Grabenkämpfe

Maria Buchmayr gibt einen Sammelband mit feministischen Standortbestimmungen heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur selten bewegen sich alle Beiträge eines Sammelbandes auf einem konstant hohen Niveau. So sind auch die Aufsätze der von Maria Buchmayr unter dem Titel "Alles Gender?" zusammengestellten "feministische[n] Standortbedingungen" von teils höchst unterschiedlicher Qualität und Überzeugungskraft.

Etliche der Beiträge des auf dem 2007 an der Johannes-Kepler-Universität Linz abgehaltenen "AbsolventInnentag" fußenden Bandes befassen sich mal mehr, mal weniger kritisch mit Fragen des Gender Mainstreaming. So betrachtet Leah Carola Czollek das Konzept aus "interkultureller Perspektive", Nora Fuhrmann beleuchtet den "Kampf um Gender Mainstreaming", Alexandra Weiss erörtert die "Bedingungen und Perspektiven von Frauenpolitik" im Spannungsfeld "[z]wischen Männerbund und Gender Mainstreaming" und Heike Weinbach fragt, ob der Balanceakt des Gender Mainstreaming "zwischen Feminismus und Bürokratie" ganz entgegen der ursprünglichen Intention "[v]on der Selbstverwaltung zum verwalteten Selbst" führt.

Andere Beiträge beleuchten "Re- und De-Konstruktion von Geschlechterverhältnissen am Beispiel der Computerwerbung" (Manuela Barth und Barbara U. Schmidt) oder gehen einem Fall "wirksamer feministischer Rechtswissenschaft und Rechtspolitik" nach (Karin Neuwirth). Tove Soiland stellt die These auf, "dass die Frage, was überhaupt geschlechtliche Positionen präfiguriert, in keiner Weise geklärt ist", und erörtert ganz grundsätzlich, was Konstruktion überhaupt heißt. Ihrer Argumentation zufolge ging die feministische Theorie bereits zu Beginn der Zweiten Frauenbewegung davon aus, dass Geschlechter "'hergestellt' werden". Allerdings unterliege der Konstruktionsbegriff seitdem einem "immense[n] theoretische[n] Wandel", der "als solcher" jedoch nie "in Erscheinung" getreten sei. Daher schlägt sie vor, die "angeblichen Paradoxien" in den Geschlechterverhältnissen "als Hinweis auf eine theoretische Inkonsistenz in der Konzeptualisierung von Geschlecht" zu lesen, und vertritt die These, dass die "Vorstellung von Konstruktion, wie sie sich im Rahmen eines bestimmten, sich an die Cultural Studies anlehnenden Verständnisses von Gender herausgebildet hat, möglicherweise längst selbst zum Bestandteil des gegenwärtigen Geschlechterregimes geworden ist."

Ein starker Vorwurf, den die Autorin insbesondere gegen Judith Butler erhebt, ohne ihn allerdings wirklich überzeugend untermauern zu können - ganz abgesehen davon, dass sich die amerikanische Philosophin und Diskurstheoretikerin keineswegs an dem unter der Ägide von Stuart Hall am Birminghamer Centre for Contemprory Cultural Studies entwickelten Ansatz orientiert. Jedenfalls plädiert Soiland dafür, "zum französischen Subjektverständnis und zu den Ansätzen geschlechtlicher Subjektivierung zurück[zu]kehren". Namentlich nennt sie Michel Foucault und ansonsten das "Umfeld der französischen Psychoanalyse", wobei sie wohl vornehmlich Jacques Lacan und Luce Irigaray im Sinn haben dürfte, vielleicht auch Julia Kristeva.

Ebenfalls Grundsätzlichem gelten die Beiträge Angelika Wetterers und Christina Thürmer-Rohrs. Wetterer untersucht das Verhältnis von feministischer Theorie und gleichstellungspolitischer Gender-Expertise und weist auf die beträchtlichen Differenzen zwischen den Theorien und Ansätze der feministischen WissenschaftlerInnen einerseits und den Überlegungen "praxisorientierte[r] Gender-Expertinnen" andererseits hin, "die mit der Umsetzung von Gender Mainstreaming und Managing Diversity, mit genderorientierter Bildung, Beratung und Organisationsentwicklung beschäftigt sind".

Beide Kreise bewegten sich schon längst in je eigenen "Diskussions- und Arbeitszusammenhängen". Für die einen steht Wetterer Judith Lorber mit dem von dieser initiierten "Feminist Degendering Movement" ein, das (Zwei-)Geschlechtlichkeit überhaupt als konstruiert hinterfragt. Das anderen Ende des Spektrums besetzen die Praktikerinnen des Gender Mainstreaming, das "einmal mehr auf die besonderen Potenziale der Frauen setzt und in nie gekannter Intensität nach den Unterschieden zwischen den Geschlechtern fahndet". Entgegen besseren theoretischen Einsichten schlägt sich Wetterer ziemlich vorbehaltlos auf die Seite der Managerinnen des Gender Mainstreaming und entscheidet sich somit für ein Primat der Anforderungen gleichstellungspolitischer Praxis vor den Erkenntnissen feministischer Theorie. Mit ihrer Hoffnung, Gender Mainstreaming könne sich "à la longue als Trojanisches Pferd entpuppen", aus dem die "Gleichstellung der Geschlechter heraus[springt]", installiert sie eine kurzsichtige Hilfskonstruktion, von der zu befürchten steht, dass sie sich auf lange Sicht als haltlos erweisen wird.

Dass sich zwischen Theorie und Praxis "Gräben aufgetan" haben, konstatiert auch Thürmer-Rohr. Doch übernimmt sie in so mancher Hinsicht die Rolle von Wetterers Konterpart. In einem erhellenden Beitrag legt sie dar, dass und warum es "die Wahrheit über eine zweigeschlechtliche Welt" nicht geben kann. Nicht alles an Türmer-Rohrs Ausführung ist neu. Darum ist es aber noch lange nicht falsch. Und es einmal mehr zu sagen, kann gerade angesichts von Haltungen wie derjenigen Wetterers und der Politik des Gender Mainstreaming auch nicht schaden, die noch immer oder schon wieder von der "Prämisse der Unterscheidbarkeit einer Großgruppe Männer und einer Großgruppe Frauen" ausgeht und sich wenig um die Frage "schert", "ob 'Geschlecht' ein anthropologisches Essential oder ein herrschaftliches Relikt sei".

Thürmer-Rohr teilt und erweitert die gegen die Politik des Gender Mainstreaming vorgebrachte Kritik, diese gehe "ungebrochen" davon aus, "Frauen' und 'Männer' seien zwei trennscharfe Sektoren, es gäbe also wirklich und überall die Interessen von Frauen und die Interessen von Männern, die geschlechtsspezifische Sicht, die weibliche Perspektive, die Frauenbelange, die 'Frauen- und Männer-Augen auf die Welt'". Mit derartigen Annahmen, bestätige die "naive Mainstreambegeisterung" nicht nur eine "fiktive Geschlechterrubrizierung, für deren Überleben es kaum ein Argument gibt", sondern erkläre "Randständige und Querliegende" sowie "Geschlechtsabweichungen" jeglicher Art einmal mehr zu "Anomalie[n]".

Werde "weibliche Unterdrückung" als "primäre[r] Herrschaftsbeweis" herangezogen, entfielen die Fragen, "wer eigentlich im Schatten des sogenannten aufgeklärten, emanzipierten, freien, modernen westlichen Subjekts lebt", und "wer wie wo mit welchen Herrschaftsverhältnissen kooperiert". So gerate die "'moderne westliche Frau' gewollt oder ungewollt zum Exempel kultureller Überlegenheit."

Das ist zweifellos alles zutreffend. Anzumerken ist jedoch, dass es tatsächlich sehr wohl Kulturen und kulturelle Praktiken gibt, die anderen, wenn zwar vielleicht auch nicht überlegen, so doch ganz sicher vorzuziehen sind. Würde man auf diese Wertung verzichten, versänke man in einem Kulturrelativismus, der nicht mehr begründen könnte, warum man lieber in einer aufgeklärten Gesellschaft als in einer nichtaufgeklärten leben möchte, lieber in einer nicht-sexistischen als in einer sexistischen, lieber in einer nicht-rassistischen als in einer rassistischen und lieber in einer Demokratie als in einer Theokratie. Dieser gleichgültige Kulturrelativismus hätte entgegen jedem emanzipatorischen Bemühen stets und eo ipso eine konservative Grundhaltung. Was sollte schon änderungsbedürftig sein, wenn alles Jacke wie Hose ist. Allerdings ist Thürmer-Rohr weit davon entfernt, einen solchen Kulturrelativismus zu predigen. Vielmehr weist sie etwa darauf hin, dass "westlichen Inländerinnen" wegen der "sogenannte[n] multikulturelle[n] 'Toleranz'" von "feministisch-muslimischer Seite" vorgeworfen wird, "feige und verantwortungslos zu sein, wegzusehen und muslimische Mädchen und Frauen im Stich zu lassen."

Im weiteren warnt Thürmer-Rohr, vor einem "ideologieverdächtigen Primat von Geschlecht, das hegemoniale Interessen verrät". Keine Kategorie der Identitätszuschreibung alleine - weder Gender, Rasse, Klasse oder andere - könne der "Komplexität" gerecht werden, die den "vielfältig gemischte[n], geteilte[n] Subjekte" eigen ist. Werde dennoch auf dem "Primat des Geschlechts" - oder, wie man hinzufügen möchte, dem Primat einer anderen Kategorie - insistiert, betreibe man die "Unterordnung aller anderen Faktoren". Das ist zwar zutreffend, doch kann es entgegen Thürmer-Rohrs Auffassung durchaus angemessen sein, den genannten Analysenkategorien unterschiedliche Gewichtungen zuzuschreiben. Dann nämlich, wenn dies den konkret untersuchten Verhältnissen entspricht. Nicht überall und zu jeder Zeit sind alle Kategorien von gleicher Tragweite. Und zwar in doppelter Hinsicht. Eine bestimmte Kategorie kann in einer Gesellschaft, einer Kultur, einem Zusammenhang oder auch nur in einer bestimmten Situation relevanter sein als in anderen. Das ist das eine. Das andere ist, dass sich die Gewichtungen der Kategorien zueinander nicht immer und überall gleichen. All dem müssen Analysen stets Rechnung tragen; wenn sie nicht sogar die unterschiedlichen Gewichtungen zunächst einmal herausarbeiten müssen. Gegeneinander aufrechnen oder gar ausspielen sollte man die Analysekategorien darum aber noch lange nicht, wie auch die Autorin betont.

Abschließend fordert Thürmer-Rohr die "Verbindung von Pluralität und Menschenrechten" ein. Denn die "Unterschiedlichkeit und Unbestimmbarkeit der verschiedenen Menschen" sei ebenso anzuerkennen wie die "universale Geltung der Menschenrechte". Daher bedürfe es einer Kultur, "die verschiedene Lebensformen, Traditionen, Religionen, sexuelle Orientierungen etc. respektiert, und zugleich Ansprüche auf Freiheitsrechte nicht nur für sich selbst, sondern für alle einfordert." Dem ist nichts hinzuzufügen.


Titelbild

Maria Buchmayr (Hg.): Alles Gender? Feministische Standortbestimmungen.
Studien Verlag, Innsbruck 2008.
232 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783706546096

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