Romane, Novellen und ein Leben

Charlotte M. Werners Biografie Clara Viebigs bietet neben einer Lebensbeschreibung Inhaltsangaben ihrer Romane und Novellen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor etwa anderthalb Jahrzehnten wurde die Autobiografie der um 1900 überaus erfolgreichen Schriftstellerin Clara Viebig (1860-1952) erneut aufgelegt und vor nicht einmal zwei Jahren folgte Carola Sterns Viebig und ihrem Mann Friedrich Cohn gewidmete Doppelbiografie "Kommen Sie Cohn!". Das spricht natürlich keineswegs dagegen, nun noch eine weitere Biografie über die Dichterin zu publizieren. Entscheidend wäre, was sie über die anderen hinausgehend zu bieten hat. Charlotte Marlo Werner hat sie nun vorgelegt, diese weitere Viebig-Biografie. Was also bietet sie?

Da wären zunächst einmal ein erster biografischer Teil und ein zweiter mit kurzen Inhaltsangaben zu Viebigs zahlreichen literarischen Werken. Beide nehmen etwa jeweils den gleichen Umfang ein. Vorgeschaltet ist beiden Teilen ein kleines, etwas hagiografisch anmutendes Vorwort. Auch später finden sich derartig Anklänge. Allerdings nur noch gelegentlich. Etwa, wenn Werner schwärmt, Viebig könne sich "grandios" in die Psyche ihrer Figuren versetzen. Nicht ganz so überschwängliche Huldigungen würden mehr Überzeugungskraft besitzen. Auch scheint Werner nicht zu bemerken, dass ihr Lob manchmal vergiftet ist. So setzt etwa die Hymne auf die Schriftstellerin, die es verstanden habe "Massenszenen und Schicksale so eindringlich und packend zu gestalten" wie "keine andere Autorin", nicht nur Viebig, sondern zugleich alle Angehörigen des weiblichen Geschlechts herab, deren Werke für einen Vergleich mit denjenigen ihrer männlichen Kollegen gar nicht erst in Frage zu kommen scheinen.

Da die Autorin bereits im ersten Teil immer wieder kleine Inhaltsangaben zahlreicher literarischer Werke bringt, die mit den Inhaltsangaben des zweiten Teils noch einmal ausführlicher vorgestellt werden, leidet das Buch unter etlichen Redundanzen, die sich auf Dauer zu einem echten Ärgernis auswachsen. Ebenso ärgerlich sind die fast ausschließlich biografischen Lesarten der Werke, die implizit das Klischee bedienen, Frauen könnten im Grunde nur über sich selbst und ihre Erlebnisse schreiben. Ein Klischee, das insinuiert, sie seien nicht in der Lage, ein literarisches Werk künstlerisch zu gestalten. Und so erweist sich noch eine weitere als Lob gemeinte Behauptung über Viebigs Œuvre als vergiftet: "Ganz unverstellt" beschreibe Viebig "was ist bzw. war, auf diese Weise können wir heute noch einen historischen Blick in den Alltag jener Zeit werfen."

Im ersten, biografischen Hauptteil folgt die Autorin dem Lebensweg anhand nur einiger weniger Quellen. Unter ihnen vor allem die Autobiografie der Literatin, aber auch deren literarische Werke sowie gelegentliche Archivalien in Form bislang unveröffentlichter Briefe Viebigs. Ansonsten spekuliert Werner gerne über das Innenleben Clara Viebigs und anderer. So unterstellt sie etwa, Viebig habe eine bestimmte Urlaubsreise unternommen, weil sie hoffte, am Reiseziel einen reichen Gutsbesitzer kennen zu lernen, den sie sich als Gatten angeln könnte. Oder Werner lässt ihre Fantasie spielen, die ihr und den LeserInnen die intimsten Kenntnisse etwa von Cohns Gedanken vorgaukelt: "Insgeheim verglich er sie [Viebig] mit Mete, Clara müsste ungefähr gleich alt sein, dachte er. Aber wie viel lebhafter und vitaler wirkte sie auf ihn."

Werner beginnt ihre Biografie, indem sie kurz auf Viebigs familiäre Vorgeschichte eingeht. Etwas ausführlicher schildert sie deren von einer konventionellen Erziehung geprägte und somit recht unspektakuläre Kinder- und Backfisch-Jahre in Düsseldorf. Gerade mal einundzwanzigjährig stirbt der jungen Frau der Vater und sie zieht gemeinsam mit der Mutter nach Berlin, da sie hofft, dort eher eine Arbeit zu finden. Eine Hoffnung, die sich erfüllte. Zwar reichte ihre Stimme, trotz Ausbildung zur Sängerin, nicht aus, um ein einträgliches Engagement zu finden, doch konnte sie bald Klavierunterricht erteilen. Außerdem versuchte sie - wie viele ihrer Zeitgenossinnen - ihre finanzielle Situation aufzubessern, indem sie kleine Erzähltexte an Zeitschriften sandte. Anerkennung als Schriftstellerin erlangte sie - auch in der Familie - erst mit dem Drama "Barbara Holzer" (1897). Im gleichen Jahr erschienen die ersten einer immer länger werdenden Reihe von Romanen und Novellen, die Viebig über Jahrzehnte hinweg mit zunehmendem Erfolg publizierte.

"Das Thema Emanzipation der Frauen war Teil des Zeitgeistes um die Jahrhundertwende, egal ob es den daran Interessierten gefiel oder nicht", stellt Werner fest. So konnte auch Viebig "von den Problemen der Frauenbewegung dieser Zeit nicht unberührt" bleiben. Eine "Problematik", der die Literatin "geschickt [nachge]spürt" habe, allerdings "ohne von Emanzipation zu sprechen." Denn sie habe gewusst, dass sie andernfalls "interessierte Leser und Leserinnen" verloren hätte. Dabei war das "Schicksal der Frauen" doch ihr "Lieblingssujet".

Zu den im biografischen Teil angesprochenen Werken zählt selbstverständlich "Das Weiberdorf" (1900). Zurecht beschreibt Werner den seinerzeitigen "Skandal" um den Roman etwas ausführlicher. Auch auf den 1933 erschienen Roman "Insel der Hoffnung" geht sie näher ein. Zwar sei "zwischen den Zeilen" Viebigs "Kritik an den Veränderungen der Gesellschaft [zu] erkennen, aber auch ihr Versuch, nicht allzu deutlich zu werden, um sich nicht zu gefährden." Sie habe eben "um keinen Preis auffallen" wollen. Sollte dem so gewesen sein, stellt sich allerdings die Frage, warum sie dann nicht ganz geschwiegen hat. Wie die Autorin vermutet, hat Viebig "durch ihre Zurückhaltung in Sachen Systemkritik" ihrem Sohn das Leben gerettet, der wegen seines jüdischen Vaters und als KPD-Mitglied gleich doppelt gefährdet war.

1935 erschien mit "Der Vielgeliebte und die Vielgehasste" Viebigs letzter Roman. Als die Autorin fünf Jahre später ihren achtzigsten Geburtstag beging, blieb die Presse "weitestgehend stumm". Im gleichen Jahr musste sie die deutsche Hauptstadt verlassen und nach Schlesien ziehen. Nach dem Krieg versuchten SED und DDR "die einst so berühmte" und nun "zurückgezogen" lebende Frau zu vereinnahmen. 1952 starb sie und wurde neben ihrem Vater auf einem Düsseldorfer Friedhof begraben.

Werner hat kein Buch für die literaturwissenschaftliche Fachgemeinde geschrieben, vielmehr richtet es sich an alle, die etwas mehr über Viebigs Leben wissen möchten. Vermutlich ist die Publikation sogar von dem Wunsch getragen, die Literatin einem breiteren Publikum bekannt zu machen und zur Lektüre von Viebigs Werken anzuregen, die tatsächlich auch heute noch wert sind, gelesen zu werden. Ob dieses Anliegen jedoch gelingen wird, muss bezweifelt werden, dürfte doch schon Webers Buch selbst keine allzu große Verbreitung finden. Denn hierzu bedarf es gemeinhin einer gut geölten Werbemaschinerie. Und über die dürfte der kleine in einem Vorort Frankfurts angesiedelte Medu Verlag kaum verfügen. Schade eigentlich, trotz der Schwächen des Bändchens.


Titelbild

Charlotte M. Werner: Schreibendes Leben. Die Dichterin Clara Viebig.
Medu Verlag, Dreieich 2009.
320 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783938926772

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