsbürgerlich versieht und als "allzu einfache Reaktionen im Modus der Herrschenden" deklariert, kommt ein bedenklich bildungsfeindlicher Reflex zum Vorschein, zeichnen sich Urteile von gebildeten BürgerInnen doch weit eher und öfter durch Reflexion aus als diejenigen der ungebildeten. Villas Rechtfertigung ihrer Rede von den "bildungsbürgerliche[n] Abwehraffekte[n]" ist auch nicht gerade überzeugender: "Wer nämlich dazu gehört", habe "nicht nur leicht reden, sondern sehr wahrscheinlich auch einen angemessenen Körper." Tatsächlich ist jedoch kein Mensch, gebildet oder ungebildet, 'an sich' oder 'von Natur aus' "schön normal". Immer steckt hinter der schönen Oberfläche die Arbeit am Körper.

Die Beiträge beleuchten die mannigfachen Arbeiten am Körper auf angemessen vielfältige Weise, wobei sie oft auf konkrete Beispiele rekurrieren. So geht Kathy Davis dem "Unbehagen an Michael Jacksons Nase" nach und Anne Fleig interpretiert die "Nabelschau" in John von Düffels "Romansatire 'Ego'". Allgemeinerer Art ist der Untersuchungsgegenstand des Aufsatzes von Kathryn Pauly Morgan, die "Fett-Hass, Schlankheitsoperationen und niomedikalisierte[n] Schönheitsideale[n] in Amerika" nachgeht. Charlotte Ullrich untersucht "somatische Selbsttechniken in der Kinderwunschbehandlung", was insofern etwas misslich formuliert ist, als der Kinderwunsch hier zur behandelungsbedürftigen Krankheit erklärt zu werden scheint, was aber selbstverständlich nicht gemeint ist. Thema des Beitrags sind vielmehr Reproduktionstechnologien.

Um einen der erhellendsten Aufsätze bereichert Nina Degele den Band. Ihr Text "Normale Exklusivitäten - Schönheitshandeln, Schmerznormalisierung, Körper inszenieren" besticht nicht zuletzt durch eine differenzierte Argumentation, mit der sie sich der "Gemengelage von Exklusivität, Alltäglichem, Besonderem und Normalem" anhand zweier "ganz alltäglicher Phänomene" nähert: dem "Sich-schön-Machen" und dem "Umgangs mit Schmerz". Wie Degele zeigt, "positionieren sich die Akteure" jeweils "sozial - im Spannungsfeld der beiden Wünsche, exklusiv und normal zu sein." So besagt die "zentrale These" ihres Beitrags, dass es sich bei "vermeintlich Individuelle[m] wie Körperpraxen, -wahrnehmungen, -empfindungen und -inszenierungen" tatsächlich um "soziale Phänomene" handelt, "durch die und mit denen sich Akteure sozial positionieren."

Ebenfalls erhellend ist Sabine Maasens Vorschlag, "Schönheitschirurgie als Element einer bioästhetisch orientierten Gouvernementalität" zu fassen. In ihrem Aufsatz "Bioästhetische Gouvernementalität - Schönheitschirurgie als Biopolitik" geht sie den "Bedingungen der erstaunlichen Akzeptabilität einer höchst kontroversen Praxis namens der Schönheitschirurgie" [sic] nach und vertritt die These, dass diese nicht nur eine "spezifische, hoch ambivalente Technologie des Selbst" sei, sondern ihre ungeachtet aller Kritik gelungene "gesellschaftsweite Durchsetzung" zudem anzeige, "dass sie Ausdruck und Vehikel aktueller Biopolitik geworden ist".

Barbara Meili konstatiert, dass Schönheitschirurgie nicht nur "boomt", sondern auch "polarisiert". Dabei blickt sie weit in die Vergangenheit zurück und macht darauf aufmerksam, dass der erste ästhetische Eingriff plastischer Chirurgie bereits um 1600 erfolgte, als "eine durch Syphilis zersetzte Nase erfolgreich repariert" wurde. Sind mehr als vierhundert Jahre später auch zahlreiche Fragen offen beziehungsweise strittig, so ist Meili zumindest sicher, dass "wir [...] uns der Schönheitschirurgie in Zukunft nicht entziehen [werden] können".

Was genau sie damit meint, erläutert sie allerdings nicht. Gemeint sein könnte etwa nur, Schönheitschirurgie werde künftig allgemein akzeptiert sein, jedoch auch die - weitreichendere und schwerwiegendere - These, niemand werde künftig darum herum kommen, sich aus Gründen konventioneller Körperästhetik unters Messer zu legen. Vermutlich will Meili letzteres sagen. Und sie dürfte damit richtig liegen. Jedenfalls zieht sie aus ihrer Prognose die konsensfähige Folgerung, dass eine "weiterführende soziologische Durchdringung des Phänomens" notwendig sei, denn es befinde sich an einer "Schlüsselstelle komplexer Probleme des Umgangs mit dem Körper, der Natur und der menschlichen Identität."

Passend zu Villas TV-Empfehlung befassen sich gleich zwei Beiträge mit der Reality-Show "The Swan". Andrea Seier und Hanna Surma stellen die "medialen Subjektivierungsprozesse" in der Show heraus und Simon Strick hat mit Blick auf die Sendung einige "Anmerkungen zur Erzählbarkeit des kosmetischen Selbst" zu Papier gebracht.

Auch der abschließende Beitrag geht auf die Show ein. Die Herausgeberin hat ihn selbst verfasst. Und nun schreibt sie wesentlich differenzierter als noch in ihrer Einleitung. Man kann geradezu sagen, dass sie nun alle Schwächen ihres ersten Textes abgelegt und den wohl luzidesten Beitrag des gesamten Bandes vorgelegt hat, der seine philosophische Belesenheit bereits im Titel "Habe Mut, dich deines Körpers zu bedienen" ausstellt. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Feststellung, dass die Grenzen zwischen medizinisch indizierter Therapie und "Wohlfühlbehandlung" seit einiger Zeit verschwimmen. Durch die Unterscheidung zwischen "Entscheidungsmöglichkeit" sowie der sich aus dieser ergebenden "Begründungsnotwendigkeit" und somit der "Entscheidungszumutung" gelangt Villa zu drei Thesen.

Zunächst aber konstatiert sie, dass "gesellschaftliche Modernisierung [...] notwendigerweise ambivalent" sei. Denn sie eröffne zwar "Handlungsspielräume und Alternativen", bürde den Menschen jedoch zugleich neue "Handlungszwänge und Rechtfertigungsnöte" auf. Dies geschehe zudem in einem "herrschaftsförmigen Rahmen", in dem nicht alle über alle Optionen verfügen, nicht alle Begründungen gleichermaßen legitim sind und nicht alle miteinander konkurrierenden Haltungen "auf dem 'öffentlichen Markt der Meinungen' gleiches Gehör" finden. So seien Handlungsspielräume zugleich "Arenen im Kampf um Deutungshoheiten."

Die erste der drei Thesen hat Villa unter den Titel "Die Geburt einer neuen Geschlechterdifferenz im Zeichen ihrer technischen Machbarkeit" gestellt. Ihr zufolge geht es nicht länger darum, die Geschlechter-Differenz "praxeologisch als Ausdruck einer inneren Natur zu inszenieren", sondern "die mühsame Arbeit ihrer Herstellung offensiv zur Schau zu stellen".

Die neue Geschlechterdifferenz gelte also nicht mehr "als natürlich kodiert", sondern "als Effekt sichtbarer [...] Körpermanipulationen, die ihrerseits spezifischen normativen Mustern folgen." Villas zweite These besagt, dass die Neue Frauenbewegung zu den "Geburtshelferinnen" eben dieser neuen Geschlechterdifferenz zählt. Denn die "feministische Selbstermächtigung qua Körper", wie sie sich etwa in der Parole "Mein Bauch gehört mir" ausdrückt, sei zum "Geburtshelfer" einer "radikal individualistische[n] Manipulation des Körpers" geworden, die noch nicht um die "Entscheidungskorridore" wisse, "die jede noch so autonome Entscheidung mit-konstituieren." So erweise sich die "Beherrschung des Selbst durch die bewusste Manipulation des Körpers im Dienste hegemonialer Normen" als die Kehrseite einer Medaille, deren andere Seite die von Feministinnen ursprünglich angestrebte "Selbstermächtigung durch die Verfügbarkeit des eigenen Körpers" sei. Der dritten These zufolge liegt ein "Kontinuum" zwischen "Friseur, Permanent Make-up, Botox-Spritze und chirurgischer Brustvergrößerung". Das bedeutet auch Villa zufolge allerdings noch lange nicht, "dass es gewissermaßen egal wäre, was wir an, in und mit unseren Körpern machen."

Mit diesen drei Thesen hat die Autorin die Grundlage für ihre weitere nicht weniger überzeugende Argumentation gelegt, der zufolge die "genuin menschliche Kreativität" auch darin liegt, den eigenen Körper zu "gestalten". Über ihn zu verfügen, sei somit keineswegs eine "kontingente Dimension unserer Sozialität, sondern ein zwingender Konstituens selbiger." Dabei sei allerdings jede "noch so individuelle, ja intime" Verfügung über den je eigenen Körper von sozialen Normen, Traditionen sowie strategischen Kalkülen und Fantasien "durchtränkt". Wie Villa plausibel macht, bedingen sich "konstitutive Diskurse" und "Konstruktionspraxen" wechselseitig, ohne ineinander aufzugehen.

All dies bedeutet auch, dass kein Weg zu einer Authentizität zurückführt, "die den Körper als Ausdruck einer nicht-entfremdeten Existenz postuliert". Und zwar nicht etwa, weil dieser Weg versperrt wäre. Vielmehr kann es einen solchen Zustand gar nicht geben.

Der Band ist nicht zuletzt darum zur Lektüre zu empfehlen, weil er darüber belehrt, dass es sich auch bei der Kontroverse um Manipulationen am Körper etwa in Form von Schönheitsoperationen nicht anders verhält wie so ziemlich bei jeder komplexen Frage. Je tiefer man in die Materie eindringt, umso vertrackter stellt sie sich dar. Und umso schwieriger wird es, sich eindeutig zu positionieren.


Titelbild

Paula-Irene Villa (Hg.): Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst.
Transcript Verlag, Bielefeld 2008.
279 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783899428896

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch